»Ich will gepflegt belogen werden«
»Ich gebe mir drei Wochen, um die Sprache eines Regisseurs zu lernen«, sagt Burgschauspieler Martin Vischer. Ob er jene von Leander Haußmann verstanden hat, kann er bald zeigen. Am 6. September spielt der 36-jährige Schweizer Lysander in Shakespeares »Som
Seit der Spielzeit 2015/16 gehören Sie zum Ensemble des Wiener Burgtheaters. Können Sie sich an Ihren ersten Abend auf der BurgBühne erinnern? Martin Vischer: Ja. Ich habe eine Rolle in Schnitzlers „Professor Bernhardi“übernommen. Das war ein Glücksgriff, eine tolle, kalte Dusche. Es gab nämlich keine lange, achtwöchige Anfahrt auf die Bühne, wie das bei einem neuen Stück der Fall ist. Sondern ehe ich mich versah, spielte ich mit all diesen großartigen Kollegen. Es war ein wunderbarer Abend, die Feuertaufe. Die Aufregung, die mich damals vor meinem Auftritt heimgesucht hat, kehrt noch heute bei jeder „Bernhardi“-Vorstellung zurück. Wie sind Ihnen die Kollegen begegnet? Ich kannte das Haus durch meine Lebensgefährtin (Anm.: Sarah Frick ist seit 2009 Burg-Ensemblemitglied) schon recht gut, was ein großer Vorteil war. Und die Kollegen waren alle sehr nett zu mir, was mich anfänglich irritiert hat. Denn ich dachte immer, an so einem Haus gibt es vor allem EllbogenMenschen. Aber das ist Quatsch. Natürlich wissen die schon alle, wie sie sich in bestimmten Situationen behaupten können. Das ist ja auch nichts Schlechtes. Aber ich habe bisher überhaupt keine Konkurrenzgeschichten erlebt. Wunderbar. Wie sind Sie überhaupt zur Schauspielerei gekommen? Nach der Schule habe ich aus Alternativlosigkeit Französisch, Deutsch und Philosophie zu studieren begonnen – und schnell gemerkt, dass die Uni nicht der Ort ist, wo ich mich zu Hause fühle. Deshalb habe ich währenddessen vorgesprochen und schließlich in Leipzig an der Schauspielschule studiert. Bemerkenswert, dass Sie dort gleich aufgenommen worden sind. In München und Bern habe ich es auch versucht, dort hat es nicht geklappt. Ich musste schon erst einmal herausfinden, was man da so machen muss. Was muss man denn machen? Man muss quasi wissen, dass man das kann. Und man muss schauen, dass es gesehen wird. Als ich das verstanden habe, ist der Knoten geplatzt. Eine Selbstüberschätzung im eigentlichen Moment des Vorsprechens ist sehr hilfreich. Das ist eine sehr lustige Formulierung. So richtig gereift ist diese Theorie erst nach der Schauspielschule beim Vorsprechen an den Theatern. Wenn ich da Angst gehabt hätte, dass die mich dort nicht wollen, dann hätte ich ohnehin versagt. Ich merkte, es gehört zum Spielen, zu behaupten, dass ich hier super hinpasse. Und wenn sie mich nicht genommen haben, gehörte es auch dazu, die Enttäuschung nicht auf mich zu nehmen, sondern auf sie zu schieben und zu sagen: Sie haben es halt nicht gesehen. Das finde ich sehr selbstbewusst. Das ist nichts anderes als eine Strategie, um damit umzugehen. Ein Beispiel: Bei meinem Vorsprechen bei dem ersten Intendanten, der mich genommen hat, war ich groß und kraftvoll auf der Bühne. Danach in seinem Büro fühlte ich mich wie ein kleines Mäuschen und habe gezittert. Aber darauf kommt es eben nicht an. Nur das auf der Bühne ist relevant. Im Privaten wirken die Schauspieler oft unscheinbar. großartigsten
Martin Vischer
wurde 1981 in Basel als Sohn eines Pastors geboren. Er studierte auf der Hochschule für Musik und Theater in Leipzig Schauspiel. Sein erstes festes Engagement hatte er in der Spielzeit 2008/09 am
Schauspiel Essen.
Danach ging er für drei Spielzeiten ans
Schauspiel Hannover.
2012 übersiedelte er nach Wien. Seine Lebensgefährtin, Sarah Frick, ist seit 2009 Ensemblemitglied des Burgtheaters. Seit der Spielzeit 2015/16 gehört er ebenfalls zum Ensemble
des Wiener Burgtheaters.
Derzeit ist er in verschiedenen Stücken wie
„Eiswind“, „Liebesgeschichten und Heiratssachen“, „Drei Schwestern“
und ab 6. September in
Shakespeares „Sommernachtstraum“
unter der Regie von Leander Haußmann zu sehen. Meine Kollegin Sandra Hüller sagte unlängst in einem Interview, sie verschwinde gern. Das kenne ich auch. Ich möchte nicht permanent thematisiert wissen, dass ich diesen Beruf mache. Ich finde es in meinem Privatleben ganz toll, dass er gar keine Rolle spielt. Das geht für mich aber erst, seitdem meine beiden Kinder auf der Welt sind. Davor war der Schauspieler mein Ich. Jetzt gehe ich zu Arbeit, spiele und probe gern, aber ich bin heute auch sehr gern zu Hause. Früher war es mir wichtig und gehörte zum kreativen Prozess, nach der Vorstellung in der Kantine zu versacken. Heute geht das kaum mehr, zumal meine Lebensgefährtin auch Schauspielerin ist. Manchmal spielen wir auch gemeinsam. Schon bald in Shakespeares „Sommernachtstraum“. Wie ist es für Sie, erstmals mit Regisseur Leander Haußmann zu arbeiten? Es macht Spaß, es ist wild. Er ist ein lustiger Zeitgenosse. Er hat einen sehr humorvollen Zugang zum Theater. Er ist kein Stückezertrümmerer, sondern ein Geschichtenerzähler. Das ist gar nicht mehr so häufig. Besonders schätze ich an ihm, dass er weder Scheu vor Kitsch hat, noch davor, den Kitsch zu brechen. Das ist für mich das ziemliche Ideal von Theater: die Leute zu bewegen und gleichzeitig doch immer wieder eine Distanz zu ihnen herzustellen. Spüren Sie schnell, ob die Zusammenarbeit mit einem Regisseur klappen wird? Ich gebe mir immer drei Wochen, um die Sprache eines Regisseurs zu verstehen. Wie meinen Sie das? Ich habe in Leipzig meine Ausbildung gemacht und die DDR-Theatersprache gelernt. Dabei geht es sehr stark um Haltungen, Situationen und Vorgänge. Das sind so die Begriffe, die sehr zen- tral sind. Und das Wort „Zustand“ist beispielsweise ein verachtetes. Weil? Ein Zustand ist etwas, was man nicht sehen will, weil es eben nur ein Zustand ist. Jemand, der weint, ist nicht spannend. Jemand, der weinen will oder nicht aufhören kann zu weinen, ist es. Das ist in Leipzig ganz zentral gewesen. Als ich nach Essen kam, stieß ich auf einen Regisseur, der sprach die ganze Zeit von Zuständen. Es dauerte einige Zeit, bis ich begriffen habe, dass er mit Zustand das meint, was wir in Leipzig Situation genannt haben. Darum habe ich begonnen, mir drei Wochen Zeit zu lassen, um die Sprache des Regisseurs zu lernen. Erst dann entscheide ich, ob ich wirklich dabei bleiben will. Bisher bin ich allerdings immer geblieben. Mir war nicht bewusst, dass sich die Theatersprachen so unterscheiden. Schon. David Bösch interessiert logischerweise etwas anderes als A´rpa´d Schilling, um nur zwei Namen zu nennen. Die „ostdeutsche Schule“ist sehr von Bertolt Brecht geprägt. Dabei geht es viel mehr um Gedanken und die Haltung zu einer Figur, die der Zuschauer im Idealfall dechiffriert. Und vielleicht ist er auch berührt. Aber die Emotion steht erst einmal im Hintergrund. Davon bin ich geprägt. Ich will den Gedanken lesen können. Und worauf wurde in den westdeutschen Schauspielschulen Wert gelegt, wenn man das so verallgemeinern kann? Natürlich sind das auch Klischees, mittlerweile hat sich das etwas verwaschen. Aber es gibt schon unterschiedliche Ideologien. Man sagte immer, im Osten lernt man, dass man alles spielen kann. Im Westen wird/wurde versucht, die Figur näher an den Menschen heranzuholen, der sie spielt. Ich glaube, am besten ist so eine Mischung von beiden. Also Vischer bleibt immer Vischer. Sie werden nicht zu Lysander, wenn Sie ihn spielen? Ich verwandle mich nicht in jemanden anderen, bloß weil ich einen bestimmten Text spreche. Das bin immer ich, der Lysander spielt. Das ist ganz klar für mich, alles andere wäre mir viel zu esoterisch. Zum Spielen gehört für mich, dass sowohl die Zuschauer als auch ich wissen, dass man so tut als ob. Im Idealfall mache ich es so gut, dass der Zuschauer das kurz vergisst. Aber schon beim Applaus möchte ich privat sein und mir nicht denken: Oh, jetzt bin ich gerade gestorben. Das ist mir ganz fremd. Wie reagieren Sie auf kritische Worte unmittelbar nach der Premiere? Auf Premierenfeiern möchte ich gepflegt belogen werden. Ich finde, das gehört zum guten Ton. Außer ich frage jemanden explizit nach seiner Meinung. Und natürlich freue ich mich über Applaus und gute Kritiken, aber es ist nicht so, dass ich den Beruf deswegen mache. Weshalb machen Sie den Beruf? Mein ursprünglicher Impuls, diesen Beruf zu machen, war ganz profan: reine Eitelkeit, ein gewisser Exhibitionismus. Aber der gesellschaftliche Wert von Kultur und im Besonderen von Theater wird mir immer wichtiger. Wir leben nämlich in einer Zeit, in der alles immer marktwirtschaftlicher gedacht werden „muss“. Aber muss es? Beim Theater halte ich das für den Todesstoß. Denn Theater gehört in Europa zum kulturellen Leben und ist in unserer Gesellschaft verankert. Und das ist unwahrscheinlich wertvoll – und überhaupt nicht selbstverständlich.