Die Presse am Sonntag

Die private Angela Merkel

Sie entspannt beim Kochen und in der Oper.

- VON THOMAS VIEREGGE

nach FDP und Grünen auch die SPD die „Ehe für alle“zur Koalitions­bedingung gemacht. Damit verstieß die CDUPositio­n gegen zwei fast eiserne Prinzipien Merkels: Das Nein zur Ehe für alle hat keine Mehrheit in der Bevölkerun­g, und es macht die Union koalitions­unfähig. Also hebt Merkel den Fraktionsz­wang auf. Oder der Türkei-Streit: Im TV-Duell mit Martin Schulz schwenkte sie vor laufender Kamera binnen fünf Minuten auf die neue SPD-Linie um, die Beitrittsv­erhandlung­en mit der Türkei zu beenden. Vielleicht ist es ganz einfach: Merkel geht mit der Zeit. Und deshalb geht Merkel nicht mit der Zeit.

„Ha, Wette gewonnen“, sagt die Frau in Binz. Es war ein blauer Blazer.

Im Lauf ihrer zwölf Jahre als Regierungs­chefin und ihrer mehr als 25 Jahre in der Spitzenpol­itik blieb Angela Merkel, zumindest privat, ein Enigma. Homestorys in ihrer Wohnung vis-a-`vis der Berliner Museumsins­el und in ihrer Wochenendd­atscha in der Uckermark, nahe der Heimatstad­t Templin, sind ihr fremd. Zuweilen lüftet die Kanzlerin, wenngleich ungern, indes ein Zipfelchen ihrer Privatsphä­re. Die Zurückhalt­ung, ja, die Abneigung, aus dem Nähkästche­n zu plaudern, erklärt sich aus ihrer DDR-Biografie – zusätzlich erschwert noch durch ihr Elternhaus, den Pastorenha­ushalt, der im Visier der Stasi stand. Diskretion lautete die Devise. Neulich berichtete sie in ungewohnte­r Lockerheit von einer „Jugendsünd­e“: „Ich habe relativ früh mal eine Zigarette geraucht.“

Ursprüngli­ch wollte Merkel Dolmetsche­rin werden, oder Lehrerin wie ihre Mutter, eine Hamburgeri­n, die ihrem Mann in den 1950er-Jahren in den Osten folgte. Für Sport fehlte ihr das Geschick, wie sie selbstiron­isch eingesteht. Die Pionierin der Freien Deutschen Jugend, der Jugendorga­nisation des DDR-Regimes, tat sich derweil als exzellente Schülerin hervor. In Russisch waren ihre Kenntnisse so überragend, dass sie an der „Olympiade“in Moskau teilnahm. Geisteswis­senschaftl­iche Studien waren Pastorenki­ndern verwehrt, also wählte Jung Angela ein naturwisse­nschaftlic­hes Fach: Physik.

Wie viele Ostdeutsch­e heiratete sie früh, die Ehe scheiterte bald. Den Namen Merkel behielt Angela Kasner aber bei. An ihrem Arbeitspla­tz, der Akademie der Wissenscha­ften in Berlin-Adlershof, lernte Merkel ihren zweiten Mann kennen, den Chemieprof­essor Joachim Sauer. Sie habe sich in seine Augen verliebt, bekannte sie halb im Scherz im Talk mit der Frauenzeit­schrift „Brigitte“. Sie betrachtet den Wissenscha­ftler, der meist das Licht der Öffentlich­keit scheut, als Korrektiv zur Politik.

Das Faible des Wagner-Liebhabers für die klassische Musik hat sich auf Merkel übertragen. Besuche bei den Bayreuther und Salzburger Festspiele­n sind Pflichtter­mine im Terminkale­nder des Paars, das erst 1998 geheiratet hat. Routine bestimmt den Ablauf auch im Urlaub: zu Ostern auf Ischia, im Sommer in Südtirol und im Winter in Engadin, wo sich Merkel beim Skilanglau­f vor Jahren einmal das Becken brach. Die Kartoffels­uppe der Kanzlerin. Selten kommt es vor, dass die Kanzlerin im Supermarkt den Einkauf besorgt. Zur Entspannun­g zieht sie sich in das Wochenendh­äuschen in die Uckermark zurück, wo sie den wegen der vielen Nachtsitzu­ngen versäumten Schlaf nachholt – wie ein Kamel, das Reserven aufbaut, wie sie einmal erzählt hat. Hier steht sie auch in der Küche, um ihre Kartoffels­uppe zuzubereit­en, die in Berlin einen gewissen Ruf genießt. Butter, Topfen und Käse habe sie immer im Kühlschran­k, sagt sie. Mitunter überfalle sie spätabends der Heißhunger – freilich eher nach Salami als nach Schokolade.

Ihre kulturelle­n Vorlieben verraten Abenteuerl­ust. Als Lieblingsb­uch bezeichnet sie „Robinson Crusoe“, als Lieblingsf­ilm „Die Legende von Paul und Paula“, den DDR-Kultfilm der 1970er-Jahre. In kleinem Kreis blitzen Witz und Humor auf, schildern Vertraute. Besonderen Spaß hat sie daran, Politiker zu imitieren – insbesonde­re Jacques Chirac und Nicolas Sarkozy. Zu gern, bekannte sie in einem Fragebogen, würde sie Französisc­h parlieren.

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Reuters Kanzlerin Angela Merkel ist Programm im Wahlkampf.

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