Wien ist noch nicht ganz Chicago geworden
In den USA ist Negative Campaigning gang und gäbe. Und bei uns Dirty Campaigning in aller Munde. Aber ist der Wahlkampf wirklich so schmutzig? Eine kleine Geschichte der politischen Untergriffe – mit Boomerang-Effekt.
Ein kleines Mädchen steht auf einer Wiese, Vögel zwitschern, es zupft Blätter von einer Blume – plötzlich geht sein Zählen in einen martialischen Countdown über, die Kamera zoomt auf „Daisy“, eine Atombombe explodiert. Das, suggerierte der Spot des demokratischen Präsidentschaftskandidaten, Lyndon B. Johnson, blühe den USA, wenn sein Herausforderer, Barry Goldwater, die Wahl gewinnt. Dass Goldwater verlor, führten viele Politikexperten auf diesen TV-Spot zurück. Die „Erfolgsstory“der Negativkampagnen begann im Jahr 1964 mit ebendiesem „Daisy-Spot“.
In den USA sind Schmutzkübelkampagnen (Smear Campaigns) so selbstverständlich und verbreitet, dass man einen Kandidaten vermutlich gar nicht richtig ernst nehmen würde, gäbe es keine wilden Gerüchte über und persönliche Attacken gegen ihn. Im Präsidentschaftswahlkampf 2008, als der Republikaner John McCain gegen den Demokraten Barack Obama antrat, untersuchte ein Werbeinstitut die geschalteten Anzeigen und TV-Spots und kam zu einem bemerkenswerten Ergebnis: Mehr als 70 Prozent der republikanischen Anzeigen beinhalteten direkte Attacken auf Obama. Der Demokrat war nicht viel zurückhaltender: Bei ihm waren es etwa 60 Prozent.
In Österreich ist der Trend zwar angekommen, aber noch nicht in den Dimensionen wie in den USA. Es heißt zwar nun an allen Ecken und Enden „Dirty Campaigning!“, aber was man bisher gesehen hat, war vor allem Negative Campaigning – und das auch nicht in amerikanischer Reinkultur.
Dabei sah es zu Beginn der SPÖKampagne ganz danach aus, als würden sich amerikanische Gepflogenheiten nun auch im österreichischen Wahlkampf durchsetzen. Als Leiter der Kampagne der Sozialdemokraten wurde Stefan Sengl engagiert, der schon jene von Heinz Fischer im Präsidentschaftswahlkampf 2010 geleitet hatte. Sengl hat USA-Erfahrung, und es war absehbar, wohin die Reise geht. Negative Camapaigning wie aus dem Lehrbuch: Man nimmt ein Faktum her und spitzt es zu. Also: Man nimmt eine Studie aus dem Finanzministerium, in der durchgerechnet wurde, ob Hartz IV auf Österreich umlegbar sei. Und insinuiert, dass dies drohen würde, wenn Sebastian Kurz Kanzler wird. Kommt Öxit. Im Präsidentschaftswahlkampf des Vorjahrs hat sich Sengl, der die Privatkampagne von Hans Peter Haselsteiner für Alexander Van der Bellen konzipiert hat, das Faktum zunutze gemacht, dass die Reaktion der FPÖ nach dem Brexit uneindeutig war. Da konnte Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer dann noch so oft betonen, dass er nicht für einen EU-Austritt Österreichs sei, der Öxit blieb an ihm picken. Die ganze Haselsteiner-Kampagne („Kommt Hofer. Kommt Öxit“) war darauf ausgerichtet.
Allerdings: Mit dem maßgeblichen SPÖ-Wahlkampfberater, dem hemdsärmeligen Tal Silberstein, verstand sich der stets elegant gekleidete Sengl nun nicht wirklich und trat bald wieder ab. Silberstein war unter anderem für eine härtere Gangart in Sachen Zuwanderung und Sicherheit. Und bei Silberstein ist die Grenze zwischen Negative und Dirty Campaigning fließend. Die ÖVP bezichtigt ihn, für das Gerücht um die Schüssel-Pflegerin im Wahlkampf 2006 verantwortlich zu sein. Offensichtlich war jedenfalls Silbersteins Negative Campaigning im 2006er-Wahlkampf: Die ÖVP wurde der Lüge bezichtigt, ihr wurde unterstellt, etwa das Schulgeld wieder einführen zu wollen, und legendär wurde das Eurofighter-Sujet „Hier fliegt ihre Pensionserhöhung“.
In der ÖVP rechnete man daher schon länger mit einem Dirty-Campaigning-Tiefschlag Silbersteins. Nur er kam (bisher) nicht. Was es gab, war, wie sich nun herausstellte, das Konzept eines Anti-Kurz-Spots, in dem Jörg Haiders „Buberlpartie“von einst mit der heutigen Entourage von Sebastian Kurz gleichgesetzt wurde. Auch hier kann man natürlich streiten: Ist das schon dirty oder nur negative? Ähnliches gilt für die Anwürfe des ÖVP-Kandidaten Efgani Dönmez gegen Christian Kern und ORF-Moderator Tarek Leitner. Wobei hier der Schuss auch nach hinten losging, da Dönmez schlechter Recherche überführt wurde.
Kurz und die »Buberlpartie«: Ist das schon Dirty oder nur Negative Campaigning?
Letztlich gab es dann doch noch ein wenig Dirty Campaigning – allerdings innerhalb der SPÖ. Vorige Woche wurde das Memo eines vormals engen Mitarbeiters von Alfred Gusenbauer, der heute für den Immobilienunternehmer Rene´ Benko tätig ist, an Tal Silberstein publik. Die beiden hatten im Wahlkampf 2006 eng zusammengearbeitet. Der Gusenbauer-Sekretär hielt in dieser Analyse fest, dass die SPÖ nicht kampagnenfähig sei und deren Bundesgeschäftsführer Georg Niedermühlbichler mehr oder weniger unfähig. Von den SPÖ-Ministern könne man eigentlich nur Hans Peter Doskozil herzeigen, manche, wie Muna Duzdar, sollte man überhaupt besser vor der Öffentlichkeit verstecken. Allerdings schrieb er das zu einer Zeit, als Pamela Rendi-Wagner noch nicht Ministerin war, die heute neben Kern und Doskozil die zentrale Figur des SPÖWahlkampfs nach außen ist. Das Schwarze-Baby-Gerücht. Das ist freilich nichts gegen die Verhältnisse in den USA. Wie das Beispiel des republikanischen Kampfs um die Präsidentschaftsnominierung im Jahr 2000 zeigt. John McCain führte damals in vielen Umfragen. Plötzlich tauchten Gerüchte auf, er habe ein außereheliches Kind mit einer Afroamerikanerin. Das Schwarze-Baby-Gerücht kam vor allem bei den Wählern im Süden nicht gut an. McCain verlor bei den Vorwahlen den wichtigen Bundesstaat South Carolina. Gewonnen hat am Ende George W. Bush.