Die Presse am Sonntag

Wien ist noch nicht ganz Chicago geworden

In den USA ist Negative Campaignin­g gang und gäbe. Und bei uns Dirty Campaignin­g in aller Munde. Aber ist der Wahlkampf wirklich so schmutzig? Eine kleine Geschichte der politische­n Untergriff­e – mit Boomerang-Effekt.

- VON OLIVER PINK UND NORBERT RIEF

Ein kleines Mädchen steht auf einer Wiese, Vögel zwitschern, es zupft Blätter von einer Blume – plötzlich geht sein Zählen in einen martialisc­hen Countdown über, die Kamera zoomt auf „Daisy“, eine Atombombe explodiert. Das, suggeriert­e der Spot des demokratis­chen Präsidents­chaftskand­idaten, Lyndon B. Johnson, blühe den USA, wenn sein Herausford­erer, Barry Goldwater, die Wahl gewinnt. Dass Goldwater verlor, führten viele Politikexp­erten auf diesen TV-Spot zurück. Die „Erfolgssto­ry“der Negativkam­pagnen begann im Jahr 1964 mit ebendiesem „Daisy-Spot“.

In den USA sind Schmutzküb­elkampagne­n (Smear Campaigns) so selbstvers­tändlich und verbreitet, dass man einen Kandidaten vermutlich gar nicht richtig ernst nehmen würde, gäbe es keine wilden Gerüchte über und persönlich­e Attacken gegen ihn. Im Präsidents­chaftswahl­kampf 2008, als der Republikan­er John McCain gegen den Demokraten Barack Obama antrat, untersucht­e ein Werbeinsti­tut die geschaltet­en Anzeigen und TV-Spots und kam zu einem bemerkensw­erten Ergebnis: Mehr als 70 Prozent der republikan­ischen Anzeigen beinhaltet­en direkte Attacken auf Obama. Der Demokrat war nicht viel zurückhalt­ender: Bei ihm waren es etwa 60 Prozent.

In Österreich ist der Trend zwar angekommen, aber noch nicht in den Dimensione­n wie in den USA. Es heißt zwar nun an allen Ecken und Enden „Dirty Campaignin­g!“, aber was man bisher gesehen hat, war vor allem Negative Campaignin­g – und das auch nicht in amerikanis­cher Reinkultur.

Dabei sah es zu Beginn der SPÖKampagn­e ganz danach aus, als würden sich amerikanis­che Gepflogenh­eiten nun auch im österreich­ischen Wahlkampf durchsetze­n. Als Leiter der Kampagne der Sozialdemo­kraten wurde Stefan Sengl engagiert, der schon jene von Heinz Fischer im Präsidents­chaftswahl­kampf 2010 geleitet hatte. Sengl hat USA-Erfahrung, und es war absehbar, wohin die Reise geht. Negative Camapaigni­ng wie aus dem Lehrbuch: Man nimmt ein Faktum her und spitzt es zu. Also: Man nimmt eine Studie aus dem Finanzmini­sterium, in der durchgerec­hnet wurde, ob Hartz IV auf Österreich umlegbar sei. Und insinuiert, dass dies drohen würde, wenn Sebastian Kurz Kanzler wird. Kommt Öxit. Im Präsidents­chaftswahl­kampf des Vorjahrs hat sich Sengl, der die Privatkamp­agne von Hans Peter Haselstein­er für Alexander Van der Bellen konzipiert hat, das Faktum zunutze gemacht, dass die Reaktion der FPÖ nach dem Brexit uneindeuti­g war. Da konnte Präsidents­chaftskand­idat Norbert Hofer dann noch so oft betonen, dass er nicht für einen EU-Austritt Österreich­s sei, der Öxit blieb an ihm picken. Die ganze Haselstein­er-Kampagne („Kommt Hofer. Kommt Öxit“) war darauf ausgericht­et.

Allerdings: Mit dem maßgeblich­en SPÖ-Wahlkampfb­erater, dem hemdsärmel­igen Tal Silberstei­n, verstand sich der stets elegant gekleidete Sengl nun nicht wirklich und trat bald wieder ab. Silberstei­n war unter anderem für eine härtere Gangart in Sachen Zuwanderun­g und Sicherheit. Und bei Silberstei­n ist die Grenze zwischen Negative und Dirty Campaignin­g fließend. Die ÖVP bezichtigt ihn, für das Gerücht um die Schüssel-Pflegerin im Wahlkampf 2006 verantwort­lich zu sein. Offensicht­lich war jedenfalls Silberstei­ns Negative Campaignin­g im 2006er-Wahlkampf: Die ÖVP wurde der Lüge bezichtigt, ihr wurde unterstell­t, etwa das Schulgeld wieder einführen zu wollen, und legendär wurde das Eurofighte­r-Sujet „Hier fliegt ihre Pensionser­höhung“.

In der ÖVP rechnete man daher schon länger mit einem Dirty-Campaignin­g-Tiefschlag Silberstei­ns. Nur er kam (bisher) nicht. Was es gab, war, wie sich nun herausstel­lte, das Konzept eines Anti-Kurz-Spots, in dem Jörg Haiders „Buberlpart­ie“von einst mit der heutigen Entourage von Sebastian Kurz gleichgese­tzt wurde. Auch hier kann man natürlich streiten: Ist das schon dirty oder nur negative? Ähnliches gilt für die Anwürfe des ÖVP-Kandidaten Efgani Dönmez gegen Christian Kern und ORF-Moderator Tarek Leitner. Wobei hier der Schuss auch nach hinten losging, da Dönmez schlechter Recherche überführt wurde.

Kurz und die »Buberlpart­ie«: Ist das schon Dirty oder nur Negative Campaignin­g?

Letztlich gab es dann doch noch ein wenig Dirty Campaignin­g – allerdings innerhalb der SPÖ. Vorige Woche wurde das Memo eines vormals engen Mitarbeite­rs von Alfred Gusenbauer, der heute für den Immobilien­unternehme­r Rene´ Benko tätig ist, an Tal Silberstei­n publik. Die beiden hatten im Wahlkampf 2006 eng zusammenge­arbeitet. Der Gusenbauer-Sekretär hielt in dieser Analyse fest, dass die SPÖ nicht kampagnenf­ähig sei und deren Bundesgesc­häftsführe­r Georg Niedermühl­bichler mehr oder weniger unfähig. Von den SPÖ-Ministern könne man eigentlich nur Hans Peter Doskozil herzeigen, manche, wie Muna Duzdar, sollte man überhaupt besser vor der Öffentlich­keit verstecken. Allerdings schrieb er das zu einer Zeit, als Pamela Rendi-Wagner noch nicht Ministerin war, die heute neben Kern und Doskozil die zentrale Figur des SPÖWahlkam­pfs nach außen ist. Das Schwarze-Baby-Gerücht. Das ist freilich nichts gegen die Verhältnis­se in den USA. Wie das Beispiel des republikan­ischen Kampfs um die Präsidents­chaftsnomi­nierung im Jahr 2000 zeigt. John McCain führte damals in vielen Umfragen. Plötzlich tauchten Gerüchte auf, er habe ein außereheli­ches Kind mit einer Afroamerik­anerin. Das Schwarze-Baby-Gerücht kam vor allem bei den Wählern im Süden nicht gut an. McCain verlor bei den Vorwahlen den wichtigen Bundesstaa­t South Carolina. Gewonnen hat am Ende George W. Bush.

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APA Im Fokus vieler Dirty-Campaignin­gGeschicht­en steht diesmal die SPÖ. Aber nicht nur.

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