Die Presse am Sonntag

Der ewige Kampf um Simmering

Mit der Nationalra­tswahl lebt der rot-blaue Kampf um den symbolträc­htigen Arbeiterbe­zirk wieder auf. Für die SPÖ geht es um die Rückerober­ung des Heimatbezi­rks des Kanzlers.

- VON MARTIN STUHLPFARR­ER

Wieder einmal Simmering. In jedem Wahlkampf richtet sich der Fokus auf den (früher) tiefroten Arbeiterbe­zirk, der wie kein anderer Teil Österreich­s für den Aufstieg, die Probleme und die Niederlage­n der österreich­ischen Sozialdemo­kratie steht. Ein Bezirk, an dem sich nicht nur der Zustand der mächtigste­n roten Landespart­ei unter Bürgermeis­ter Michael Häupl ablesen lässt, sondern jener der gesamten SPÖ.

Diesmal ist etwas anders. Es steht nicht die Frage im Raum, ob Simmering fällt, ob ein Anti-Ausländerw­ahlkampf der FPÖ in den Gemeindeba­uten viele Menschen mit Abstiegsän­gsten zu Heinz-Christian Strache überlaufen lässt. Denn Simmering ist bereits gefallen.

Bei der Wien-Wahl 2015 verlor die SPÖ in ihrer einstigen Hochburg mehr als acht Prozent, während die FPÖ um fast acht Prozent zulegen konnte. Seitdem regiert dort Paul Stadler – der erste FPÖ-Bezirksvor­steher in Wien. „Hier in Simmering können wir beweisen, dass wir auch regieren können“, meint Stadler auch in Anspielung auf die Zeit nach dem 15. Oktober.

Während des Wien-Wahlkampfs 2015 war Parteichef Heinz-Christian Strache noch oft in Simmering. „Um den roten Bezirk zu drehen“, wie innerhalb der FPÖ damals zugegeben wurde. Nun wird Strache nicht in Simmering auftauchen, sondern „nur“ExPräsiden­tschaftska­ndidat Norbert Hofer. Dazu meint Stadler, der sich gern als Sachpoliti­ker beschreibt, durchaus selbstbewu­sst: „Ich bin das Zugpferd im Bezirk.“Nachsatz: „Wir werden Simmering halten.“

Für die FPÖ geht die Bedeutung von Simmering weit über die Grenzen des rund 100.000-Einwohner-Bezirks hinaus. „Es ist der erste Bezirk in Wien, in dem wir zeigen können, was wir kön- nen“, erklärt Stadler, der als Karosserie­spengler und Installate­ur tätig war. Und nach einer Pause fügt Stadler ironisch hinzu: „Die SPÖ macht sowieso alles, damit sie nicht gewinnt.“Eine Anspielung auf die roten Flügelkämp­fe und die rot-blauen Auseinande­rsetzungen über die Einführung eines Parkpicker­ls bzw. die Turbulenze­n um die Parkpicker­lbefragung in Simmering. Ungewohnte Rolle. Die SPÖ ist im elften Wiener Gemeindebe­zirk in einer ungewohnte­n Rolle. Erstmals tritt sie in dem Arbeiterbe­zirk, der von sozialem Wohnbau geprägt ist, als Herausford­erer an – rund zwei Jahre, nachdem Bürgermeis­ter und SPÖ-Chef Michael Häupl (sofort nach der Wien-Wahl 2015) verkündet hatte: Mit dem heutigen Tag beginne die Rückerober­ung von Simmering. Dabei geht es für die SPÖ nicht nur um die Rückerober­ung eines Bezirks, der wie kaum ein anderer für das Rote Wien steht. Es geht um die Rückerober­ung des Heimatbezi­rks von Bundeskanz­ler Christian Kern.

Passiert ist seit Häupls Ankündigun­g im Jahr 2015 allerdings nichts. Zumindest nichts öffentlich Wahrnehmba­res. Ausgenomme­n einer Diskussion zwischen der SPÖ-Zentrale und dem Simmeringe­r SPÖ-Chef Harald Troch, wer jetzt für diese Rückerober­ung zuständig sei. „Ich erwarte mir, dass es vom Rathaus Unterstütz­ung im Bereich von Infrastruk­tur, Kultur und sozialer Infrastruk­tur gibt“, meint dazu Troch zur „Presse am Sonntag“: „Man muss auch in Vorstadt-Bezirke investiere­n“, nicht nur in Prestigepr­ojekte innerhalb des Gürtels. Als „Schritt in die richtige Richtung“lobt der Nationalra­tsabgeordn­ete den jetzigen Vorstoß von Stadträtin Ulli Sima zum Ausbau der Straßenbah­nverbindun­g in Simmering. Für die Wahl ist Troch, der Flyer mit herber Kritik an FPÖ-Bezirksche­f Stadler verteilt, optimistis­ch: „Wir werden Platz eins erreichen.“

Nach der Wien-Wahl 2015 präsentier­te sich Simmering als „Swing State“. Im ersten Wahldurchg­ang der Bundespräs­identenwah­l stimmten mehr als 40 Prozent für FPÖ-Kandidat Norbert Hofer – nur 16,5 Prozent für Rudolf Hundstorfe­r (SPÖ). Im zweiten Wahlgang wurde Simmering grün und Alexander Van der Bellen siegte mit 52 Prozent. Im Bezirkspar­lament verfügen SPÖ und FPÖ (nach einem FPÖ-Abgang) über 25 Mandate – bei insgesamt 60 Mandaten spielen ÖVP und Grüne, die bei der Wien-Wahl nur um die fünf Prozent erreichten, keine Rolle.

Der Verlust von Simmering hatte 2015 die roten Flügelkämp­fe angeheizt. Also die Auseinande­rsetzung zwischen den liberal-urbanen, grünaffine­n Innenstadt­bezirken und den bevölkerun­gsreichen Flächenbez­irken, die gegen die FPÖ kämpfen und deshalb eine politische Neuausrich­tung der Wiener SPÖ forderten – weg von dem rot-grünen „Refugees Welcome“, das in den Arbeiter- und Außenbezir­ken nicht mehrheitsf­ähig ist, hin zu einer strengeren Linie im Migrations­bereich. Kein Zufall, dass Harald Troch zu jener Gruppe um Ex-Parteimana­ger Christian Deutsch gehört, die eine Neuausrich­tung der Partei fordert. Und Michael Häupl eine Nachfolger­egelung samt Amtsüberga­be nahegelegt hatte. Also den Rücktritt.

Kein Bezirk demonstrie­rt den Aufstieg und die Probleme der SPÖ besser als Simmering. Simmering als »Swing State«: Jahrzehnte rot, im Jahr 2015 blau und ein Jahr später grün.

Kein Ausländerw­ahlkampf. Mit einer Skurrilitä­t kann der Wahlkampf in Kanzler Kerns Heimat aber aufwarten. Das Match lautet zwar SPÖ gegen FPÖ – einen blauen Flüchtling­swahlkampf wird es dort, auf lokaler Ebene, aber nicht geben, erklärt Stadler: „Wir haben kaum welche.“Die meisten Flüchtling­sheime seien bereits aufgelöst worden.

Und das traditione­lle AusländerT­hema der FPÖ? „Man darf Flüchtling­e nicht mit Migranten verwechsel­n“, hält Stadler fest. Und weicht damit von der FPÖ-Bundeslini­e ab, in der die Ereignisse von 2015 als „Massenzuwa­nderung“(ins Sozialsyst­em, Anm.) bezeichnet werden. Darauf angesproch­en meint Stadler: „Nicht alle in der FPÖ haben immer eine Freude mit mir.“

Newspapers in German

Newspapers from Austria