Sprachgewaltige Poetin und verzweifelt Liebende
Die ãei©en Gesichter einer Künstlerin: eine r´tselhŻfte Intellektuelle voller Sinnlichkeit un© eine zerrissene FrŻu Żuf ©er st´n©igen Suche nŻch ©er Lieãe. Ihre ©ichterische KrŻft erheãt sich unŻuf©ringlich wie unüãerhörãŻr, loãte mŻn ©ie junge Ingeborg B
Der Wagen ist für den kleinen Mann ein bestechender Anreiz. Er hat einen Heckmotor mit einem Hubraum von 638 Kubikzentimetern – seine effektive Potenz beträgt 21,5 PS.“Die Beschreibung des 1955 präsentierten neuen Fiat 600, dessen „Höchstgeschwindigkeit bei 100 Stundenkilometern liegen soll“, stammt nicht von einem Motorjournalisten – sondern von einer schon damals hochgelobten Lyrikerin, von Ingeborg Bachmann. Michael Horowitz
Bereits zwei Jahre zuvor steigt sie als neue Hoffnung am Firmament der deutschsprachigen Literatur auf: 1953 verdankt Bachmann ihren kleinen Gedichten den begehrten Literaturpreis der Gruppe 47, einer Art Herrenklub der Dichter, bevor überhaupt ein Werk von ihr erschienen ist. Die Gedichte „des schönen Mädchens, flirrend in der Bescheidenheit eines Menschen, der noch nicht sehr lang schreibt“, ihre zaghafte, sanfte Stimme, gefallen den strengen Juroren. Wenig später erscheinen jene Gedichte in ihrem ersten schmalen, schwarz lackierten Band „Die gestundete Zeit“– als Antipode zur realistischen Trümmerliteratur.
Es sind Verse von Abschied, Trauer und Verzicht mit einer dichterischen Kraft, die sich „ebenso unaufdringlich wie unüberhörbar erhebt“. Im August 1954 landet die junge Diva der Dichtkunst auf dem Cover des Magazins „Der Spiegel“. Und Kritikerlegende Joachim Kaiser meint, Ingeborg Bachmann sei da gewesen, „als die Nachkriegsliteratur in der Gefahr schwebte, an kargem Trümmerrealismus zu scheitern, das Poetische zu verlernen . . . “ Lebhafter Journalismus. Doch unter dem unauffälligen Pseudonym Ruth Keller verfasst die Hochgelobte Mitte der 1950er-Jahre weiterhin für Radio Bremen Beiträge über Chaos und Kapriolen des römischen Lebens, über die Schattenseiten des Dolce Vita – eine Dichterin auf Journalistenpfaden. Der „rasende Reporter“Egon Erwin Kisch hätte an Ruth Kellers italienischen Alltagsthemen seine Freude gehabt: mysteriöse Mafiakriminalfälle, Parteiintrigen, ein Polizeipräsident auf amourösen Abwegen und auch die Beschreibung einer „Verkehrsrevolution“, die der neue Fiat 600 ausgelöst hat. Und der launige Bericht über einen anderen Mythos: den „Star Nummer eins der Republik – Gina Lollobrigida“. Ihre römischen Skizzen sind immer von leb- Geburt. Am 25. Juni in KlŻgenfurt geãoren. Durchbruch. BŻchmŻnn erh´lt ©en ãegehrten LiterŻturpreis ©er Gruppe 47, ihr EssŻy üãer Lu©wig Wittgenstein erscheint eãenso wie ihr erster Ge©ichtãŻn© Die gestundete Zeit. Liebe & Krankheit. Sie lernt ihre große Lieãe un© sp´tere „KrŻnkheit“MŻx Frisch kennen. DŻs große PŻŻr ©er ©eutschsprŻchigen LiterŻtur ãleiãt für vier JŻhre ein LieãespŻŻr un© für ©en Rest ihres Leãens ein TrennungspŻŻr. Auszeichnung. Georg-BüchnerPreis. Vier JŻhre sp´ter erh´lt sie ©en Großen Österreichischen StŻŻtspreis. Tod. Die tŻãlettensüchtige Schriftstellerin ist mit einer ãrennen©en ZigŻrette im Bett eingeschlŻfen. haftem Journalismus geprägt – ohne dichterische Skrupel.
Zufrieden telegrafiert die Schriftstellerin, die von einer finanziellen Notlage in die nächste schlittert, dem Rundfunkredakteur nach Erhalt der monatlichen Pauschale von 200 – manchmal auch 300 – Mark auf das römische Konto von Dr. Ingeborg Bachmann, Piazza della Quercia 1: „Hab vielen Dank für die Lebensrettung.“
Italien ist für die labile Literatin zur zweiten, wenn nicht zur wahren Heimat geworden. Ihr Interesse für die Kultur, aber auch für die Politik des Landes, ihre Sehnsucht nach dem Süden, ist schon während ihrer Jugend geweckt worden: Sie wächst in Kärnten „wenige Kilometer von der italienischen Grenze“entfernt auf und beherrscht die italienische Sprache schon bald perfekt.
Eine Szene wie aus einem FelliniFilm: Eines Nachts wird Signorina Bachmann von zwei Carabinieri aus ihrer kleinen Wohnung in einem Palazzino auf der Piazza della Quercia herausgeläutet: Das nächtliche Schreibmaschinengeklapper sei für die Anrainer eine Zumutung. Still und scheu in Ausdruck und Sprache holt die Signorina die kleine Kofferschreibmaschine mit ein paar Zeilen auf dem eingespannten Papier aus der Wohnung – so klein sei der Lärmapparat, und sie müsse nachts arbeiten, nur da kämen die Gedanken: Die Polizeiorgane zeigen Verständnis: „Oh, poeta!“Beim Rückzug schütteln die Carabinieri den Kopf: „So ein kleines Gedicht und so viel Lärm.“
Rom ist für Ingeborg Bachmann nicht die ewige, sondern eine „selbstverständliche Stadt“. In der chaotischen Metropole, in der der Duft der Pinien und Oleander gegen den „Geruch von Unrat und Verwesung“nicht ankommt, fühlt sie sich zu Hause: „Ich habe gelernt, Gebrauch von meinen Augen zu machen, habe Schauen gelernt. In Italien esse ich gern, gehe ich gerne über eine Straße, sehe ich gerne Menschen an.“Es ist das visuelle Erlebnis des Südens, das schon lang zuvor Generationen von Künstlern nach Italien gelockt hat. Goethe schreibt bereits 1786 über seine Liebe zu Rom: „Täglich frische, große seltsame Bilder und ein Ganzes, das man sich lange denkt und träumt, nie mit der Einbildungskraft erreicht.“
Die im Juni 1926 in Klagenfurt geborene Ingeborg ist ein zartes, kränkliches Mädchen, das von ihren Mitschü- lerinnen Elfchen genannt wird. Eine ihrer Freundinnen nennt sie Eule – sie sollte später diesem Vogel der Weisheit ein Gedicht widmen. Ingeborg kommt mit ihrem Elternhaus nicht zurecht. „Nein, mit den Erwachsenen kann man nicht reden“, schreibt sie als Achtzehnjährige und will sich trotz der na-
ItŻlien ist für ©ie LiterŻtin zur zweiten, wenn nicht wŻhren HeimŻt gewor©en. Der EinmŻrsch ©er NŻzis in KlŻgenfurt: Die »erste KŻtŻstrophe« ihres Leãens.
henden Bombenangriffe in den Garten zurückziehen und lesen. Bereits in einem Alter, in dem man „Grimms Märchen“liest, fängt sie an, Musik zu komponieren und zu schreiben. Und sie liegt „gerne am Bahndamm, schickt ihre Gedanken auf die Reise, in fremde Städte und Länder und an das unbekannte Meer, das irgendwo mit dem Himmel den Erdkreis schließt“.