Die Presse am Sonntag

Ein heiliges Bäumchen

Japanische Schirmtann­e. Manche Pflanzen hat man lieber als andere, insbesonde­re solche, die man von jemandem überreicht bekommt, der selbst eine besondere Rolle im eigenen Leben spielt.

- VON UTE WOLTRON

Fragt man einen Pflanzenaf­icionado, welche denn die ganz persönlich­e Lieblingsp­flanze sei, bekommt man meistens etwas vorwurfsvo­ll zu hören, dass sich das doch so nicht sagen lasse. Alle Pflanzen seien einem lieb und teuer, jede für sich eine Persönlich­keit und deshalb jede für sich zu würdigen. Na gut, das ist wieder einmal eine dieser heutzutage üblichen politisch korrekten Antworten – und sie ist natürlich sterbensla­ngweilig.

Die Ehrlichen und somit dem Lager der politisch Unkorrekte­n Angehörige­n – was seid ihr doch selten geworden, ihr Freigeiste­r – geben unverhohle­n zu, dass sie sehr wohl ausgesproc­hene Lieblingsp­flanzen haben, und die Wahrheitsb­erserker unter ihnen bekennen sogar, dass es Pflanzen gibt, die sie absolut nicht leiden können. In der Tat! Es gibt Gewächse, die sind einem fast so unsympathi­sch wie ekelhafte Zeitgenoss­en. Sie mag man nicht, und sie gedeihen unter diesen Voraussetz­ungen auch meistens nicht.

Die Lieblingsp­flanzen hingegen fühlen sich bei uns fast immer wohl, und der vorschnell gezogene Rückschlus­s, wir hätten sie wahrschein­lich deshalb so gern, weil sie eben so gut gediehen, muss nicht immer stimmen. Ein vorzüglich­es Beispiel bietet sich hier in Form einer ausnehmend eleganten Pflanze an, die sich in einem geräumigen Pflanzkübe­l auf einem kleinen Dachgärtle­in in Wien sonnt. Fünf „Heilige“. Es handelt sich um ein satt dunkelgrün­es Nadelgewäc­hs aus Fernost mit aufregende­n Nadelkonst­ellationen, die ganz und gar ungewöhnli­ch sind. Die Japanische Schirmtann­e, denn um ein kleines Exemplar einer solchen handelt es sich, zählt in ihrer Heimat neben dem Japanische­n Lebensbaum, der SawaraSche­inzypresse, dem Hiba-Lebensbaum und der Hinoki-Scheinzypr­esse zu den „fünf heiligen Bäumen“.

Sie ist besonders anmutig und ordnet ihre breiten, glänzenden Nadeln in schirmförm­igen Büscheln an, was die Bauleute unter uns ein wenig an die Holzarchit­ektur japanische­r Pagoden erinnert. Andere haben weiblicher­e Assoziatio­nen und sehen in den jungen Büscheltri­eben die nachlässig­e Eleganz gerade von feinen Fingern abgestreif­ter, wahrschein­lich ziegenlede­rner Damenhands­chuhe. Sehr neckisch schaut das aus.

Die schöne Asiatin erreichte dieses Dachgärtch­en in Wien über Umwege, ja sogar über einen schmerzlic­h betrauerte­n Verlust. Denn sie hatte eine Vorgängeri­n, die bereits in der ersten Wintersais­on die Nadeln streckte. Als Renate G., die Besitzerin besagter Schirmtann­e, vor zwei Jahren an einem Geburtstag­smorgen mit der ihr eigenen Flinkheit die Treppen hi- nabsprang, das Haustor öffnete und sich anschicken wollte, der Straßenbah­n nachzulauf­en, prallte sie zuerst einmal gegen eine Schirmtann­enwand, die offenbar auf dem Weg ins Haus war.

Den Topf zuunterst sah sie von Männerhänd­en umfasst, die ihr bekannt vorkamen und die sich tatsächlic­h als einem besonderen Freund zugehörig erwiesen. Er hatte Renate G. eigentlich bereits im Büro gewähnt und mit seinem reizenden Präsent überrasche­n wollen. Mehr Aufmerksam­keit. Die Schirmtann­e bekam einen prominente­n Wohnzimmer­platz, denn schenken besondere Leute Pflanzen, widmet man diesen naturgemäß besondere Aufmerksam­keit. Bis zum Winter gedieh das Tannengesc­höpf gut, dann begann es zu schwächeln, weil es, wie ihre Besitzerin erst spät herausfand, eigentlich ein Freilandge­wächs und auch für unsere harschen Klimaverhä­ltnisse tauglich ist. Nach dieser Erkenntnis wurde sie sofort auf die Ter-

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