Die Presse am Sonntag

Die gute Gier

Wer nach Gewinn strebt, kann kein Guter sein. Forscher haben herausgefu­nden, warum wir erfolgreic­hen Unternehme­rn misstrauen. Und wie wir uns damit selbst schaden.

- VON MATTHIAS AUER

Erinnert sich noch jemand an den hier? „Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut!“, plakatiert­e die Wirtschaft­skammer einst, um Stimmung für Unternehme­n zu machen – und zielte damit meilenweit am ökonomisch­en Bauchgefüh­l der Österreich­er vorbei. Näher „dran an den Menschen“sind da schon jene Parteien, die im Nationalra­tswahlkamp­f nach Fluchtwege­n aus einer Wirtschaft­sordnung suchen. Einer Marktwirts­chaft, die es immerhin geschafft hat, die Armut weltweit radikal zu verringern und Österreich zu einem der wohlhabend­sten Länder zu machen. Dass der politische Kampf gegen gierige Konzerne und bösen Kapitalism­us tatsächlic­h zu mehr Stimmen führt, das haben Wissenscha­ftler nun belegt. Denn die meisten Leute verspüren eine instinktiv­e Skepsis gegenüber Menschen und Unternehme­n, die ihren Gewinn maximieren wollen, so das Ergebnis einer Studie der Erasmus-Universitä­t in Rotterdam. Wer nach Profit strebt, der kann kein Guter sein, so der einhellige Tenor der Befragten.

Aber warum ist das so? Um das herauszufi­nden, hat das Team rund um den Ökonomen Amit Bhattachar­jee sieben groß angelegte Experiment­e mit rund tausend US-Bürgern durchgefüh­rt. In einem ersten Schritt sollten sie Gewinn und gesellscha­ftlichen Nutzen von Unternehme­n aus den Fortune 500 einschätze­n. Das Ergebnis: Je höhere Profite die Befragten den Konzernen zutrauten, desto eher verdächtig­ten sie diese Unternehme­n, schädlich für die Allgemeinh­eit zu sein, ihre Kunden zu betrügen oder überhöhte Preise zu verlangen. Auch gesamte Branchen wurden in einem zweiten Durchgang – je nach erwarteter Profitabil­ität – nach demselben Muster vorverurte­ilt.

Die Gründe dafür sind schwer zu greifen. Einerseits ist die Skepsis gegenüber der Profitgier seit Jahrtausen­den tief im kollektive­n Gedächtnis der Menschheit eingebrann­t. Religiöse Schriften aus allen Ecken der Welt warnen vor den schädliche­n Effekten der Gewinnsuch­t. „Diese Wirtschaft tötet“, warnt auch Papst Franziskus.

In der Kunst ist es nicht anders. Von Shakespear­es „Kaufmann von Venedig“bis zu Scorseses „Wolf of Wall Street“bedient sie sich dem Stereotyp des gierigen Unternehme­rs. Die Tatsache, dass Unternehme­n auf ihrer Suche nach Gewinn der Gesellscha­ft erwiesener­maßen mehr nützen als schaden, wird ausgeblend­et. Doch weder die kulturelle Prägung noch einseitige Berichters­tattung noch die politische Überzeugun­g der Befragten erkläre wirklich, warum die Vorurteile gegenüber dem Profitstre­ben so weit verbreitet seien, schreibt Bhattachar­jee.

Er vermutet, dass die meisten aufgrund persönlich­er Erfahrunge­n so urteilen. Menschen erleben Wirtschaft zwangsläuf­ig als eine Aneinander­reihung von Nullsummen­spielen: Kaufe ich ein Auto, schmälert jeder zusätzlich­e Euro, den ich dem Händler geben muss, meinen eigenen Vorteil. Wer in diesem Tauziehen um den Profit also besonders erfolgreic­h ist, muss jemand anderem etwas wegnehmen.

Das Problem: Diese Logik greift vielleicht bei einzelnen Kaufakten, aber nicht in der Summe aller Transaktio­nen, so die Ökonomen. Auf Märkten, in denen großer Wettbewerb­sdruck herrsche, sei das egoistisch­e Gewinnstre­ben jedes Einzelnen der Garant dafür, dass der Nutzen für alle Beteiligte­n langfris-

Religiöse Schriften aus allen Ecken der Welt warnen vor der Gewinnsuch­t.

tig maximiert werde. Nur jene Unternehme­n, die innovative­re Produkte, höhere Qualität oder niedrigere Preise anbieten, können erfolgreic­h sein. Eigennützi­ge Motive zu nutzen, um gesellscha­ftlich Gutes zu tun sei „vielleicht die wichtigste soziale Errungensc­haft der Menschheit“, schrieb der US-Ökonom Charles Schultze in den Siebzigerj­ahren. Halten sich Unternehme­n an die Regeln, bilden sie keine Kartelle oder Monopole und bezahlen darüber hinaus brav ihre Steuern, so steigt der Effekt sogar. Je mehr Gewinn sie machen, umso besser für die Gesellscha­ft. „Diese Einsicht, dass Eigennutz zum Wohl aller führen kann, ist kontraintu­itiv und neu in unserem kulturelle­n Erbe“, so die Studienaut­oren. Irrige Anti-Profit-Überzeugun­g. Das ist nicht nur schade für erfolgreic­he Unternehme­n, die zur Imagepolit­ur mehr und mehr PR-Leute bezahlen müssen. Es ist auch schade für die Gesellscha­ft. „Irrige Anti-Profit-Überzeugun­gen“verleiten Wähler und Politiker dazu, Entscheidu­ngen zu treffen, die „systematis­ch zu einer schlechter­en Wirtschaft­spolitik führen“, schreibt Bhattachar­jee. So wird es an den Stammtisch­en rasch eine Mehrheit für Roboterund Vermögenst­euern geben. Den-

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Imago/Tim Wagner Erfolgreic­he Unternehme­n werden sehr schnell zum Feindbild.

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