Die gute Gier
Wer nach Gewinn strebt, kann kein Guter sein. Forscher haben herausgefunden, warum wir erfolgreichen Unternehmern misstrauen. Und wie wir uns damit selbst schaden.
Erinnert sich noch jemand an den hier? „Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut!“, plakatierte die Wirtschaftskammer einst, um Stimmung für Unternehmen zu machen – und zielte damit meilenweit am ökonomischen Bauchgefühl der Österreicher vorbei. Näher „dran an den Menschen“sind da schon jene Parteien, die im Nationalratswahlkampf nach Fluchtwegen aus einer Wirtschaftsordnung suchen. Einer Marktwirtschaft, die es immerhin geschafft hat, die Armut weltweit radikal zu verringern und Österreich zu einem der wohlhabendsten Länder zu machen. Dass der politische Kampf gegen gierige Konzerne und bösen Kapitalismus tatsächlich zu mehr Stimmen führt, das haben Wissenschaftler nun belegt. Denn die meisten Leute verspüren eine instinktive Skepsis gegenüber Menschen und Unternehmen, die ihren Gewinn maximieren wollen, so das Ergebnis einer Studie der Erasmus-Universität in Rotterdam. Wer nach Profit strebt, der kann kein Guter sein, so der einhellige Tenor der Befragten.
Aber warum ist das so? Um das herauszufinden, hat das Team rund um den Ökonomen Amit Bhattacharjee sieben groß angelegte Experimente mit rund tausend US-Bürgern durchgeführt. In einem ersten Schritt sollten sie Gewinn und gesellschaftlichen Nutzen von Unternehmen aus den Fortune 500 einschätzen. Das Ergebnis: Je höhere Profite die Befragten den Konzernen zutrauten, desto eher verdächtigten sie diese Unternehmen, schädlich für die Allgemeinheit zu sein, ihre Kunden zu betrügen oder überhöhte Preise zu verlangen. Auch gesamte Branchen wurden in einem zweiten Durchgang – je nach erwarteter Profitabilität – nach demselben Muster vorverurteilt.
Die Gründe dafür sind schwer zu greifen. Einerseits ist die Skepsis gegenüber der Profitgier seit Jahrtausenden tief im kollektiven Gedächtnis der Menschheit eingebrannt. Religiöse Schriften aus allen Ecken der Welt warnen vor den schädlichen Effekten der Gewinnsucht. „Diese Wirtschaft tötet“, warnt auch Papst Franziskus.
In der Kunst ist es nicht anders. Von Shakespeares „Kaufmann von Venedig“bis zu Scorseses „Wolf of Wall Street“bedient sie sich dem Stereotyp des gierigen Unternehmers. Die Tatsache, dass Unternehmen auf ihrer Suche nach Gewinn der Gesellschaft erwiesenermaßen mehr nützen als schaden, wird ausgeblendet. Doch weder die kulturelle Prägung noch einseitige Berichterstattung noch die politische Überzeugung der Befragten erkläre wirklich, warum die Vorurteile gegenüber dem Profitstreben so weit verbreitet seien, schreibt Bhattacharjee.
Er vermutet, dass die meisten aufgrund persönlicher Erfahrungen so urteilen. Menschen erleben Wirtschaft zwangsläufig als eine Aneinanderreihung von Nullsummenspielen: Kaufe ich ein Auto, schmälert jeder zusätzliche Euro, den ich dem Händler geben muss, meinen eigenen Vorteil. Wer in diesem Tauziehen um den Profit also besonders erfolgreich ist, muss jemand anderem etwas wegnehmen.
Das Problem: Diese Logik greift vielleicht bei einzelnen Kaufakten, aber nicht in der Summe aller Transaktionen, so die Ökonomen. Auf Märkten, in denen großer Wettbewerbsdruck herrsche, sei das egoistische Gewinnstreben jedes Einzelnen der Garant dafür, dass der Nutzen für alle Beteiligten langfris-
Religiöse Schriften aus allen Ecken der Welt warnen vor der Gewinnsucht.
tig maximiert werde. Nur jene Unternehmen, die innovativere Produkte, höhere Qualität oder niedrigere Preise anbieten, können erfolgreich sein. Eigennützige Motive zu nutzen, um gesellschaftlich Gutes zu tun sei „vielleicht die wichtigste soziale Errungenschaft der Menschheit“, schrieb der US-Ökonom Charles Schultze in den Siebzigerjahren. Halten sich Unternehmen an die Regeln, bilden sie keine Kartelle oder Monopole und bezahlen darüber hinaus brav ihre Steuern, so steigt der Effekt sogar. Je mehr Gewinn sie machen, umso besser für die Gesellschaft. „Diese Einsicht, dass Eigennutz zum Wohl aller führen kann, ist kontraintuitiv und neu in unserem kulturellen Erbe“, so die Studienautoren. Irrige Anti-Profit-Überzeugung. Das ist nicht nur schade für erfolgreiche Unternehmen, die zur Imagepolitur mehr und mehr PR-Leute bezahlen müssen. Es ist auch schade für die Gesellschaft. „Irrige Anti-Profit-Überzeugungen“verleiten Wähler und Politiker dazu, Entscheidungen zu treffen, die „systematisch zu einer schlechteren Wirtschaftspolitik führen“, schreibt Bhattacharjee. So wird es an den Stammtischen rasch eine Mehrheit für Roboterund Vermögensteuern geben. Den-