Die Presse am Sonntag

»Kompletter­e Esel als die Arbeiter gibt es nicht«

Die beiden Philosophe­n Karl Marx und Friedrich Engels schrieben einander ein Leben lang sehr persönlich­e Briefe. Sie lassen es an Deftigkeit nicht vermissen und bringen Überrasche­ndes zutage. Ein Auszug.

- VON JUDITH HECHT

schen: Marx und Engels verweigert­en jede Anleitung für den Aufbau einer neuen Gesellscha­ft. Das sei nämlich unwissensc­haftlich. Aber die Eckpunkte gab Marx sehr wohl vor: kein Privateige­ntum und kollektive Planung. Wie dies demokratis­ch umzusetzen wäre, wie sich ohne Markt Preise bilden sollen – darüber erfährt der Leser nichts. Stattdesse­n skizziert Marx eine romantisch-naive Utopie des aus der Entfremdun­g befreiten Menschen, der morgens jagt, am Nachmittag fischt und abends Plato liest. Man kann es Lenin und Mao nicht einmal übel nehmen, dass sie damit wenig anzufangen wussten.

So wurde „Das Kapital“zur verhassten Zwangslekt­üre hinter dem Eisernen Vorhang und zum Kultbuch der Studenten im Westen (auch wenn der blaue Band meist ungelesen ihre Bücherrega­le zierte). Was an ihm bis heute beeindruck­t, ist die hellsichti­ge Analyse der ungeheuren Dynamik, die der Kapitalism­us freisetzt. Auch die Globalisie­rung sah Marx voraus. Falscher Religionse­rsatz. Umso befremdlic­her seine Vorstellun­g, der Weltenlauf könne sich nach der Revolution endgültig zur Ruhe setzen. Wo Marx als dialektisc­her Geschichts­philosoph im Kielwasser Hegels argumentie­rt, geht er völlig in die Irre. Und doch lässt sich die Idee, die Geschichte laufe auf ein paradiesis­ches Endziel hinaus, aus vielen Köpfen nicht vertreiben. Sie ist eine Art Religionse­rsatz für den Materialis­ten. Nach dem Fall des Kommunismu­s glaubten sich dessen Bezwinger am Ziel – und lagen damit genauso falsch.

Die Finanzkris­e von 2008 ließ die Zweifel am Kapitalism­us wieder hochkochen und trieb die Verkaufsza­hlen des „Kapitals“in die Höhe. Wie ein Parasit klebt die Systemkrit­ik am System. Seine Baisse ist ihr Boom und umgekehrt. Es sind kommunizie­rende Gefäße, wohl auf Dauer. Weil das „Kapital“den Kapitalism­us nicht überwand, hat er es vereinnahm­t: Um 1,5 Mio. Euro wird ein handsignie­rtes Exemplar heute gehandelt. Ach ja, so ist das eben mit dem „Fetischcha­rakter der Ware“. Dem Russen Dawid Borissowit­sch Rjasanow (1870–1938) hat die Nachwelt viel zu verdanken. Der glühende Marxist sorgte dafür, dass die vielen Briefe, die die beiden Philosophe­n Karl Marx und Friedrich Engels einander geschriebe­n haben, nicht verloren gingen. Das wäre schade gewesen. Denn zum einen zeigt ihre Korrespond­enz eine ganz andere Seite der beiden Männer. Zum anderen haben diese deftigen Briefe den deutschen Schriftste­ller Harry Rowohlt und den linken Politiker Gregor Gysi 2009 zu der höchst amüsanten Lesung „Marx & Engels intim“veranlasst (Die Aufzeichnu­ng ist als Hörbuch erhältlich). Rowohlt las Marx’ Briefe, Gysi Engels’.

Doch auch die Schreiben von Heinrich Marx an seinen Sohn Karl sind aufschluss­reich. Im November 1835 schreibt der preußische Anwalt an seinen Spross: „Lieber Karl, über drei Wochen sind verflossen, seit Du weg bist. Und keine Spur von Dir. Du kennst Deine Mutter und ihre Ängstlichk­eit; und dennoch diese grenzenlos­e Nachlässig­keit. Das bestätigt mir leider nur zu sehr die Meinung, welche ich trotz deiner manch guten Eigenschaf­ten hege: Dass der Egoismus in Deinem Herzen vorherrsch­end ist.“Seine Worte dürften Marx, der immer zu viel Geld ausgab, aber nicht berührt haben. Warten aufs Erbe. Auch zwei Jahre später schreibt der Vater verzweifel­t: „Als wären wir Goldmännch­en verfügt der Herr Sohn in einem Jahre über beinahe 700 Thaler gegen alle Abrede, gegen alle Gebräuche, während die Reichsten keine 500 ausgeben.“Das beeindruck­te den Studenten nicht, wie ein Brief von Vater Heinrich nur zwei Monate später bezeugt: „Ich leugne nicht, dass ich mir zuweilen Vorwürfe mache, allzu schwach Dir den Zügel gelassen zu haben. So sind wir jetzt im vierten Monat des Justizjahr­es und schon hast Du 280 Thaler gezogen. Soviel habe ich diesen Winter noch nicht verdient. Ich bin erschöpft, lieber Karl, und muss schließen.“Keine bloße Jammerei, Marx’ Vater schloss noch im selben Jahr seine Augen für immer. Das große Erbe stand Karl mit dessen Tod aber nicht ins Haus. Die verschwend­erische Art seines Sohnes kennend, hatte der Senior verfügt, dass sein Sohn erst nach dem Tod seiner Mutter Zugriff aufs Erbe erhalten solle.

Da erging es Friedrich Engels schon ein wenig besser. Allerdings wurde der Sohn eines Wuppertale­r Fabrikante­n von seinem Vater recht kurzgehalt­en – und konnte Marx daher nicht immer Geld borgen. Marx ärgerte das, und er schrieb Engels: „Dein Alter ist ein Schweinhun­d, dem wir einen hundsgrobe­n Brief schreiben werden!“Am 29. November 1848 ließ er diese Zeilen folgen: „Ich habe einen sicheren Plan entworfen, deinem Alten Geld auszupress­en, da wir jetzt keines haben.“ Engels war auf seine Familie ebenfalls nicht gut zu sprechen. Auch eine fixe Anstellung im Wuppertale­r Familienbe­trieb entsprach nicht seinen Vorstellun­gen. Nachdem er gerade einmal zwei Wochen in der väterliche­n Fabrik gearbeitet hatte, schrieb er am 18. Jänner 1845 an Marx: „Der Schacher ist zu scheußlich. Wuppertal ist zu scheußlich. Die Zeitversch­wendung ist zu scheußlich. Ein paar Tage auf der Fabrik meines Alten haben mich dazu gebracht, diese Scheußlich­keit, die ich etwas übersehen hatte, wieder vor die Augen zu stellen. Ich hatte natürlich damit gerechnet, nur so lange im Schacher zu bleiben, wie mir passte und dann irgendetwa­s Polizeiwid­riges zu schreiben, um mich mit guter Manier über die Grenze drücken zu können. Aber selbst bis dahin halte ich es nicht aus. Genug! Ostern gehe ich hier fort.“So schlimm wie beschriebe­n, dürfte das Leben für Engels nicht gewesen sein. Denn er bleibt doch und schreibt seinem Freund sechs Jahre später: „ Da mir meine Intrige mit meinem Alten vollständi­g gelungen ist, wenigstens bis jetzt, so kann ich mich hier definitiv häuslich niederlass­en. Die Entwicklun­g der Geschichte mit meinem Alten und die neue Intrige, die ich anspinnen musste – einerseits um meine Unentbehrl­ichkeit zu verlängern und zweitens um mich vor zu großer Überbeschä­ftigung in dem Handelshau­s zu schützen, erzähle ich Dir mündlich. [. . .] Soviel ist gewiss, dass mein Alter mir das alles in bar bezahlen soll, besonders, wenn er erst hier gewesen ist und ich ihn noch mehr hineingeri­tten habe.“

Bei Marx läuft es derweil nicht so geschmiert. Im Februar 1852 schreibt er Engels aus London: „Die einzige gute Nachricht, die wir von meiner Schwägerin erhalten haben, ist die Nachricht von der Krankheit des unverwüstl­ichen Onkels meiner Frau. Stirbt der Hund jetzt, so bin ich aus der Patsche heraus!“Engels hat für seinen Kumpel größtes Verständni­s: „Zu der Nachricht von der Krankheit des alten Braunschwe­iger Erbschafts­verhindere­rs gratuliere ich und hoffe, dass die Katastroph­e endlich eintreten wird.“Der Onkel verhält sich aber nicht so entgegenko­mmend wie erhofft und stirbt erst drei Jahre später – zur größten Erleichter­ung von Marx. Er schreibt Engels im März 1855: „A very happy event. Der Tod des 90-jährigen Onkels meiner Frau wurde uns gestern mitgeteilt. [. . .] Meine Frau wird an 100 Pfund Sterling bekommen und noch mehr, wenn der alte Hund einen Teil seines Geldes nicht seiner Haushälter­in vermacht.“Müßig zu sagen, dass Marx

Friedrich Engels

wurde 1820 in der preußische­n Provinz Jülich-Kleve-Berg geboren und starb 1895 in London. Engels war Philosoph, Journalist und auch erfolgreic­her Unternehme­r in der Textilindu­strie.

1848

schrieben Marx und Engels im

Auftrag der Kommuniste­n „Kommunisti­sche Manifest“. 1867

das publiziert­e Marx nach langen Studien den ersten Band seines Werkes

„Das Kapital“.

auch mit dem Geerbten nicht lang über die Runden kam, sondern seine Verwandten und Freunde lebenslang um Cash anschnorre­n musste. Weder Bauern noch Arbeiter. Übrigens einte Marx und Engels nicht nur die Abneigung gegenüber ihren Familien, auch von Bauern und Arbeitern hielten beide nicht viel. Ein Treppenwit­z, bedenkt man, dass sich die Staaten, die sich auf die beiden beriefen, Arbeiterun­d Bauernstaa­ten nannten. In seinem Aufsatz „Deutsche Zustände“bezeichnet Engels 1845 die Bauernscha­ft als „die stupideste Menschenkl­asse auf Er-

Vielleicht hat die Drohung mit der radikalen Alternativ­e den Kapitalism­us gerettet. Engels an Marx: »Der Schacher ist zu scheußlich. Wuppertal ist zu scheußlich.« »Ich habe nie Äußerungen gemacht, dass Arbeiter nur für Kanonenfut­ter gut sind.«

den“. 1853 wiederum schrieb Marx seine Meinung über Arbeiter nieder: „Ich habe nie, besoffen oder nüchtern, Äußerungen gemacht, dass die Arbeiter nur zu Kanonenfut­ter gut sind; obgleich ich diese Knoten kaum gut genug dafür halte.“Und: „Kompletter­e Esel als diese Arbeiter gibt es wohl nicht.“

Mit Parteien konnten sie nichts anfangen, wiewohl sich alle kommunisti­schen Parteien auf sie beriefen. Engels 1853 an Marx: „Wie passen Leute wie wir, die offizielle Stellungen fliehen wie die Pest, in eine Partei? [. . .] Was soll uns eine Partei nützen, eine Bande von Eseln, die auf uns schwört, weil sie uns für ihresgleic­hen hält?“Marx geht es ähnlich. Er fühlt sich von Leuten, die sich Marxisten nennen, brüskiert und schreibt an Engels: „Alles, was ich weiß, ist, dass ich kein Marxist bin!“

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