»Komplettere Esel als die Arbeiter gibt es nicht«
Die beiden Philosophen Karl Marx und Friedrich Engels schrieben einander ein Leben lang sehr persönliche Briefe. Sie lassen es an Deftigkeit nicht vermissen und bringen Überraschendes zutage. Ein Auszug.
schen: Marx und Engels verweigerten jede Anleitung für den Aufbau einer neuen Gesellschaft. Das sei nämlich unwissenschaftlich. Aber die Eckpunkte gab Marx sehr wohl vor: kein Privateigentum und kollektive Planung. Wie dies demokratisch umzusetzen wäre, wie sich ohne Markt Preise bilden sollen – darüber erfährt der Leser nichts. Stattdessen skizziert Marx eine romantisch-naive Utopie des aus der Entfremdung befreiten Menschen, der morgens jagt, am Nachmittag fischt und abends Plato liest. Man kann es Lenin und Mao nicht einmal übel nehmen, dass sie damit wenig anzufangen wussten.
So wurde „Das Kapital“zur verhassten Zwangslektüre hinter dem Eisernen Vorhang und zum Kultbuch der Studenten im Westen (auch wenn der blaue Band meist ungelesen ihre Bücherregale zierte). Was an ihm bis heute beeindruckt, ist die hellsichtige Analyse der ungeheuren Dynamik, die der Kapitalismus freisetzt. Auch die Globalisierung sah Marx voraus. Falscher Religionsersatz. Umso befremdlicher seine Vorstellung, der Weltenlauf könne sich nach der Revolution endgültig zur Ruhe setzen. Wo Marx als dialektischer Geschichtsphilosoph im Kielwasser Hegels argumentiert, geht er völlig in die Irre. Und doch lässt sich die Idee, die Geschichte laufe auf ein paradiesisches Endziel hinaus, aus vielen Köpfen nicht vertreiben. Sie ist eine Art Religionsersatz für den Materialisten. Nach dem Fall des Kommunismus glaubten sich dessen Bezwinger am Ziel – und lagen damit genauso falsch.
Die Finanzkrise von 2008 ließ die Zweifel am Kapitalismus wieder hochkochen und trieb die Verkaufszahlen des „Kapitals“in die Höhe. Wie ein Parasit klebt die Systemkritik am System. Seine Baisse ist ihr Boom und umgekehrt. Es sind kommunizierende Gefäße, wohl auf Dauer. Weil das „Kapital“den Kapitalismus nicht überwand, hat er es vereinnahmt: Um 1,5 Mio. Euro wird ein handsigniertes Exemplar heute gehandelt. Ach ja, so ist das eben mit dem „Fetischcharakter der Ware“. Dem Russen Dawid Borissowitsch Rjasanow (1870–1938) hat die Nachwelt viel zu verdanken. Der glühende Marxist sorgte dafür, dass die vielen Briefe, die die beiden Philosophen Karl Marx und Friedrich Engels einander geschrieben haben, nicht verloren gingen. Das wäre schade gewesen. Denn zum einen zeigt ihre Korrespondenz eine ganz andere Seite der beiden Männer. Zum anderen haben diese deftigen Briefe den deutschen Schriftsteller Harry Rowohlt und den linken Politiker Gregor Gysi 2009 zu der höchst amüsanten Lesung „Marx & Engels intim“veranlasst (Die Aufzeichnung ist als Hörbuch erhältlich). Rowohlt las Marx’ Briefe, Gysi Engels’.
Doch auch die Schreiben von Heinrich Marx an seinen Sohn Karl sind aufschlussreich. Im November 1835 schreibt der preußische Anwalt an seinen Spross: „Lieber Karl, über drei Wochen sind verflossen, seit Du weg bist. Und keine Spur von Dir. Du kennst Deine Mutter und ihre Ängstlichkeit; und dennoch diese grenzenlose Nachlässigkeit. Das bestätigt mir leider nur zu sehr die Meinung, welche ich trotz deiner manch guten Eigenschaften hege: Dass der Egoismus in Deinem Herzen vorherrschend ist.“Seine Worte dürften Marx, der immer zu viel Geld ausgab, aber nicht berührt haben. Warten aufs Erbe. Auch zwei Jahre später schreibt der Vater verzweifelt: „Als wären wir Goldmännchen verfügt der Herr Sohn in einem Jahre über beinahe 700 Thaler gegen alle Abrede, gegen alle Gebräuche, während die Reichsten keine 500 ausgeben.“Das beeindruckte den Studenten nicht, wie ein Brief von Vater Heinrich nur zwei Monate später bezeugt: „Ich leugne nicht, dass ich mir zuweilen Vorwürfe mache, allzu schwach Dir den Zügel gelassen zu haben. So sind wir jetzt im vierten Monat des Justizjahres und schon hast Du 280 Thaler gezogen. Soviel habe ich diesen Winter noch nicht verdient. Ich bin erschöpft, lieber Karl, und muss schließen.“Keine bloße Jammerei, Marx’ Vater schloss noch im selben Jahr seine Augen für immer. Das große Erbe stand Karl mit dessen Tod aber nicht ins Haus. Die verschwenderische Art seines Sohnes kennend, hatte der Senior verfügt, dass sein Sohn erst nach dem Tod seiner Mutter Zugriff aufs Erbe erhalten solle.
Da erging es Friedrich Engels schon ein wenig besser. Allerdings wurde der Sohn eines Wuppertaler Fabrikanten von seinem Vater recht kurzgehalten – und konnte Marx daher nicht immer Geld borgen. Marx ärgerte das, und er schrieb Engels: „Dein Alter ist ein Schweinhund, dem wir einen hundsgroben Brief schreiben werden!“Am 29. November 1848 ließ er diese Zeilen folgen: „Ich habe einen sicheren Plan entworfen, deinem Alten Geld auszupressen, da wir jetzt keines haben.“ Engels war auf seine Familie ebenfalls nicht gut zu sprechen. Auch eine fixe Anstellung im Wuppertaler Familienbetrieb entsprach nicht seinen Vorstellungen. Nachdem er gerade einmal zwei Wochen in der väterlichen Fabrik gearbeitet hatte, schrieb er am 18. Jänner 1845 an Marx: „Der Schacher ist zu scheußlich. Wuppertal ist zu scheußlich. Die Zeitverschwendung ist zu scheußlich. Ein paar Tage auf der Fabrik meines Alten haben mich dazu gebracht, diese Scheußlichkeit, die ich etwas übersehen hatte, wieder vor die Augen zu stellen. Ich hatte natürlich damit gerechnet, nur so lange im Schacher zu bleiben, wie mir passte und dann irgendetwas Polizeiwidriges zu schreiben, um mich mit guter Manier über die Grenze drücken zu können. Aber selbst bis dahin halte ich es nicht aus. Genug! Ostern gehe ich hier fort.“So schlimm wie beschrieben, dürfte das Leben für Engels nicht gewesen sein. Denn er bleibt doch und schreibt seinem Freund sechs Jahre später: „ Da mir meine Intrige mit meinem Alten vollständig gelungen ist, wenigstens bis jetzt, so kann ich mich hier definitiv häuslich niederlassen. Die Entwicklung der Geschichte mit meinem Alten und die neue Intrige, die ich anspinnen musste – einerseits um meine Unentbehrlichkeit zu verlängern und zweitens um mich vor zu großer Überbeschäftigung in dem Handelshaus zu schützen, erzähle ich Dir mündlich. [. . .] Soviel ist gewiss, dass mein Alter mir das alles in bar bezahlen soll, besonders, wenn er erst hier gewesen ist und ich ihn noch mehr hineingeritten habe.“
Bei Marx läuft es derweil nicht so geschmiert. Im Februar 1852 schreibt er Engels aus London: „Die einzige gute Nachricht, die wir von meiner Schwägerin erhalten haben, ist die Nachricht von der Krankheit des unverwüstlichen Onkels meiner Frau. Stirbt der Hund jetzt, so bin ich aus der Patsche heraus!“Engels hat für seinen Kumpel größtes Verständnis: „Zu der Nachricht von der Krankheit des alten Braunschweiger Erbschaftsverhinderers gratuliere ich und hoffe, dass die Katastrophe endlich eintreten wird.“Der Onkel verhält sich aber nicht so entgegenkommend wie erhofft und stirbt erst drei Jahre später – zur größten Erleichterung von Marx. Er schreibt Engels im März 1855: „A very happy event. Der Tod des 90-jährigen Onkels meiner Frau wurde uns gestern mitgeteilt. [. . .] Meine Frau wird an 100 Pfund Sterling bekommen und noch mehr, wenn der alte Hund einen Teil seines Geldes nicht seiner Haushälterin vermacht.“Müßig zu sagen, dass Marx
Friedrich Engels
wurde 1820 in der preußischen Provinz Jülich-Kleve-Berg geboren und starb 1895 in London. Engels war Philosoph, Journalist und auch erfolgreicher Unternehmer in der Textilindustrie.
1848
schrieben Marx und Engels im
Auftrag der Kommunisten „Kommunistische Manifest“. 1867
das publizierte Marx nach langen Studien den ersten Band seines Werkes
„Das Kapital“.
auch mit dem Geerbten nicht lang über die Runden kam, sondern seine Verwandten und Freunde lebenslang um Cash anschnorren musste. Weder Bauern noch Arbeiter. Übrigens einte Marx und Engels nicht nur die Abneigung gegenüber ihren Familien, auch von Bauern und Arbeitern hielten beide nicht viel. Ein Treppenwitz, bedenkt man, dass sich die Staaten, die sich auf die beiden beriefen, Arbeiterund Bauernstaaten nannten. In seinem Aufsatz „Deutsche Zustände“bezeichnet Engels 1845 die Bauernschaft als „die stupideste Menschenklasse auf Er-
Vielleicht hat die Drohung mit der radikalen Alternative den Kapitalismus gerettet. Engels an Marx: »Der Schacher ist zu scheußlich. Wuppertal ist zu scheußlich.« »Ich habe nie Äußerungen gemacht, dass Arbeiter nur für Kanonenfutter gut sind.«
den“. 1853 wiederum schrieb Marx seine Meinung über Arbeiter nieder: „Ich habe nie, besoffen oder nüchtern, Äußerungen gemacht, dass die Arbeiter nur zu Kanonenfutter gut sind; obgleich ich diese Knoten kaum gut genug dafür halte.“Und: „Komplettere Esel als diese Arbeiter gibt es wohl nicht.“
Mit Parteien konnten sie nichts anfangen, wiewohl sich alle kommunistischen Parteien auf sie beriefen. Engels 1853 an Marx: „Wie passen Leute wie wir, die offizielle Stellungen fliehen wie die Pest, in eine Partei? [. . .] Was soll uns eine Partei nützen, eine Bande von Eseln, die auf uns schwört, weil sie uns für ihresgleichen hält?“Marx geht es ähnlich. Er fühlt sich von Leuten, die sich Marxisten nennen, brüskiert und schreibt an Engels: „Alles, was ich weiß, ist, dass ich kein Marxist bin!“