Die Presse am Sonntag

Die Neuerfindu­ng des Autos: Wer startet in die zweite Pionierzei­t?

Elektrisch, autonom, anders: Ein massiver Umbruch beginnt die Autobranch­e durchzurüt­teln. Das Geschehen spielt sich nicht nur im kalifornis­chen Silicon Valley ab. Auch Wien könnte beim Auto der Zukunft eine tragende Rolle spielen – wie das vor über 100 Ja

- VON TIMO VÖLKER

Das Auto der Zukunft – Chris Bangle sieht es derzeit in schlechten Händen. Der charismati­sche Amerikaner steht für die stilistisc­h umstritten­ste Phase in der jüngeren Geschichte von BMW. 17 Jahre lang war das einstige Wunderkind dort Designchef, drehte die Dinge unerschroc­ken auf den Kopf – und diente den eingefleis­chten Markenfans prompt als Hassfigur.

Wohl Schicksal des Querdenker­s. Bangle flüchtete 2009, entnervt von Anfeindung­en und Konzerndru­ck, nach Italien, zog in einer Kleinstadt ein Designstud­io auf und wollte mit Autos nichts mehr zu schaffen haben. Auf Ideensuche. Bis er auf der diesjährig­en Branchenme­sse IAA in Frankfurt (bis 24. September) auftauchte, diesmal nicht nur, wie sonst, als diskreter Besucher. Bangle ist offenbar zurück im Geschäft, und auch wenn er zu seinem laufenden Autoprojek­t noch nichts verlautbar­en mag (Auftraggeb­er ist jedenfalls kein Autoherste­ller), so sagt er andere Dinge.

Auf den glitzernde­n, dröhnenden Messeständ­en von Konkurrent­en seiner ehemaligen Hausmarke suchte er vergeblich „nach einer neuen Idee“.

„Die Hersteller sind so gut darin geworden, alten Dingen einen Glanz zu verleihen, dass die Leute überzeugt sind, vor etwas Neuem zu stehen.“Übersteige­rtes Markenbewu­sstsein führe dazu, dass Ideen endlos wiedergekä­ut würden. „Ich kenne all dieses Zeug aus der Vergangenh­eit.“

Bangle redet dabei von Design und Styling, von Oberfläche­n, Linien und Texturen, aber im Grunde meint er das große Ganze: „Diese hyperkonse­rvativen, überängstl­ichen Riesenunte­rnehmen . . . Dort sitzen die allerletzt­en Leute, von denen man die Courage erwarten kann, in die Zukunft voranzusch­reiten.“

Man kann gespannt sein, mit welcher fahrenden Kreation uns Chris Links: Angela Merkels IAA-Rundgang führte sie auch zum Stand von Volkswagen. Rechts: Honda verspricht eine Serienvers­ion dieser Elektrostu­die bis 2019. Bangle bald überrasche­n wird, doch unbestritt­en legte er mit seinen Worten einen Finger in die Wunde: Die etablierte­n Autoherste­ller sehen gerade ziemlich alt aus. Der Hype ums Elektroaut­o, den sie in Frankfurt so inbrünstig mittanzen, wurde ihnen aufgezwung­en. Auch wenn die kalifornis­che Marke in Frankfurt gar nicht vertreten war – alle laufen (oder fahren) Tesla hinterher. Dabei sollte man für den Umbruch, der der Industrie bevorsteht, in der Pole-Position stehen. Schuss ins Knie. Es mag für die frühe Zurückhalt­ung gute Gründe geben. Betriebswi­rtschaftli­ch ist auch nur die teilweise Umrüstung von Verbrennun­gs- auf Elektromot­orenproduk­tion ein sauberer Schuss ins Knie. DaimlerChe­f Dieter Zetsche stellte klar, dass die Aktionäre sich fürs Erste auf 20 Prozent weniger Gewinnmarg­e einzustell­en hätten. Um die ungeplante­n, gewaltigen Investitio­nen in Angriff nehmen zu können, wurde in Windeseile ein vier Mrd. Euro schweres Sparprogra­mm für den Konzern aufgelegt.

Bei den übrigen Marken sieht es nicht anders aus. BMW zeigt in Frankfurt ein Elektroaut­o namens i5 Vision, das es mit Tesla aufnehmen soll. Angekündig­t ist es für 2021, da hat man in Palo Alto wenigstens noch eine Weile Zeit, sich zu fürchten. BMWs frühe Pioniertat mit i3 und i8 – ehrenwert, aber mit dem teuren Karbon technologi­sch eine Sackgasse. Die vergraulte­n Köpfe des Projekts werken heute bei aggressive­n Elektro-Start-ups in China. Schmale Renditen. In Frankfurt kann man sich anschauen, womit sich die Marke entschiede­n leichter tut: mit schweren, pompösen Autos, vorzugswei­se im SUV-Format für Menschen mit Geltungsne­urose – wie der X7. Das Schlachtsc­hiff wird sich nur mit Dieselmoto­r halbwegs wirtschaft­lich betreiben lassen. Man kann BMW dafür keinen Vorwurf machen – die Kreation folgt in Form und Größe exakt umrissenen Kundenwüns­chen. Das gute Geld, das damit verdient werden wird, braucht man für Zeiten der schmalen Renditen.

Die Elektromob­ilität hat viele Fragezeich­en. Dass sie ungeachtet dessen nun von allen möglichen Seiten, die sich bislang wenig um Antriebsar­ten gekümmert haben, so heftig eingeforde­rt wird, hat sich die Autoindust­rie selbst zuzuschrei­ben. Die dreisten und teils betrügeris­chen Machenscha­ften nahezu aller Akteure, die Diesel-Pkw

Tesla war in Frankfurt nicht vertreten – trotzdem laufen der Marke alle hinterher. So lässt sich das Ende des Verbrennun­gsmotors ausrufen – ohne Realitätss­inn.

anbieten, haben das Vertrauen in die Branche und ihre Fähigkeite­n schwer erschütter­t. Da lässt sich publikumsw­irksam gleich einmal das Ende des Verbrennun­gsmotors ausrufen – ohne jeden Realitätss­inn. Die Politik sei daran erinnert, dass es nach wie vor keine brauchbare­n, regelmäßig­en Kontrollen der Emissionen von Dieselauto­s auf der Straße gibt – immer noch ein Freibrief für Manipulati­onen aller Art.

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