»Formel E ist kein Motorsport«
Gerhard Berger leitet das Deutsche Tourenwagen-Masters, erzählt über Event, PS-Flair und seine Liebe zur Formel 1. Elektrorennsport sei sinnvoll, »nur weckt er noch keine Emotionen«.
Sie übernahmen im vergangenen März das Deutsche Tourenwagen-Masters (DTM), warum sind Sie nicht in die Formel 1 zurückgekehrt? Zu diesem Zeitpunkt wurden dort an der Spitze alle Weichen neu gestellt. Gerhard Berger: Motorsport ist Motorsport, und die höchste Klasse ist und bleibt die Formel 1, da gibt es gar keine Diskussion. Aber, ich habe das 20 Jahre lang gemacht und jetzt schlichtweg nicht mehr die Energie. Ich habe wieder eine junge Familie, und da das ganze Jahr rund um die Welt zu reisen, das wollte ich mir nicht mehr antun. Ich schätze die Formel 1, ihre Anforderungen. Trotzdem: Man muss alles mit sich selbst vereinbaren können. Aber, das DTM-Angebot passte perfekt. Ich lebe jetzt nach 30 Jahren in Monaco wieder in Tirol, bin glücklich – und von hier aus kann ich meinen Job mit dem Auto erledigen. Ohne große Reisen, Flüge – DTM-Chef zu sein ist ein super Job. Dass die DTM aber einen ganz anderen Stellenwert neben Formel 1, Moto-GP oder Tourenwagenserien einnimmt und Hersteller kommen und gehen . . . Es ist kein Kommen und Gehen, nein! Die Hersteller sind seit Jahren zusammen, die deutschen Premiummarken BMW, Audi und Mercedes bieten höchsten Motorsport. Die Fahrerdichte ist wahnsinnig interessant, die Rennen sind spannend, und das zeigt sich in Deutschland auch bei der TV-Reichweite mit zwei Millionen Zusehern. Im Schnitt kommen 50.000 bis 60.000 Zuschauer zu den Rennen. Es ist eine starke, solide gewachsene Rennserie. Die Events finden in Deutschland statt, es gibt auch Stationen in Moskau, Ungarn oder nächste Woche in Spielberg. Die DTM bietet tollen Sport. Mercedes hat doch seinen Ausstieg verkündet, Ende 2018 wären damit nur noch zwei Hersteller unterwegs. Mir tut es wirklich leid, dass Mercedes ausgestiegen ist, weil diese Marke in der kurzen Zeit, in der ich jetzt dabei bin, ein konstruktiver Partner war. Ihn zu verlieren ist nicht toll, aber man muss Marketingentscheidungen respektieren. Und aus sportlicher Sicht? Es wird ein anderer Hersteller kommen. Ein Erfolgsrezept, das andere Serien eigentlich nur kopieren, ist die offene Boxenstraße. Der Blick hinter die Kulissen ist dem Fan erlaubt, DTM-Piloten sind nahbar. Müssen Sie dieses Service weiterhin bewerben? Es ist kein Service, das ist die DNA der DTM. Die Nähe zum Kunden, dazu Rad-an-Rad-Duelle, offene Türen, der Blick hinter die Kulissen. Es ist eine andere Philosophie als in der Formel 1, doch sie kommt gut an. Nicht vergessen darf man jetzt Livestreams im Internet mit diverse On-board-Kameraeinstellungen. Der Fan kann sich also aussuchen, was er sehen will. Ist Motorsport in dieser Form, mit Verbrennungsmotoren, Abgasen, Verbrauch und extremen Kosten, nicht Anachronismus? Die Formel E scheint die Zukunft zu sein. Ich reihe die Formel E nicht unter Motorsport ein! Diese Plattform ist absolut sinnvoll, gar keine Frage. Als Automobilhersteller ist man gefordert, diese Entwicklung zu verfolgen und schneller voranzutreiben, damit bin ich einverstanden. Über diese Elektroserie kann jeder seine Elektroautos präsentieren, damit bin ich auch einverstanden. Man kann dadurch neue Elektromobilität in Großstädten demonstrieren, einverstanden. Alles Vorteile, unbestritten, und trotzdem sehe ich es nicht als Rennsport. Warum? Die Elektromobilität weckt noch keine Emotionen, und ob sie es in Zukunft machen wird, ist fraglich. Auch, ob die Formel E das endgültige Rezept ist, das uns in die Zukunft führen wird, bleibt abzuwarten. Hybrid, ja, das glaube ich, bei Vollelektronik muss ich noch ein großes Fragezeichen dazustellen. Auch die Elektrobatterien werden doch mit Motoren geladen, oder? Rennsportatmosphäre und Emotion, die sind für mich immer noch im klassischen Motorsport zu Hause. Natürlich wird sich die Welt weiterbewegen und entwickeln. Früher war das Transportmittel das Pferd, und es gab Pferderennen. Diese Rennen gibt es immer noch, und das Transportmittel ist heute das Auto mit einem Verbrennungsmotor. Vielleicht ist es in Zukunft ein Elektroauto.
Gerhard Berger
(* 27. August 1959, Wörgl, Tirol) ist ein Unternehmer und fuhr von 1984 bis 1997 in der Formel 1. Seit März 2017 steht er dem Deutschen Tourenwagen Masters vor.
Formel 1
Der Tiroler fuhr für ATS (1984), Arrows (’85), Benetton (’86), Ferrari (’87–’89), McLaren (’90–’92), Ferrari (’93–’95) und Benetton (’96–’97). Er bestritt 210 GP und feierte zehn Siege. 1988 und 1994 wurde er jeweils WM-Dritter.
Teamchef, Besitzer
Berger war von 1998 bis 2003 BMW-Motorsportdirektor und Mitbesitzer bei Toro Rosso (2006–2008).
Fern der Rennstrecke
führt er ein Logistikunternehmen und lebt nach 30 Jahren in Monaco mit seiner Familie wieder in Wörgl.
DTM
Bergers Rennserie macht von 22. bis 24. September in Spielberg Station. Lucas Auer kommt als Gesamtzweiter und hat beste Chancen auf den DTM-Titel. Wäre es eine hilfreiche Idee, würden Elektrorennautos wie alte F1-Boliden röhren? Das wäre leicht, aber künstlich! Und alles, was künstlich ist, ist nicht richtig. Elektronik, diese Entwicklung ist trotzdem nicht aufzuhalten, nur ob es die richtige Richtung ist, muss man abwarten. Hybrid zeigt, wie es gehen wird. Wieso nicht? Wir entwickeln schließlich auch Autos, die von selbst fahren, ganz ohne Mensch. Warum muss sich aber der Rennsport verändern? Die Leute wollen unterhalten werden. Apropos Unterhaltung: Spielberg ist eine der wenigen Rennstrecken, die Fans begeistert, breites Entertainment bietet. Wieso? Rennstrecken gibt es überall, aber es gibt sehr selten dahinter solch eine Organisation wie bei Red Bull, die aus Rennen ein Event machen. In erster Linie steht das Event, es muss der Marke gerecht werden. Das Rahmenprogramm ist voll Attraktion, hat sich etabliert. Deshalb ist Spielberg so beliebt. Wäre es noch populärer, gäbe es auch einen Lokalmatador? Welche Chancen räumen Sie Ihrem Neffen Lucas Auer tatsächlich ein – wird er Österreichs nächster Formel-1-Pilot? Wenn Lucas fährt wie auf dem Nürburgring (Sieg im 1. Rennen, Anm.) oder in der ersten DTM-Saison-Hälfte, kann er sich die nächsten Ziele vornehmen. Er hatte aber unter der Saison Durchhänger, sie sollten weniger werden. Er hat einen sehr guten Eindruck hinterlassen. Wieso ist der Weg in die Formel 1 so schwer, warum schaffen es nur so wenige Fahrer? Wie war das damals, 1984, bei Ihnen? Na ja, es war kein Zufall. Ich hatte BMW als Partner, der mich wirklich sehr unterstützte. Lucas wird jetzt von Mercedes sehr gut unterstützt. Am Ende des Tages zählt aber immer nur die Leistung, die man eben bringen muss. Wenn Sie jetzt die Rennautos sehen, Starts beobachten, reizt es Sie dann nicht? Würden Sie gern noch einmal Rennfahrer sein? Ein Formel–1-Auto fahren würde ich nicht mehr gern, aber ich würde sehr gern noch einmal 20 sein und meine F1-Karriere beginnen. Idealerweise mit dem Wissen, das ich heute habe . . .