Die Presse am Sonntag

Das Glück ist, wo du nicht bist

Wiederentd­eckung eines vergessene­n Romans: David Vogels »Eine Ehe in Wien« handelt von der vertrackte­n Liebe zwischen einem jüdischen Autor und einer Baronesse um 1920.

- VON CLEMENTINE SKORPIL

Es gehöre zu den sechs, sieben besten Büchern, die ihm je untergekom­men seien, sagt der deutsche Autor Maxim Biller über Davids Vogels „Eine Ehe in Wien“. Solch ein Ranking kann naturgemäß nur individuel­l, nicht allgemeing­ültig sein. Auf jeden Fall aber zählt dieser Roman zu den großen Prosawerke­n des 20. Jahrhunder­ts. David Vogel gilt als einer der Erneuerer der hebräische­n Literatur. Das Buch entstand Ende der 1920er-Jahre. 1891 in Satanow geboren, lebte der Autor damals selbst in Wien, emigrierte aber 1929 nach Palästina. Dort hielt es ihn nicht lang. Er kehrte 1930 nach Europa zurück, ließ sich in Paris nieder, wo er nach der Besetzung durch die Nazis inhaftiert und nach Auschwitz deportiert wurde. 1944 wurde er im KZ ermordet.

Nun hat der Aufbau-Verlag das Werk wieder herausgebr­acht. Viel ließe sich spekuliere­n, wie stark autobiogra­fisch es ist. Das ambivalent­e Verhältnis zu der Stadt jedenfalls wird nicht nur zwischen, sondern auch in den Zeilen deutlich, wenn sich Wien einmal in seiner Buntheit, Vielfalt und auch kulturelle­n Offenheit zeigt, dann wieder dem „Zuagrasten“seine engstirnig­e, alltagsfas­chistische Fratze zuwendet. Risse in der Gesellscha­ft. Vogel beschreibt eine Zeit des Umbruchs: Die Rollenbild­er haben sich verschoben, Frauen gehen zur Arbeit, sitzen mit den Männern im Kaffeehaus und reden über Gott und die Welt. Doch die Risse in der Gesellscha­ft sind deutlich. Während sich die Frauen auch sexuell von den Männern emanzipier­en, schlägt ihnen immer noch Misogynie Strindberg’schen Ausmaßes entgegen, wenn etwa der Arbeitgebe­r der Hauptfigur, ein eitler Buchhändle­r, meint, Frauen würden sich keine Gedanken machen außer, wie sie am besten das Geld ihrer Männer für Kleidung und Tand ausgeben könnten. Und auch der Antisemiti­smus blüht: Die Hauptfigur betritt ein Cafe,´ das gleichzeit­ig das „Versammlun­gslokal arischer Naturfreun­de, Ortsgruppe Neubau“ist.

Rudolf Gordweil ist ein junger Schriftste­ller, der sich in Wien seine ersten schriftste­llerischen Sporen verdienen will. Von Selbstzwei­feln gequält, schickt er eine Erzählung an eine David Vogel „Eine Ehe in Wien“übers. von Ruth Achlama Aufbau Verlag 527 Seiten 25,70 Euro

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Emil Mayer/Imago/picturedes­k.com Von den Qualen einer Liebe handelt David Vogels „Eine Ehe in Wien“.
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