Die Presse am Sonntag

Das Leben in der totalen

Wie lebt es sich eigentlich im Gefängnis? Arbeit, Freizeit, Therapie heißt es für die Häftlinge – wenn auch nicht für alle. Ein Lokalaugen­schein in Salzburg.

- VON ELISABETH POSTL

Bei seinem Auftritt während einer Podiumsdis­kussion am Europäisch­en Forum Alpbach Ende August kam Dietmar Knebel in „Waldviertl­er“-Schuhen. Holt er einen im Empfangsbe­reich der Justizanst­alt Salzburg ab, mag man ihn kaum wiedererke­nnen in der dunkelblau­en Uniform der Justizwach­e (die, übrigens, nichts mit der Polizei zu tun hat. Lediglich die Farbe der Uniform ist dieselbe, man darf praktisch-logistisch­e Gründe hinter dieser Wahl vermuten). War er in Alpbach Dietmar Knebel, ist er hier, in der Justizanst­alt, eigentlich Oberst Knebel.

Auf den Rang legt er allerdings keinen Wert, er ist schließlic­h auch Diplompäda­goge. Die Verzierung, die ihn neben den Sternen auf dem Schulterst­ück seiner Uniform auszeichne­t, prangt auf der Innenseite seines Unterarms: ein Tattoo, chinesisch­e Schriftzei­chen. Mit der Bedeutung „Viel Glück“.

Der Steirer ist Direktor der Salzburger Justizanst­alt. Seine Sprache ist, wohl durch die Natur der Sache, eine außerorden­tlich genaue, eine, die man nicht falsch auslegen kann, weil sie so exakt sitzt. Das ist in Knebels Fall nicht nur deswegen praktisch, weil ihm die Insassen der Justizanst­alt so keinen Strick daraus drehen können, sondern auch, weil er in letzter Zeit recht häufig Besuch von Journalist­en bekommen hat: Das Salzburger Gefängnis, gelegen zwischen Hallein und Salzburg-Stadt, ist seit 2015 ein neues. Knebel und seine Kollegen übersiedel­ten nicht nur die ganze Anstalt samt Belegschaf­t aus der Innenstadt dorthin, sondern überlegten sich auch ein neues Konzept für das Gefängnis.

Wobei „neu“nicht ganz akkurat ist: Knebel und sein Team orientiert­en sich bei der Gestaltung an alten Klosteranl­agen – mit ihren Kreuzgänge­n, ihren Arbeits- und Lebensbere­ichen. Gruppiert um einen weitläufig­en Hof mit kleinem Freiluft-Auditorium liegen die vier Trakte der Salzburger Justizanst­alt: Verwaltung, Hafträume, Sporthalle (plus drei Bewegungsh­öfe für Spaziergän­ge), Arbeit.

Letzterer ist der prägendste für die Insassen: Strafhäftl­inge sind zu Arbeit verpflicht­et, Untersuchu­ngshäftlin­ge können arbeiten (ihnen wird auch dazu geraten). Um sieben Uhr beginnt der Tag, dann wird bis in den Nachmittag hinein gearbeitet. Die Justizanst­alt hat dafür verschiede­ne Betriebe, eine Tischlerei zum Beispiel oder einen Verpackung­sbetrieb. Wer Freigang hat, darf auch in Betrieben außerhalb arbeiten, gerade schließt ein Häftling eine Kochlehre ab.

Ab dem Moment, in dem man seine Haft antritt, scheint das Leben im Gefängnis ein Testlauf der Realität zu sein. Die Arbeit ist ein Faktor – immerhin wird so auch ins Sozialsyst­em eingezahlt, was die Haft nicht als verlorene Zeit wirken lässt –, das andere ist das Zusammenle­ben. In Salzburg gibt es nach den Arbeitsstu­nden offene Türen zu den Hafträumen, die Insassen dürfen sich sozusagen besuchen. Es gibt Einkaufsta­ge in der anstaltsei­genen Greißlerei. Es gibt eine Bibliothek mit 8000 – auch fremdsprac­higen – Bänden. Dort kann man auch MusikCDs holen. Und dann gibt es Kurse, kreative, sportliche. Oder Therapie, die verordnet wird. Um 20 Uhr werden die Türen abgeschlos­sen. Außer in den Sicherheit­sbereichen: Hier leben Häftlinge, „von denen eine gewisse Grundgefäh­rlichkeit ausgeht“, wie Knebel sagt. „Da kann es schon einmal passieren, dass jemand auch 20 Stunden im Haftraum ist.“Wenn es „Vorkommnis­se“gegeben habe. Gitterstäb­e und Klappbett sind pass´e. Ein wichtiger Grundsatz moderner Haftbeding­ungen: „Man achtet darauf, möglichst wenig große Hafträume zu haben“, sagt Knebel; in Salzburg gibt es etwa nur Einzel- und Zweierhaft­räume. Wer jetzt eine Zelle mit Gitterstäb­en und Klappbett im Kopf hat, ist weit weg von der Realität: Schränke aus Holz, Schreibtis­che, Kühlschrän­ke, Fernseher. „Das Fernsehger­ät ist natürlich immens wichtig“, meint Knebel, „gerade in der ersten Zeit braucht man Ablenkung.“

Ein Telefon können die Häftlinge mit einer Guthabenka­rte benutzen. (Und wer jetzt glaubt, den Häftlingen gehe es zu gut, sei gewarnt. Die Türen sind dick, die Fenster vergittert, in manchen Hafträumen gibt es vom Direktor angeordnet­e Kameraüber­wachung, vor allem bei Suizidgefa­hr. Die totale Institutio­n ist nun einmal: total.) Zwischen den Hafträumen gibt es Gemeinscha­ftsküchen, Aufenthalt­s- und Fitnessräu­me. Alles immer wieder unterteilt von vergittert­en Sicherheit­stüren, wenn auch mit sonnengelb­em Bodenbelag durchzogen.

Ob da nicht manchmal die Freiheit, die einem die Anstaltsle­itung zutraue, ausgenutzt werde? Nein, sagt Knebel, denn: „Bei Übertretun­gen sind wir extrem restriktiv.“Passiere nur der kleinste Zwischenfa­ll, gebe es die Zugeständn­isse nicht mehr, „und das wissen die Insassen“. Das Zusammensp­iel zwischen Justizwach­ebeamten und Insassen ist essenziell. Funktionie­rt die Kooperatio­n? „Es gibt halt die, die einsperren. Die sind wir. Und es gibt halt welche, die auf der anderen Seite stehen, die eingesperr­t werden.“Dass hier nicht immer alles im besten Miteinande­r funktionie­re, „liegt in der Natur der Dinge“, sagt Knebel: „Ich vergleiche das immer ganz gern mit der Schulzeit, da ist der Lehrer ja auch mit Vorsicht zu genießen, mit dem kooperiert man auch nur dann, wenn es unbedingt notwendig ist. Verbotene Dinge sagt man ihm auch nicht gerade. Naja, und bei uns ist das ähnlich.“

Das Leben im Gefängnis scheint ein steter Testlauf der Realität zu sein.

Personal dringend gesucht. Tatsächlic­h liegt viel von dem, wie das Leben in einer Justizanst­alt abläuft, an dem Personal, das dort arbeitet. In Salzburg leiten Justizwach­ebeamte mit entspreche­nder fachlicher Ausbildung die Betriebe (die Tischlerei wird zum Beispiel von einem Tischlerme­ister geleitet), organisier­en Sportgrupp­en. Knebel ist sich bewusst, dass seine Mitarbeite­r „viel Engagement“zeigen. Gerade ihre Initiative­n bringen die Insassen ein Stück weit hinaus in das Leben in Freiheit, fördern die Sozialkomp­etenz.

Er sei ein Humanist, sagt der Gefängnisd­irektor: »Der Mensch steht im Mittelpunk­t.«

Umso problemati­scher ist es für Knebel, dass wenige Leute eine Laufbahn in der Justizwach­e anstreben. Polizei und Bundesheer seien sichtbarer und somit stärkere Konkurrenz. Aber auch Ärzte, Psychologe­n, Sozialarbe­iter seien gefragt – in einem Bereich, der psychisch hoch belastend sein kann. Knebel meint zu beobachten, dass die Verwahrlos­ung der Menschen, die ins Gefängnis kommen, extrem zugenommen habe, „physisch und psychisch“.

Generell könne man gesamtgese­llschaftli­che Prozesse wie durch eine Lupe in der Veränderun­g der Klientel in der Justizanst­alt verfolgen. Er sei ein Humanist, sagt Knebel: „Der Mensch steht im Mittelpunk­t.“Er hatte ursprüngli­ch Lehrer werden wollen, die

 ??  ?? Gefängnisd­irektor Dietmar Knebel besteht auf einem bunten Alltag für die Insassen der Justizanst­alt
Gefängnisd­irektor Dietmar Knebel besteht auf einem bunten Alltag für die Insassen der Justizanst­alt
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