Das Leben in der totalen
Wie lebt es sich eigentlich im Gefängnis? Arbeit, Freizeit, Therapie heißt es für die Häftlinge – wenn auch nicht für alle. Ein Lokalaugenschein in Salzburg.
Bei seinem Auftritt während einer Podiumsdiskussion am Europäischen Forum Alpbach Ende August kam Dietmar Knebel in „Waldviertler“-Schuhen. Holt er einen im Empfangsbereich der Justizanstalt Salzburg ab, mag man ihn kaum wiedererkennen in der dunkelblauen Uniform der Justizwache (die, übrigens, nichts mit der Polizei zu tun hat. Lediglich die Farbe der Uniform ist dieselbe, man darf praktisch-logistische Gründe hinter dieser Wahl vermuten). War er in Alpbach Dietmar Knebel, ist er hier, in der Justizanstalt, eigentlich Oberst Knebel.
Auf den Rang legt er allerdings keinen Wert, er ist schließlich auch Diplompädagoge. Die Verzierung, die ihn neben den Sternen auf dem Schulterstück seiner Uniform auszeichnet, prangt auf der Innenseite seines Unterarms: ein Tattoo, chinesische Schriftzeichen. Mit der Bedeutung „Viel Glück“.
Der Steirer ist Direktor der Salzburger Justizanstalt. Seine Sprache ist, wohl durch die Natur der Sache, eine außerordentlich genaue, eine, die man nicht falsch auslegen kann, weil sie so exakt sitzt. Das ist in Knebels Fall nicht nur deswegen praktisch, weil ihm die Insassen der Justizanstalt so keinen Strick daraus drehen können, sondern auch, weil er in letzter Zeit recht häufig Besuch von Journalisten bekommen hat: Das Salzburger Gefängnis, gelegen zwischen Hallein und Salzburg-Stadt, ist seit 2015 ein neues. Knebel und seine Kollegen übersiedelten nicht nur die ganze Anstalt samt Belegschaft aus der Innenstadt dorthin, sondern überlegten sich auch ein neues Konzept für das Gefängnis.
Wobei „neu“nicht ganz akkurat ist: Knebel und sein Team orientierten sich bei der Gestaltung an alten Klosteranlagen – mit ihren Kreuzgängen, ihren Arbeits- und Lebensbereichen. Gruppiert um einen weitläufigen Hof mit kleinem Freiluft-Auditorium liegen die vier Trakte der Salzburger Justizanstalt: Verwaltung, Hafträume, Sporthalle (plus drei Bewegungshöfe für Spaziergänge), Arbeit.
Letzterer ist der prägendste für die Insassen: Strafhäftlinge sind zu Arbeit verpflichtet, Untersuchungshäftlinge können arbeiten (ihnen wird auch dazu geraten). Um sieben Uhr beginnt der Tag, dann wird bis in den Nachmittag hinein gearbeitet. Die Justizanstalt hat dafür verschiedene Betriebe, eine Tischlerei zum Beispiel oder einen Verpackungsbetrieb. Wer Freigang hat, darf auch in Betrieben außerhalb arbeiten, gerade schließt ein Häftling eine Kochlehre ab.
Ab dem Moment, in dem man seine Haft antritt, scheint das Leben im Gefängnis ein Testlauf der Realität zu sein. Die Arbeit ist ein Faktor – immerhin wird so auch ins Sozialsystem eingezahlt, was die Haft nicht als verlorene Zeit wirken lässt –, das andere ist das Zusammenleben. In Salzburg gibt es nach den Arbeitsstunden offene Türen zu den Hafträumen, die Insassen dürfen sich sozusagen besuchen. Es gibt Einkaufstage in der anstaltseigenen Greißlerei. Es gibt eine Bibliothek mit 8000 – auch fremdsprachigen – Bänden. Dort kann man auch MusikCDs holen. Und dann gibt es Kurse, kreative, sportliche. Oder Therapie, die verordnet wird. Um 20 Uhr werden die Türen abgeschlossen. Außer in den Sicherheitsbereichen: Hier leben Häftlinge, „von denen eine gewisse Grundgefährlichkeit ausgeht“, wie Knebel sagt. „Da kann es schon einmal passieren, dass jemand auch 20 Stunden im Haftraum ist.“Wenn es „Vorkommnisse“gegeben habe. Gitterstäbe und Klappbett sind pass´e. Ein wichtiger Grundsatz moderner Haftbedingungen: „Man achtet darauf, möglichst wenig große Hafträume zu haben“, sagt Knebel; in Salzburg gibt es etwa nur Einzel- und Zweierhafträume. Wer jetzt eine Zelle mit Gitterstäben und Klappbett im Kopf hat, ist weit weg von der Realität: Schränke aus Holz, Schreibtische, Kühlschränke, Fernseher. „Das Fernsehgerät ist natürlich immens wichtig“, meint Knebel, „gerade in der ersten Zeit braucht man Ablenkung.“
Ein Telefon können die Häftlinge mit einer Guthabenkarte benutzen. (Und wer jetzt glaubt, den Häftlingen gehe es zu gut, sei gewarnt. Die Türen sind dick, die Fenster vergittert, in manchen Hafträumen gibt es vom Direktor angeordnete Kameraüberwachung, vor allem bei Suizidgefahr. Die totale Institution ist nun einmal: total.) Zwischen den Hafträumen gibt es Gemeinschaftsküchen, Aufenthalts- und Fitnessräume. Alles immer wieder unterteilt von vergitterten Sicherheitstüren, wenn auch mit sonnengelbem Bodenbelag durchzogen.
Ob da nicht manchmal die Freiheit, die einem die Anstaltsleitung zutraue, ausgenutzt werde? Nein, sagt Knebel, denn: „Bei Übertretungen sind wir extrem restriktiv.“Passiere nur der kleinste Zwischenfall, gebe es die Zugeständnisse nicht mehr, „und das wissen die Insassen“. Das Zusammenspiel zwischen Justizwachebeamten und Insassen ist essenziell. Funktioniert die Kooperation? „Es gibt halt die, die einsperren. Die sind wir. Und es gibt halt welche, die auf der anderen Seite stehen, die eingesperrt werden.“Dass hier nicht immer alles im besten Miteinander funktioniere, „liegt in der Natur der Dinge“, sagt Knebel: „Ich vergleiche das immer ganz gern mit der Schulzeit, da ist der Lehrer ja auch mit Vorsicht zu genießen, mit dem kooperiert man auch nur dann, wenn es unbedingt notwendig ist. Verbotene Dinge sagt man ihm auch nicht gerade. Naja, und bei uns ist das ähnlich.“
Das Leben im Gefängnis scheint ein steter Testlauf der Realität zu sein.
Personal dringend gesucht. Tatsächlich liegt viel von dem, wie das Leben in einer Justizanstalt abläuft, an dem Personal, das dort arbeitet. In Salzburg leiten Justizwachebeamte mit entsprechender fachlicher Ausbildung die Betriebe (die Tischlerei wird zum Beispiel von einem Tischlermeister geleitet), organisieren Sportgruppen. Knebel ist sich bewusst, dass seine Mitarbeiter „viel Engagement“zeigen. Gerade ihre Initiativen bringen die Insassen ein Stück weit hinaus in das Leben in Freiheit, fördern die Sozialkompetenz.
Er sei ein Humanist, sagt der Gefängnisdirektor: »Der Mensch steht im Mittelpunkt.«
Umso problematischer ist es für Knebel, dass wenige Leute eine Laufbahn in der Justizwache anstreben. Polizei und Bundesheer seien sichtbarer und somit stärkere Konkurrenz. Aber auch Ärzte, Psychologen, Sozialarbeiter seien gefragt – in einem Bereich, der psychisch hoch belastend sein kann. Knebel meint zu beobachten, dass die Verwahrlosung der Menschen, die ins Gefängnis kommen, extrem zugenommen habe, „physisch und psychisch“.
Generell könne man gesamtgesellschaftliche Prozesse wie durch eine Lupe in der Veränderung der Klientel in der Justizanstalt verfolgen. Er sei ein Humanist, sagt Knebel: „Der Mensch steht im Mittelpunkt.“Er hatte ursprünglich Lehrer werden wollen, die