Noch einmal vor dem Richter
Sieben Mörder konzipieren einen Krimi. Was verrät er über sie?
Lehramtsprüfung hat er in den Fächern Mathematik, Geometrisches Zeichnen, Geschichte abgelegt. Die Motivation dahinter sei eine idealistische gewesen: „Ich wollte mit Jugendlichen arbeiten.“Weil in den 1980er-Jah- ren kein Lehrermangel herrschte, schlug sich Knebel schließlich mit Hilfsjobs durch. Über Freunde hatte er von der Berufsausbildung für Justizwachebeamte erfahren. Lange Zeit war die Laufbahn für ihn nur ein Übergang zum Lehrerdasein. „Es war nicht mein Berufsziel“, sagt Knebel. Ein Vorgesetzter förderte ihn dennoch: „Ich bin hängengeblieben. Und ich habe relativ schnell erkannt, dass die Arbeit der eines Pädagogen nicht unähnlich ist.“Die Grundausbildung, die humanistische wie die pädagogische, habe ihm in der Hinsicht „schon geholfen“.
Der Gefängnisdirektor und seine Kollegen versuchen, jeden Insassen der Justizanstalt mindestens einmal am Tag zu sehen. Das trägt nicht bloß zu dem Gefühl bei, dass man sich in Salzburg nicht in einer Justizanstalt, sondern eher in einer Art besonders sicheren Hauptschule mit Internat befindet, wo sich alle kennen. Der Ansatz der Anstaltsleitung macht sich insofern bezahlt, als dass die Insassen nicht das Gefühl bekommen, Nummern zu sein.
Als der Fotograf für diesen Artikel Fotos im Haupthof des Gefängnisses macht, ruft etwa ein junger Mann – die Arme durch die Gitterstäbe vor seinem offenen Fenster gestreckt, das Gesicht dagegen gepresst – zu Dietmar Knebel herunter: „Entschuldigung, Entschuldigung. Ich muss wirklich ganz dringend mit Ihnen reden.“Er müsse wirklich, ob der Gefängnisdirektor nicht später vorbeikommen könne, es sei wichtig. Knebel kennt den Fall des jungen Herrn: Am nächsten Tag soll er verlegt werden. Weil der Mann keine Verbindungen in Salzburg habe, soll er aus Platzgründen in ein anderes westösterreichisches Gefängnis kommen. Aus der Justizanstalt Salzburg wolle er aber nicht mehr weg. „Die Häftlinge stellen sich die ganze Zeit Dinge vor“, sagt Dietmar Knebel, der Direktor der Justizanstalt Salzburg. Tatsächlich haben vor allem Langzeithäftlinge oft nur die eigene Fantasie als Zufluchtsort, nach Jahren im Gefängnis, in der immer gleichen Umgebung.
Die belgische Performancekünstlerin Sarah Vanhee legt diese Quelle an Gedanken in ihrem Film „The Making of Justice“frei. Für einige Monate besuchte sie sieben Männer in einem belgischen Gefängnis, alle sieben des Mordes schuldig. Zusammen konzipierten sie einen Kriminalfilm. Vanhee zeigt in ihrem Werk allerdings ausschließlich die Konzeption, die Gespräche über die Geschichte, die die Männer erzählen wollen.
Der Film entfaltet nichtsdestotrotz dieselbe Wucht wie ein guter Krimi – wohl auch, weil er dem Zuseher die Freiheit lässt, zu entscheiden, was er von der Geschichte hält: Erzählen die Männer gerade aus ihrem eigenen Leben? Oder verwenden sie eigene Erfahrungen, um die Handlung des Films echter zu machen? Nicht nur einmal verweisen die Männer darauf, dass Hollywood-Filme ein völlig falsches Bild von Kriminalität und Gewalt liefern würden. Denkprozess. Wie passiert also ein Mord aus der Sicht eines Mörders? Meistens ist es eine Mischung aus falschem Zeitpunkt und falschem Ort, nie etwas Geplantes, zumindest nicht bei Vanhees sieben Protagonisten, die in ihrem Film auch zeigen wollen, was nach einem Mord passiert (etwas, das, wie sie finden, in Kinofilmen immer vergessen wird).
Vor allem wollen sie zeigen, wie der Täter leidet – seine Schuldgefühle und seine Transformation hin zu einem reumütigen Gefängnisinsassen, der irgendwann auch zeigen will, dass er einer von den Guten geworden ist. Gerade nach dieser Erfahrung scheinen die sieben Häftlinge zu lechzen: zu zeigen, dass sie sich verändert haben. Sie erzählen von ihren Kontaktversuchen mit den Familien der Opfer, von ihrem Umgang mit Leuten, die sie verraten haben. Und von ihren Sehnsüchten, die sie lang nicht werden erfüllen können.
»Sie haben keine Möglichkeit, herauszufinden, ob sie sich wirklich geändert haben.«
„Das Problem ist: Diese Männer haben keine Möglichkeit, herauszufinden, ob sie sich wirklich geändert haben“, sagt Vanhee. „Sie haben noch viele Jahre Gefängnis vor sich.“Die Veränderung, die oft durch Therapie, ein Philosophiestudium im Gefängnis oder die Gesprächsrunden mit Priestern und Ko-Insassen eintritt, „können sie im echten Leben nicht ausprobieren. Ihnen bleibt nur das Reich der Fiktion.“Vanhee gewährt ihnen Zutritt.
Und verschafft ihnen noch einmal die Möglichkeit, beurteilt zu werden. „Was mich so überraschte, war, wie außerordentlich viel die Insassen mit mir über ihre Geschichte sprechen wollten. Jede neue Person, die sie treffen, gibt ihnen die Möglichkeit, sich nicht bloß neu zu erfinden, sondern auch noch einmal beurteilt zu werden“, meint sie. „Ich fühlte mich wie eine Leinwand, auf der sie ihr eigenes Bild zeichnen konnten.“Mit dem Film, der 2016 entstand, gab Vanhee den sieben Männern schließlich die Möglichkeit, genau das zu tun.