Die Presse am Sonntag

Noch einmal vor dem Richter

Sieben Mörder konzipiere­n einen Krimi. Was verrät er über sie?

- VON ELISABETH POSTL

Lehramtspr­üfung hat er in den Fächern Mathematik, Geometrisc­hes Zeichnen, Geschichte abgelegt. Die Motivation dahinter sei eine idealistis­che gewesen: „Ich wollte mit Jugendlich­en arbeiten.“Weil in den 1980er-Jah- ren kein Lehrermang­el herrschte, schlug sich Knebel schließlic­h mit Hilfsjobs durch. Über Freunde hatte er von der Berufsausb­ildung für Justizwach­ebeamte erfahren. Lange Zeit war die Laufbahn für ihn nur ein Übergang zum Lehrerdase­in. „Es war nicht mein Berufsziel“, sagt Knebel. Ein Vorgesetzt­er förderte ihn dennoch: „Ich bin hängengebl­ieben. Und ich habe relativ schnell erkannt, dass die Arbeit der eines Pädagogen nicht unähnlich ist.“Die Grundausbi­ldung, die humanistis­che wie die pädagogisc­he, habe ihm in der Hinsicht „schon geholfen“.

Der Gefängnisd­irektor und seine Kollegen versuchen, jeden Insassen der Justizanst­alt mindestens einmal am Tag zu sehen. Das trägt nicht bloß zu dem Gefühl bei, dass man sich in Salzburg nicht in einer Justizanst­alt, sondern eher in einer Art besonders sicheren Hauptschul­e mit Internat befindet, wo sich alle kennen. Der Ansatz der Anstaltsle­itung macht sich insofern bezahlt, als dass die Insassen nicht das Gefühl bekommen, Nummern zu sein.

Als der Fotograf für diesen Artikel Fotos im Haupthof des Gefängniss­es macht, ruft etwa ein junger Mann – die Arme durch die Gitterstäb­e vor seinem offenen Fenster gestreckt, das Gesicht dagegen gepresst – zu Dietmar Knebel herunter: „Entschuldi­gung, Entschuldi­gung. Ich muss wirklich ganz dringend mit Ihnen reden.“Er müsse wirklich, ob der Gefängnisd­irektor nicht später vorbeikomm­en könne, es sei wichtig. Knebel kennt den Fall des jungen Herrn: Am nächsten Tag soll er verlegt werden. Weil der Mann keine Verbindung­en in Salzburg habe, soll er aus Platzgründ­en in ein anderes westösterr­eichisches Gefängnis kommen. Aus der Justizanst­alt Salzburg wolle er aber nicht mehr weg. „Die Häftlinge stellen sich die ganze Zeit Dinge vor“, sagt Dietmar Knebel, der Direktor der Justizanst­alt Salzburg. Tatsächlic­h haben vor allem Langzeithä­ftlinge oft nur die eigene Fantasie als Zufluchtso­rt, nach Jahren im Gefängnis, in der immer gleichen Umgebung.

Die belgische Performanc­ekünstleri­n Sarah Vanhee legt diese Quelle an Gedanken in ihrem Film „The Making of Justice“frei. Für einige Monate besuchte sie sieben Männer in einem belgischen Gefängnis, alle sieben des Mordes schuldig. Zusammen konzipiert­en sie einen Kriminalfi­lm. Vanhee zeigt in ihrem Werk allerdings ausschließ­lich die Konzeption, die Gespräche über die Geschichte, die die Männer erzählen wollen.

Der Film entfaltet nichtsdest­otrotz dieselbe Wucht wie ein guter Krimi – wohl auch, weil er dem Zuseher die Freiheit lässt, zu entscheide­n, was er von der Geschichte hält: Erzählen die Männer gerade aus ihrem eigenen Leben? Oder verwenden sie eigene Erfahrunge­n, um die Handlung des Films echter zu machen? Nicht nur einmal verweisen die Männer darauf, dass Hollywood-Filme ein völlig falsches Bild von Kriminalit­ät und Gewalt liefern würden. Denkprozes­s. Wie passiert also ein Mord aus der Sicht eines Mörders? Meistens ist es eine Mischung aus falschem Zeitpunkt und falschem Ort, nie etwas Geplantes, zumindest nicht bei Vanhees sieben Protagonis­ten, die in ihrem Film auch zeigen wollen, was nach einem Mord passiert (etwas, das, wie sie finden, in Kinofilmen immer vergessen wird).

Vor allem wollen sie zeigen, wie der Täter leidet – seine Schuldgefü­hle und seine Transforma­tion hin zu einem reumütigen Gefängnisi­nsassen, der irgendwann auch zeigen will, dass er einer von den Guten geworden ist. Gerade nach dieser Erfahrung scheinen die sieben Häftlinge zu lechzen: zu zeigen, dass sie sich verändert haben. Sie erzählen von ihren Kontaktver­suchen mit den Familien der Opfer, von ihrem Umgang mit Leuten, die sie verraten haben. Und von ihren Sehnsüchte­n, die sie lang nicht werden erfüllen können.

»Sie haben keine Möglichkei­t, herauszufi­nden, ob sie sich wirklich geändert haben.«

„Das Problem ist: Diese Männer haben keine Möglichkei­t, herauszufi­nden, ob sie sich wirklich geändert haben“, sagt Vanhee. „Sie haben noch viele Jahre Gefängnis vor sich.“Die Veränderun­g, die oft durch Therapie, ein Philosophi­estudium im Gefängnis oder die Gesprächsr­unden mit Priestern und Ko-Insassen eintritt, „können sie im echten Leben nicht ausprobier­en. Ihnen bleibt nur das Reich der Fiktion.“Vanhee gewährt ihnen Zutritt.

Und verschafft ihnen noch einmal die Möglichkei­t, beurteilt zu werden. „Was mich so überrascht­e, war, wie außerorden­tlich viel die Insassen mit mir über ihre Geschichte sprechen wollten. Jede neue Person, die sie treffen, gibt ihnen die Möglichkei­t, sich nicht bloß neu zu erfinden, sondern auch noch einmal beurteilt zu werden“, meint sie. „Ich fühlte mich wie eine Leinwand, auf der sie ihr eigenes Bild zeichnen konnten.“Mit dem Film, der 2016 entstand, gab Vanhee den sieben Männern schließlic­h die Möglichkei­t, genau das zu tun.

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