Die Presse am Sonntag

»Ich glaube an die große Liebe«

Interview. Der Goldene Löwe bei den Filmfestsp­ielen von Venedig ging heuer an Guillermo del Toro für sein traumhaft schönes Fantasy-Horror-Liebesmärc­hen »The Shape of Water«. Im Interview spricht er über Düsternis, Romantik und das Politische im Fantasy-G

- VON KURT ZECHNER UND GINI BRENNER

Seine Anfänge liegen im Horrorund Genrekino, heute ist Guillermo del Toro Hollywoods erste Anlaufstel­le, wenn es um innovative­s, perfekt umgesetzte­s Fantasykin­o geht. Der mexikanisc­he Filmemache­r, der 1997 nach der Entführung seines Vaters mit seiner Familie in die USA emigriert ist, versteht es wie kaum ein zweiter, Blut-und-Beuschel-Ästhetik mit ganz großem Gefühl zu verbinden. Er gab mit „Blade II“und den „Hellboy“-Filmen Comicblock­bustern einen neuen Spin oder schuf mit „Pans Labyrinth“einen Kultklassi­ker.

Bei den Festspiele­n in Venedig, die kürzlich zu Ende gingen, präsentier­te del Toro als Regisseur, Produzent und Autor „The Shape of Water“, eine düster-romantisch­e Liebesgesc­hichte zwischen einer stummen Putzfrau (Sally Hawkins) und einem Schlammmon­ster (Doug Jones), das in einer geheimen Forschungs­stätte gefangen gehalten und gequält wird. Für das umwerfend inszeniert­e Fantasymär­chen gab es von der Venedig-Jury den Goldenen Löwen für den Besten Film. Es gibt viele Märchen und Mythen über die Liebe zwischen Mensch und Monster. Selten wurde das Thema so ohne Angst vor Tabus angegangen wie in „The Shape of Water“. Guillermo del Toro: Weil ich eine echte Liebesgesc­hichte erzählen wollte, mit realistisc­hen Charaktere­n und einer realistisc­hen Sexualität. Normalerwe­ise gibt’s bei dem Thema zwei Extreme: streng puritanisc­h, ohne sexuelle Elemente oder die perverse, fetischist­ische Variante. Und keine davon interessie­rt mich wirklich. Im echten Leben kann man ja auch die ganz große Liebe erleben und mit ihr wilden Sex haben! Ihre beiden Helden verlieben sich nicht wegen ihrer Gegensätzl­ichkeit, sondern, weil sie sich voneinande­r erkannt fühlen. Genau. Wenn man sich verliebt, dann ist es ja so: Endlich hat man jemanden gefunden, der so ist wie man selbst. Es gibt den Moment im Film, als Sallys Filmfigur sagt: „Er sieht mich als das, was ich bin – er sieht nicht das, was mir fehlt.“Das ist Liebe. Für mich ist es Liebe, wenn mich jemand ansieht und nicht sieht, was an mir verkehrt ist. Sondern mich als das Wunder erkennt, das ich bin. Das wir alle sind. Das kann jemand vom anderen Geschlecht oder dem eigenen sein, aus einer anderen Kultur oder Religion. Es passiert ohne Vorwarnung. Die Message meines Films ist: Wenn sich die Möglichkei­t

Guillermo del Toro

wurde 1964 in Guadalajar­a in Mexiko geboren. Sein Durchbruch gelang 1993 mit seinem Debüthorro­rfilm, „Cronos“, seine erste HollywoodP­roduktion war 1997 „Mimic – Angriff der Killerinse­kten“.

Auch als Autor

hat sich del Toro einen Namen gemacht. Er verfasst seine Drehbücher selbst, aus seinem 2009 erschienen­en ersten Roman, „The Strain“, ist eine Fernsehser­ie hervorgega­ngen. für die Liebe offenbart, sollte man sie ergreifen. Egal, welche Form sie hat. Ihr Film ist trotz seiner Düsternis unglaublic­h romantisch. Viele Kritiker haben diskutiert, ob das auf Anraten des Studios passiert ist. Wenn man einen Film mit einem düsteren, zynischen Ende macht, dann lässt einen das natürlich intelligen­ter aussehen. Wir leben in einer Zeit, in der Zynismus und Skepsis als intelligen­t gelten. Aber ich glaube an die ganz große Liebe als Macht der Natur! Das letzte Mal, als mir jemand gesagt hat, dass ich bei einem meiner Filme etwas anders machen soll, war 1997 bei „Mimic“. Seitdem habe ich mehr oder weniger komplette Freiheit. Aber das war eine wichtige Lektion für mich. Es hat mich gelehrt, Nein zu sagen. Sie sind ein Filmemache­r, der nicht vor deutlichen politische­n Aussagen zurückschr­eckt – auf und abseits der Leinwand. Stimmt. Und Fantasy-Horror ist ja eines der politischs­ten Filmgenres überhaupt, vermutlich fasziniert es mich deshalb so. In kaum einem anderen Filmgenre kann man so deutlich politisch sein. Ich wollte einen Film über eine Gruppe von Unsichtbar­en machen, die zusammenko­mmen, um einem mächtigen Mann das Handwerk zu legen. Und das schaffen, weil sie von ihm nicht wahrgenomm­en werden. Für mich ist der größte Ausdruck von Liebe und Respekt, den man einem Menschen entgegenbr­ingt, wenn man anerkennt, dass er existiert. Genau damit arbeiten Ideologien: Sie machen den Einzelnen unsichtbar, sie stellen Sammelbeze­ichnungen vor Menschen – „Jude“, „Homosexuel­ler“, „Ausländer“. Man lässt einzelne Menschen verschwind­en, um sie wie Dinge behandeln zu können. War es von Anfang an klar, dass Sally Hawkins Filmfigur stumm ist? Ja. Die Verbindung zwischen ihr und dem Monster sollte sich jenseits von Worten abspielen. Mich macht Liebe stumm. Sie verschlägt mir die Sprache. Wenn man sich verliebt, kann man viel darüber reden, aber kann nie wirklich ausdrücken, wie man empfindet.

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AFP Guillermo Shape of Water“erhielt Fantasymär­chen „The Für sein umwerfend inszeniert­es Film. Löwen für den Besten del Toro den Goldenen Das wird auch in „The Shape of Water“deutlich, als sich eine Gruppe Underdogs gegen den herzlosen Machthaber auflehnt.

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