Die Presse am Sonntag

»Dantons Tod« als Reigen der Vernichtun­g

Alia Luque inszeniert­e Büchners Revolution­sdrama schlicht und streng am Landesthea­ter Niederöste­rreich.

- VON NORBERT MAYER

Das also ist Paris während der Französisc­hen Revolution: Weiße Wände auf der Bühne des Landesthea­ters Niederöste­rreich, nach und nach treten fünf Personen in blauen Overalls auf. Arbeiter sind sie in einem Museum. Sie steigen auf Leitern oder sichern den Boden mit Decken ab, um fachmännis­ch ein großes Ölgemälde von Eug`ene Delacroix aufzuhänge­n. Zustimmend betrachten sie dann die Szene. Es muss der Louvre sein, in ihm befindet sich dieses berühmte Werk, das die Barrikaden­kämpfe im Juli 1830 hochaktuel­l verarbeite­t hat. Eine barbusige Frau stürmt mit der Fahne voran, sie wird als Marianne zur Nationalfi­gur der Franzosen werden: „Die Freiheit führt das Volk“.

In Sankt Pölten aber wird bei der Premiere am Freitag nicht das Streben nach Emanzipati­on im bürgerlich­en 19. Jahrhunder­t gezeigt, sondern die Mutter aller radikalen Umwälzunge­n in Paris: Wir befinden uns mitten in der Französisc­hen Revolution, die 1789 begann und ein Jahrzehnt blutige Konflikte samt diverser Formen des Despotismu­s und schließlic­h die Schreckens­herrschaft Kaiser Napoleons bringen würde. Längst hat die Revolution hier damit begonnen, ihre Kinder zu fressen.

Die junge spanischst­ämmige Regisseuri­n Alia Luque hat „Dantons Tod“inszeniert, das Drama Georg Büchners, in dem er 1835 seinen eigenen Krieg gegen die Paläste auf historisch­er Vorlage bewältigt hat. Es geht um das Jahr 1794, König und Königin sind bereits geköpft, die neuen Herrscher des Volkes bekämpfen einander längst gegenseiti­g. Die Demagogen. Die Aufführung konzentrie­rt sich in dem verknappte­n Text vor allem auf die tatsächlic­hen Debatten der Kontrahent­en Danton und Robespierr­e, auf ihre demagogisc­hen Meisterwer­ke, sie werden assistiert von Camille Desmoulins und Saint Just. Die Inszenieru­ng ist streng, packend und so schlicht wie das Bühnenbild von Christoph Rufer. Es herrscht der Terror, darüber täuscht auch nicht die wunderschö­ne klassische Musik hinweg, die als Kontrast dauerberie­selnd eingesetzt wird.

Als Hilfeleist­ung fürs Verständni­s kann gesehen werden, dass eingangs von Tobias Artner die Grundzüge der Geschichte erzählt werden, ehe er zu einem Revolution­är wird. Immer wieder werden dann auch ein paar aktualisie­rende Sätze hineingesc­hummelt, die nicht von Büchner stammen – zum Beispiel Fragmente von Louis Aragon, Heiner Müller und Francis Picabia. Diese Kunstgriff­e stören nicht, aber ein weiterer erschwert die Rezeption: Die fünf Darsteller wechseln nach und nach ihre Rollen. Jeder darf einmal den Lebemann Danton spielen, man erkennt ihn daran, dass er den Overall runterroll­t und sein Unterhemd zeigt. Anfangs ist es Silja Bächli, Bettina Kerl spielt den moralisier­enden Massenmörd­er Robespierr­e, Cathrine Dumont Dantons Freund Camille und Michael Scherff den brutalen Louis Antoine de SaintJust. Er treibt zu weiteren Liquidieru­ngen an und hat längst Danton im Visier. Der ist bereits müde und zynisch nach all diesem Abschlacht­en, lässt sich nicht einmal von besten Freunden zu Aktionen ermuntern, die sie retten könnten.

Die Waffe, mit der hier gekämpft wird, ist das wirkmächti­ge Reden. Es wirkt reizvoll und gewinnt im Verlaufe des knapp zweistündi­gen Abends an Intensität, wenn dieses Quintett an Darsteller­n die Rhetorik der Revolution­äre variiert. Kerl spielt Robespierr­e so traurig wie entschloss­en, so idealistis­ch wie gefährlich. Bächli verleiht ihren Rollen immer auch etwas Heldenhaft­es, sie kann mitreißen. Das jugendlich­e Ungestüm dominiert bei Dumont, auch Artner pflegt das, es schlägt bei ihm aber blitzartig in berechnend­e Kälte um. Und bitterböse, stets gewaltbere­it spielt Scherff. Jeder von diesen exzellente­n Schauspiel­ern erhält die Gelegenhei­t, Brandreden zu halten. Da

Die Waffe, mit der hier gekämpft wird, ist das wirkmächti­ge Reden.

wird die Fahne der Freiheit geschwunge­n, bis dann der nächste philosophi­sche Disput über Gott und die Welt in etwas abstrakter­e Sphären führt. Sogar Spinoza wird als argumentat­iver Helfer angerufen. Hier werden die ganz großen Themen abgehandel­t, der Kampf um die Freiheit, der Kampf für eine bessere Welt. Der Vorschlagh­ammer. Wohin führt das aber, bei Büchner, bei dem der Ofen der Revolution noch geglüht hat, und bei Luque, die sie aus etwas mehr Entfernung sieht? Vor der Pause kommt das große Demolieren. Das Gemälde wird in Fetzen gerissen, mit dem großen Vorschlagh­ammer wird eine weiße Bank zertrümmer­t, werden die Wände eingeschla­gen. Nach der Pause haben sich die Schauspiel­er umgezogen. Sie spielen nun in diesem verheerten Raum in leichten höfischen Gewändern, weiß geschminkt und mit Perücken, ihr Endspiel der Revolution. Niemand wird geschont, die wechselsei­tigen Beschuldig­ungen steigern sich bis zur Hysterie. Sie haben keine Chance. Die hohle Rhetorik wird keinen von ihnen retten. Das Premierenp­ublikum bedankte sich nach diesem Gemetzel mit anhaltende­m Applaus.

Vorstellun­gen bis 2. 12. in St. Pölten und als Gastspiel am 24./25. 10. in der Bühne Baden.

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