Culture Clash
FRONTNACHRICHTEN AUS DEM KULTURKAMPF
»Bitte hört auf«. Die Lynchjustiz, die der Präsident der Philippinen populär gemacht hat, trifft nun doch auf Widerstand. Der Prozess um den Tod eines 17-Jährigen ist ein Hoffnungszeichen.
Die US-Organisation Freedom House erhebt den Zustand der Freiheit in der Welt. Ihre Berichte werden immer düsterer. Jeder einzelne der sieben Indikatoren hat sich im vergangenen Jahrzehnt verschlechtert, am meisten die Meinungsfreiheit und die Rechtsstaatlichkeit. Vor diesem Hintergrund ist der Kampf um den Rest von Rechtsstaatlichkeit auf den Philippinen von besonderem Interesse, einem demokratischen Land mit autoritärem Präsidenten. Seitdem Rodrigo Duterte am Tag seiner Amtsübernahme im Juni 2016 die Exekutive aufgerufen hat, Drogenleute ohne Verfahren zu erschießen, sind bis zu 13.000 Menschen von Polizisten getötet worden, sogar ein fünfjähriges Mädchen. Duterte hat solche Opfer als „Kollateralschäden“abgetan.
Umso bemerkenswerter ist, dass es nun doch zu einer gerichtlichen Untersuchung gegen die Mörder eines 17-jährigen Studenten gekommen ist. Im August wurde Kian delos Santos von Polizisten „in Notwehr“durch Schüsse in den Kopf und den Rücken getötet. Ein Video zeigt aber, dass der Student unbewaffnet und bereits in Polizeigewahrsam war. Seine letzten Worte waren laut Zeugen: „Bitte hört auf. Hört auf. Ich habe morgen eine Prüfung.“
Selbst Duterte hat eine Untersuchung verlangt und damit alle überrascht. Dass die Zeugen bei der Einvernahme aus Angst vor der Polizei vermummt aufgetreten sind und einer vom Ortsbischof versteckt werden muss, sagt aber viel über den prekären Zustand des Rechts auf den Philippinen aus.
Korruption im Rechtswesen gibt es überall. Aber brisant ist, wenn sie ganz offen von ganz oben ausgeht. Das staatliche Gewaltmonopol, seine Einschränkung durch Formalerfordernisse wie Haftund Durchsuchungsbefehle und seine Kontrolle durch unabhängige Gerichte sind in langem Ringen zu einem Grundpfeiler des liberalen Staats geworden, verachtet nur von Tyrannen.
Nun hat aber eine Erosion der Standards eingesetzt. Es ist populär geworden, die Formen des Rechtsstaats als hinderlich im Kampf gegen „Feinde des Volkes“zu erklären. Sie würden den Verbrecher mehr als die Bürger schützen. „Hat nicht einzig Mussolini die Mafia besiegt?“„Hat nicht Castro die Straßen Havannas sicher gemacht?“„In der Nazi-Zeit musste man die Haustür nicht abschließen.“Und so weiter. Laut Umfragen steht eine große Mehrheit hinter Duterte.
Doch wer auf die Herrschaft des Rechts verzichtet, vernichtet letztlich jede Sicherheit. Denn ein auf diese Weise außer Kontrolle geratener Staat ist mächtiger und brutaler und damit für alle Bürger weit bedrohlicher als jeder Drogenbaron. Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.