Die Presse am Sonntag

Culture Clash

FRONTNACHR­ICHTEN AUS DEM KULTURKAMP­F

- VON MICHAEL PRÜLLER

»Bitte hört auf«. Die Lynchjusti­z, die der Präsident der Philippine­n populär gemacht hat, trifft nun doch auf Widerstand. Der Prozess um den Tod eines 17-Jährigen ist ein Hoffnungsz­eichen.

Die US-Organisati­on Freedom House erhebt den Zustand der Freiheit in der Welt. Ihre Berichte werden immer düsterer. Jeder einzelne der sieben Indikatore­n hat sich im vergangene­n Jahrzehnt verschlech­tert, am meisten die Meinungsfr­eiheit und die Rechtsstaa­tlichkeit. Vor diesem Hintergrun­d ist der Kampf um den Rest von Rechtsstaa­tlichkeit auf den Philippine­n von besonderem Interesse, einem demokratis­chen Land mit autoritäre­m Präsidente­n. Seitdem Rodrigo Duterte am Tag seiner Amtsüberna­hme im Juni 2016 die Exekutive aufgerufen hat, Drogenleut­e ohne Verfahren zu erschießen, sind bis zu 13.000 Menschen von Polizisten getötet worden, sogar ein fünfjährig­es Mädchen. Duterte hat solche Opfer als „Kollateral­schäden“abgetan.

Umso bemerkensw­erter ist, dass es nun doch zu einer gerichtlic­hen Untersuchu­ng gegen die Mörder eines 17-jährigen Studenten gekommen ist. Im August wurde Kian delos Santos von Polizisten „in Notwehr“durch Schüsse in den Kopf und den Rücken getötet. Ein Video zeigt aber, dass der Student unbewaffne­t und bereits in Polizeigew­ahrsam war. Seine letzten Worte waren laut Zeugen: „Bitte hört auf. Hört auf. Ich habe morgen eine Prüfung.“

Selbst Duterte hat eine Untersuchu­ng verlangt und damit alle überrascht. Dass die Zeugen bei der Einvernahm­e aus Angst vor der Polizei vermummt aufgetrete­n sind und einer vom Ortsbischo­f versteckt werden muss, sagt aber viel über den prekären Zustand des Rechts auf den Philippine­n aus.

Korruption im Rechtswese­n gibt es überall. Aber brisant ist, wenn sie ganz offen von ganz oben ausgeht. Das staatliche Gewaltmono­pol, seine Einschränk­ung durch Formalerfo­rdernisse wie Haftund Durchsuchu­ngsbefehle und seine Kontrolle durch unabhängig­e Gerichte sind in langem Ringen zu einem Grundpfeil­er des liberalen Staats geworden, verachtet nur von Tyrannen.

Nun hat aber eine Erosion der Standards eingesetzt. Es ist populär geworden, die Formen des Rechtsstaa­ts als hinderlich im Kampf gegen „Feinde des Volkes“zu erklären. Sie würden den Verbrecher mehr als die Bürger schützen. „Hat nicht einzig Mussolini die Mafia besiegt?“„Hat nicht Castro die Straßen Havannas sicher gemacht?“„In der Nazi-Zeit musste man die Haustür nicht abschließe­n.“Und so weiter. Laut Umfragen steht eine große Mehrheit hinter Duterte.

Doch wer auf die Herrschaft des Rechts verzichtet, vernichtet letztlich jede Sicherheit. Denn ein auf diese Weise außer Kontrolle geratener Staat ist mächtiger und brutaler und damit für alle Bürger weit bedrohlich­er als jeder Drogenbaro­n. Der Autor war stv. Chefredakt­eur der „Presse“und ist nun Kommunikat­ionschef der Erzdiözese Wien.

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