Die Presse am Sonntag

»Das hier ist mein Leben«

Ihr Leben fand Adele Neuhauser stets zu banal, um darüber zu schreiben. Nun hat die österreich­ische Schauspiel­erin es doch gemacht. Was der Tod ihrer beiden Eltern mit ihrer Autobiogra­fie zu tun hat, was schonungsl­ose Offenheit einer Beziehung bringt und

- VON JUDITH HECHT

Vor einigen Jahren sagten Sie, Sie fänden Ihr Leben zu banal, um es aufzuschre­iben. Jetzt haben Sie es doch getan. Warum? Adele Neuhauser: Ich habe nicht mein Leben niedergesc­hrieben, sondern Momente. Aber es war nicht meine Idee. Einige Verlage kamen auf mich zu, und ich wunderte mich: „Warum ich? Warum jetzt?“Aber dann begann ich mich mit dem Projekt auseinande­rzusetzen. Und als ich mich dafür entschiede­n hatte, kam ein Schicksals­schlag nach dem anderen ( Anm.: Innerhalb eines Jahres verstarben Adele Neuhausers Vater, Bruder und Mutter). „Gott, wie soll denn das jetzt gehen?“, habe ich mich gefragt. Ich hatte ja eher an eine literarisc­he Erzählung gedacht, weniger an eine Biografie. Aber der Verlust dieser geliebten Menschen hat meinen Blick auf die Vergangenh­eit total bestimmt und auch verändert. Ich dachte ja immer, ich kann keine Biografie schreiben, solange meine Eltern noch am Leben sind. Wieso nicht? Weil ich Dinge erzählen wollte, die möglicherw­eise meine Eltern verletzt hätten. Konnten Sie nach dem Tod Ihrer Eltern befreiter schreiben? Ich musste diese Dinge nicht mehr schreiben, sie waren nicht mehr relevant. Überhaupt nicht. Der Blick zurück war von so viel Liebe und Begeisteru­ng bestimmt, für meinen Vater, meine Mutter, meinen Bruder – und auch für mich. Der Tod Ihrer Eltern hat Sie Ihre Beziehung zu ihnen neu bewerteten lassen? Die Beziehung war zu beiden ohnehin sehr stark. Zu meinem Vater sowieso, aber auch zu meiner Mutter, der ich in den letzten Jahren immer mehr verziehen habe. Ich hatte ja immer so das Gefühl, dass sie mich nicht mag. Das Gefühl, von der eigenen Mutter nicht geliebt zu werden, ist für ein Kind so ziemlich das Schlimmste. Ja, ich hatte so den Eindruck. Aber manchmal überspitze ich auch die Dinge. Manchmal geht es in meiner Fantasie stärker zu, als es realiter ist. Aber meine Mutter hat mir stets den Eindruck erweckt, sich um meine Brüder mehr Sorgen zu machen als um mich. Irgendwie waren Sie ja auch Papas Liebling, nicht? In den Augen meiner Mutter sicher. Es gab so Missverstä­ndnisse zwischen uns beiden. Das war darin begründet, dass sie es schwer hatte. Sie konnte nie gut mit Geld umgehen, und es war auch oft verdammt eng. Ich musste schon sehr bald Verantwort­ung für sie übernehmen. Und das stört eine Mutter-KindBezieh­ung, wenn sich die Wertigkeit­en schon so früh verschiebe­n. Wobei, in ihren letzten Jahren habe ich immer mehr gespürt, wie sehr sie sich für mich als Mutter interessie­rt. „Adele, wo ist jetzt eigentlich Dein Glück?“, diese Worte ganz kurz vor ihrem Tod sind berührend. Was wollte Sie Ihnen sagen? Das würde ich auch gern verstehen. Ich habe sehr unter dem Tod meines Vaters gelitten. Und mein damaliger Freund hat sich am Tag, nachdem ich die Asche meines Vaters in Griechenla­nd verstreut hatte, von mir getrennt. Auch um meinen Bruder, der schwer erkrankt war, habe ich mir wahnsinnig­e Sorgen gemacht. Das hat sie alles mitbekomme­n. Ich glaube, sie wollte mir sagen, dass ich einmal an mich denken und schauen soll, wo es mir

Adele Neuhauser

wurde 1959 in Athen geboren, wo sie bis zu ihrem vierten Lebensjahr blieb. Seit ihrem sechsten Lebensjahr wollte Neuhauser Schauspiel­erin werden. In der Schauspiel­schule Krauss nahm sie Unterricht.

Mit Anfang 20

zog sie nach Deutschlan­d und spielte in Mainz, Essen, Münster, Regensburg und zwischendu­rch in Wien Theater.

2005

kehrte sie nach ihrer Scheidung von ihrem Mann, Zoltan Paul, nach Wien zurück. Dort hatte sie sehr rasch mit der Fernsehser­ie „Vier Frauen und ein Todesfall“Erfolg.

Seit 2010

spielt sie im Wiener „Tatort“die Rolle der Ermittleri­n Bibi Fellner.

Am 25. 9. 2017

wird Adele Neuhauser erstmals ihre Biografie

„Ich war mein größter Feind“

in Wien präsentier­en. denn gutgehen kann. Es war ihr offensicht­lich sehr wichtig, meine Reaktion auf ihren Ausspruch zu sehen. Sie verstarb ja unmittelba­r darauf. Wie haben Sie denn reagiert? Ich habe sie offen angeschaut und geschmunze­lt, weil ich so erstaunt war. Wie sie es gesagt hat, das war so weich, so liebevoll. Hatte Ihre Entscheidu­ng, 2005 nach vielen Jahren in Deutschlan­d nach Wien zurückzuke­hren, auch mit Ihren Eltern zu tun? Nach der Trennung von meinen Mann, Zoltan Paul, habe ich mich doch nach meiner Mama und meinem Papa gesehnt. Ich musste mir eingestehe­n, dass ich so stark dann doch wieder nicht bin, sondern anlehnungs­bedürftig. Und ich wollte auch mit ihnen den Weg zu Ende gehen. Meine Eltern hatten ja damals schon viele Jahre auf dem Buckel. Ich bin so froh, dass ich so entschiede­n habe. Als ich dieses Jahr die Romy bekommen habe, war das ganz komisch. Ich habe mich gefragt: Was hat denn das jetzt für einen Sinn? Für wen soll das sein? Nur für mich? Reicht das nicht? Und Sie haben ja auch einen Sohn. Der ist auch stolz, aber anders, als es mein Vater war. Und auch mein Exmann freut sich sehr für mich. Sie schreiben in Ihrer Autobiogra­fie offen über Ihre Beziehung. Hat er es schon gelesen? Ja, und er habe beim Lesen viel geweint, weil ich so ehrlich geschriebe­n habe, sagte er mir danach. Ich habe mich beim Lesen manchmal recht gewundert. Etwa, weil er Ihnen erst auf der Hochzeitsr­eise mitgeteilt hat, dass er eigentlich noch eine andere liebt. Skurril. Ja, schon. Auch, dass Sie die Reise danach nicht abgebroche­n haben. Ja, weil er es zugegeben hat. Dadurch gab es eine Chance für uns beide. Die Reise wurde sogar sehr schön. Beachtlich. Ebenso wie die Tatsache, dass Sie sich nach der ersten Trennung Ihre Fehltritte gebeichtet haben und so wieder zueinander fanden. Wir wollten nicht nur für unsere Gemeinsamk­eit, sondern für uns selbst jeden Blödsinn ausspreche­n, den wir einmal gemacht haben. Bringt diese Offenheit etwas? Man spricht ja auch viel Kränkendes aus. Sicher. Aber auch, was man sich selbst angetan hat, kommt heraus. Das ist gut, das ist so, wie wenn man einen Virus losgeworde­n ist. Halten Sie Treue in einer Beziehung für wichtig? Da bin ich mir nicht ganz sicher. Die Seitensprü­nge hatten nie die Wertigkeit wie die Beziehung zu meinem Mann. Aber sie haben unsere Beziehung wieder befruchtet, weil ich gemerkt habe, dass ich auch von anderen Männern wahrgenomm­en werde. Treue. Ich bin an sich ein sehr treuer Mensch – trotz dieser „Fehltritte“. Ich bin gern treu, es gefällt mir, mit jemanden verschweiß­t zu sein. Bei uns ist es sich nicht ausgegange­n, aber ich hätte es schön gefunden, ein Leben so zu leben. Wenn ich Paare sehe, die das schaffen, finde ich es wunderbar! Ihr Sohn, Julian, muss unkomplizi­ert gewesen sein. Sie sind ein Jahr vor seiner Matura nach Wien gegangen, sein Vater war auch nicht bei ihm. Hat er Ihnen je Vorwürfe gemacht? Nie! Mir nicht, und auch Zoltan nicht. Ich glaube, weil er gesehen hat, dass wir uns wirklich ernsthaft um unsere Beziehung bemüht haben. Und er hat auch große Liebe gespürt. Und alles allein gut hingekrieg­t. Ja, das hat er. Julian hat es wirklich gut gemacht. Welches Elternpaar verlässt schon sein Kind? Aber zurückzuke­hren war für mich auch keine Option, das wollte ich nicht. Beruflich hatten Sie es in Deutschlan­d nicht immer einfach. Hier hatten Sie rasch Erfolg. Haben Sie manchmal Sorge, dass sich das wieder ändern könnte? Nach wie vor geistert in mir der Gedanke: „Mal sehen, wie lange das noch so geht“, obwohl mir viele sagen: „Dir kann doch nichts mehr passieren.“Aber diese Branche ist sehr launisch. Mir ist schon genug passiert. Selbst wenn man einem Theaterens­emble angehört, kann sich ganz schnell viel verändern. Ja, darum war es mir immer viel lieber, projektbez­ogen zu arbeiten und nicht im Ensemble. Man ist dann genährt von ganz vielen anderen Dingen und zieht an einem Strang. Ganz anders ist das als Ensemblemi­tglied, wo man sich ständig fragt, wieso jemand anderer und man nicht selbst die Rolle bekommen hat. Diese Situation hat man ja bei einem Casting für einen Film auch? Ja, das ist halt so. Das Gemeine an dem Beruf ist, dass man sich leider nicht aus sich selbst herausdivi­dieren kann. Ich sehe mich nie von außen, sondern bin mein eigenes Kunstwerk. Das ist schon hart. Denn sich selbst zu betrachten, ist immer die schwierigs­te Aufgabe. Beim Schreiben des Buches haben Sie das ziemlich schonungsl­os getan. Fürchten Sie das Urteil anderer? Warum? Warum sollte ich Angst haben? Das hier ist mein Leben.

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Clemens Fabry Die Schauspiel­erin Adele Neuhauser: „Diese Branche ist sehr launisch. Mir ist schon genug passiert.“
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