»Regionalität ist sinnlos«
Annemieke Hendriks geht in ihrem Buch »Tomaten« gängigen Mythen nach und erklärt, warum spanische Ware eine bessere Klimabilanz hat als regionale.
Sie haben in Ihrem Buch den Lebensweg einer Tomate vom Samen zum Supermarkt zurückverfolgt. Ist der noch nachvollziehbar? Annemieke Hendriks: Schwer. Bei der Frage, woher eine Tomate kommt, wird der Verbraucher in die Irre geführt. Offiziell gilt das Anbauland. Eine österreichische Tomate wurde in Österreich angebaut. Aber was genau ist daran österreichisch? Sie wachsen oft in Gewächshäusern niederländischer Machart. Die Technologie, die Samen und die Sämlinge kommen meist aus den Niederlanden. Ein Drittel der weltweit kommerziell verwendeten Tomatensamen werden in den Niederlanden entwickelt. Sie wachsen auch selten auf österreichischem Boden, das tun nur Biotomaten. Die anderen wachsen auf einem Substrat aus Steinwolle oder Kokos. Selbst die Nützlinge, die man zur Schädlingsbekämpfung einsetzt, stammen aus den Niederlanden. Nur die Sonne und die Schädlinge kommen dann noch aus Österreich. Sie schreiben, speziell die Österreicher lieben ihre österreichischen Tomaten. Ja, aber Regionalität ist bei Tomaten ziemlich sinnlos. Wieso sollte man etwas, das im Gewächshaus wächst, überall in Europa unter den gleichen Umständen, als regional bezeichnen. Aber man spart sich den Transport. Ja, aber der fällt kaum ins Gewicht. Die Wiener Wissenschaftlerin Michaele Theurl hat entdeckt, dass der Energieverbrauch und CO2-Ausstoß des beheizten Gewächshausanbaus viel schädlicher für die Umwelt sind als jener des Transports. Spanische Tomaten aus dem kalten Foliengewächshaus schneiden also besser ab als österreichische, beheizte Glashaustomaten. Das Heizen kostet wahnsinnig viel Energie, oft ist es Gas. Das sind fossile Energien, die ganz schlecht für die Umwelt sind. Eigentlich schneiden nur die Sommersaisontomaten im kalten Folienhaus, wie es sie zum Beispiel im Burgenland gibt, ganz gut ab. Wie kann ich als Konsument erkennen, ob das Glashaus beheizt wurde? Eigentlich gar nicht. Man muss davon ausgehen, dass fast alle Supermarkt-Tomaten, die aus Deutschland, Österreich oder den Niederlanden stammen, speziell nicht in den drei Sommermonaten, aus beheizten Glashäusern kommen. Nur in Spanien, Marokko oder Israel wird nicht geheizt. Aber da haben wir ein anderes Problem, den Wassermangel. Dadurch wird Wasser den Naturgebieten entzogen. Und die Arbeitsumstände sind meist sehr schlecht. Wie sieht es mit dem Geschmack aus, hat die Herkunft darauf einen Einfluss? Nein, die Sorte bestimmt den Geschmack. Deswegen ist es auch unwichtig, wo das Glashaus steht. Es gibt mittlerweile sehr viele Sorten. Es wird heute auch nicht mehr grün geerntet. Das Problem ist, dass man im Supermarkt den Geschmack nicht sehen kann. Manche Verbraucher meinen, man erkennt es am Geruch. Aber Tomaten riechen überhaupt nicht, nur die Rispen. Das ist ein Verführungstrick, den sich die Niederländer ausgedacht haben, als sie aus dem schlechten Image der Wasserbombe herauskommen wollten. Um 2000 haben sie bessere Sorten angebaut und angefangen, an der Rispe zu verkaufen. Woran erkennt man dann eine gute Tomate? Am besten achtet man auf den Preis. Wenn man zehn Sorten aus einem Land hat, schmecken meistens die teuersten besser. Aber zwischen den Herkunftsländern stimmt das nicht, weil die niederländischen immer günstiger sind. Warum sind die Niederländer so stark bei der Tomatenproduktion? Die Niederländer sind weniger mit der Produktion als mit dem Handel und der Samenveredelung groß geworden. Sie bauen nur fünf Prozent der europäischen Tomaten an, aber fast alle werden frisch exportiert. In Spanien und Italien werden viel mehr Tomaten angebaut, aber die werden kaum exportiert und vor allem nicht frisch. Absurd ist, dass die Niederländer ein Drittel der Tomaten, die sie exportieren, zuvor aus Spanien importiert haben. Sie schreiben, dass auch die gesundheitliche Wirkung ein Mythos ist. Ich sage immer, sie schadet wirklich nicht, weil sie zu 95 Prozent aus Wasser besteht. Aber die gesundheitliche Wirkung ist wissenschaftlich nicht belegt. Schmeckt man es, ob die Tomate auf Erde oder Substrat gewachsen ist? Nein, das ist auch ein Missverständnis. Auch bei Biotomaten geht es um die Sorte. Und es sind oft dieselben Sorten, wie bei konventionellen Tomaten. Wie ist es mit der Freilandkultur? Freiland ist für Tomaten total ungeeignet. Sie mögen keine nassen Füße, und im Freiland gibt es viele Schädlinge zu bekämpfen. In Österreich wird nur ein sehr kleiner Teil erwerbsmäßig in Freiland angebaut: acht Hektar, im Glasund Folienhaus sind es 181 Hektar. Braucht es eigentlich ein neues Gütesiegel? Ja, das wäre gut. Im Gegensatz zu dem Stempel „garantiert gentechnikfrei“. Das ist totaler Unsinn, es gibt auf der ganzen Welt keine gentechnisch manipulierte Tomate im Handel. In Ihrem Buch kommt auch das Gewächshaus in Blumau vor, gegen das protestiert wird. Ja, die arbeiten mit erneuerbarer Energie, mit Thermalwasser. Das ist ein sehr effizientes Glasgewächshaus, das heißt, man muss nicht so viel spritzen. Das ist in den meisten neuen Gewächshäusern schon so: Man bekämpft die Schädlinge mit Nützlingen, und nur im Notfall spritzt man in kleinem Ausmaß. Und es braucht wenig Raum. Bei Biotomaten ist oft das Problem, dass sie mehr Platz brauchen, das ist auch wieder umweltungünstig. Gerade gegen dieses Gewächshaus gibt es so viele Proteste. Und beide Seiten berufen sich auf die Nachhaltigkeit. Wie sieht es mit der Tomate vom Hobbygärtner aus? Ist die gut? Das hängt davon ab. Es gibt viele Hobbygärtner, die viel Kunstdünger benützen, manchmal auch Pestizide. Und oft sind auch die Böden total belastet. Haben Sie eigentlich eine Antwort auf die Frage, warum wir die Tomate so lieben? Ich glaube, dass ganze Generationen nicht mehr daran gewöhnt sind, Gemüse zu kochen. Man isst stattdessen viel mehr Salat, eine Tomate passt da gut dazu. Sie hat aber genauso wenig Vitamine wie Salat oder Gurken. Eigentlich isst man nur Wasser. Es wäre viel besser Kohl, Brokkoli oder Spinat zu essen, die man aber zubereiten muss. Tomaten Die wahre Identität unseres Frischgemüses. Eine Reportage. Bebra Verlag, 288 Seiten, 18,50 Euro Annemieke Hendriks Die niederländische Journalistin hat in ihrem neuen Buch den Weg der Tomate vom Samen bis zum Supermarkt zurückverfolgt und dabei mit Züchtern, Lobbyisten, Umweltschützern und anderen Experten gesprochen.