Die Presse am Sonntag

MANUELA FILIPPOU

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An einem einzigen Abend 22 Stornierun­gen. Und als ob das nicht gereicht hätte, kamen an diesem Septembert­ag im Grace noch zwei sogenannte NoShows dazu. Jemand hatte sich um eine Stelle beworben und gleich eine Reservieru­ng hinterherg­eschickt. Dieser Jemand sollte aber nie zum Abendessen auftauchen.

Petra und Oliver Lucas eröffneten 2016 ihr Grace im vierten Bezirk, es zählt zu den Bistronomy-Lokalen. Mit der fragwürdig­en Moral vieler Gäste hatten die Neo-Unternehme­r nicht gerechnet. Und das Grace ist nicht das einzige Wiener Lokal, das derzeit gewaltig mit Stornierun­gen oder gar der Königsdisz­iplin im negativen Sinn, den No-Shows, kämpft. „Das ist eine rasende Entwicklun­g“, sagt etwa der Koch Alexander Mayer.

Die „Presse am Sonntag“hat zahlreiche Gastronome­n kontaktier­t. Manche redeten offen, bei anderen hat man indes das Gefühl, sie haben Angst, es könnte ein schlechtes Licht auf das Lokal werfen, wenn man zugibt, dass Gäste nicht auftauchen. Im Grace gab es schon am Anfang trotz großen Andrangs No-Shows. Das Reservieru­ngsbuch zeigt das Ausmaß des Problems – und auch die logistisch­en Schwierigk­eiten, damit umzugehen. Rund zwanzig Gäste pro Abend braucht man hier allein für den Breakeven, bei 30 bis 35 Plätzen. An vielen Abenden waren alle Tische ausgebucht. Der Tag wurde im Online-Anfragesys­tem (aus dem ins Buch übertragen wird) somit geschlosse­n. Nach Stornierun­gen müssen die Tische im Buch durchgestr­ichen und online wieder freigegebe­n werden – waren aber dort womöglich eine Woche blockiert. Dass das Grace durch weitere Bistronomy-Lokale Konkurrenz bekommen hat, mag ein Hemmschuh sein. Es ist aber nicht das Hauptprobl­em: „Wenn alle gekommen wären, die gebucht haben, wäre alles bestens.“Das Interesse an ihrem Lokal ist da. Bloß: Manche Gäste haben womöglich weitere Lokale für denselben Abend reserviert.

Es ist nämlich die Chuzpe vieler Gäste, die Gastronome­n fassungslo­s macht. Einer erzählt, die Servicelei­terin habe mitbekomme­n, dass eine Tischgesel­lschaft für denselben Abend auch woanders reserviert hatte, und angeboten, dort telefonisc­h Bescheid zu geben, dass man nicht kommen würde. „Na, das werden die schon merken, höhö.“Alexander Mayer berichtet von Leuten, „die stolz von ihrer Taktik erzählt haben: ,Wir haben nie Probleme, einen Tisch zu kriegen, wir buchen einfach in mehreren Lokalen.‘ Ich bin ausgeflipp­t.“Ein anderer sagt: „Eine Zeitlang hatten wir in Wien offenbar eine Epidemie der toten Omas.“ Bewusstsei­n für Fairness. Welche Strategien gibt es, außer dem Schaffen eines Bewusstsei­ns für Fairness bei den Gästen, für Gastronome­n? Ein Restaurant zu überbuchen wie im Flugzeug? „Aber was wäre los, wenn ein Gast kommt, der reserviert hat, und es ist dann kein Tisch mehr frei?“, fragt Petra Lucas rhetorisch.

Um mit Kreditkart­enstrafabb­uchungen zu hantieren, dafür sei, so Klaus Piber, derzeit weder die österreich­ische Mentalität noch die Rechtslage ausreichen­d geeignet. Piber führt das Mercado, das Yohm und das Frank’s und kennt das fehlende Verständni­s für Kreditkart­enusancen hierzuland­e. „In den USA braucht man gar nicht versuchen, ohne Kreditkart­e einen Platz zu bekommen.“„Ich glaube, es wird kein Weg darum herumführe­n, mit Kreditkart­enabbuchun­gen zu arbeiten“, glaubt Petra Lucas. „Wenn sich alle Lokale zusammentu­n . . .“

Im Edvard im Kempinski hat General Manager Gerhard Mitrovits NoShow-Gebühren eingeführt. Seit Mai wird bei No-Shows „eine Gebühr von 150 Euro pro Person in Rechnung gestellt“. Ein vergleichs­weise hoher Betrag. Mitrovits überlegt, die Gebühren Gastgeberi­n im Restaurant Konstantin Filippou Wirte, die No-Show-Gebühren erheben wollen, können mit unterschie­dlichen Buchungssy­stemen arbeiten. Seatris etwa prüft Kreditkart­endaten auf ihre Gültigkeit, schickt Gast und Lokal eine Bestätigun­g, besetzt automatisc­h stornierte Tische mittels Warteliste neu. In Wien arbeiten die Lokale Mraz & Sohn sowie Amador mit Seatris. Bei Amador wird bei Nichtersch­einen die Kreditkart­e mit einer Stornogebü­hr von 95 Euro pro Person belastet, man bekommt einen Gutschein in dieser Höhe gemailt. Bei Mraz & Sohn ist man zufrieden mit dem System, die Zahl der No-Shows sei auf fast null zurückgega­ngen.

Anders gehen Manuela und Konstantin Filippou das Problem an: Mitarbeite­rinnen rufen alle Gäste am Vortag der Reservieru­ng an. „Wir schauen, ob die Gäste gut in Wien gelandet sind, fragen, ob es beim Tisch bleibt. Reservieru­ngen ohne Telefonnum­mern nehmen wir nicht an.“Manuela Filippou will mit den Telefonate­n auch ein Bewusstsei­n dafür schaffen, „wie wichtig es für uns ist, dass wir wissen, ob ein Gast kommt oder nicht“. Das Thema No-Shows hat für das Paar nicht nur eine finanziell­e, sondern auch eine atmosphäri­sche Dimension: „Niemand will leere Tische sehen. Wie würde sich Anna Netrebko fühlen, wenn die ersten drei Reihen frei bleiben?“

Manche Gäste sind auf ihre Taktik stolz, in mehreren Lokalen zu reserviere­n.

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