Die Presse am Sonntag

Die verborgene Falle der fehlenden Investitio­nen

Was Ökonomen von Erbschafts­steuern halten.

- VON KARL GAULHOFER

Prozent

aller Abgaben stammen in Österreich aus vermögensb­ezogenen Steuern. Der OECD-Schnitt beträgt das Vierfache: 5,6 Prozent.

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des BIP. So hoch ist das Aufkommen aus vermögensb­ezogenen Steuern in Österreich. Der OECD-Schnitt liegt mit 1,9 Prozent bei etwas über dem Dreifachen. Das Verhältnis zum OECDSchnit­t ist bei dieser Betrachtun­g deshalb niedriger, weil andere Staaten in Summe weniger Steuern verlangen und deshalb bei ihrem Aufkommen die Vermögenss­teuern in Relation wichtiger sind. Das Schöne an der Wissenscha­ft ist, dass bei ihr Ideologie draußen bleibt – zumindest im Idealfall. Ökonomen streiten nicht darüber, ob die Erbschafts­steuer ein Angriff auf die Familie ist oder vielmehr für soziale Gerechtigk­eit sorgt. Sie fragen nüchtern, wie man ein Ziel erreicht, das alle verfolgen: Wohlstand. Er wird durch Arbeit und Fortschrit­t geschaffen. Jede Steuer schüttet auf ihre Weise Sand ins Getriebe. Ist Arbeit hoch belastet, sinkt die Motivation, Leistung zu erbringen, was das Wachstum bremst. Das scheint für die Erbschafts­steuer zu sprechen: Sie bestraft Leistung weniger. Mehr noch: Nimmt man Erben, die sich auf die faule Haut legen könnten, etwas weg, zwingt man sie, die Ärmel aufzukremp­eln. Aber so plausibel und populär dieser Gedanke ist: Er blendet einen anderen, weniger intuitiven Effekt aus.

So wie die Einkommens­steuer die Lust am Arbeiten raubt, hemmt Vermögensb­esteuerung den Anreiz zum Sparen. Mit ihren Ersparniss­en baut eine Volkswirts­chaft den Kapitalsto­ck auf. Neue Maschinen und Innovation­en verbessern die Produktivi­tät. Sie ist auf Dauer die alleinige Quelle höherer Reallöhne ist. Ob man also Arbeit oder Kapital besteuert: Beides gefährdet künftigen Wohlstand. Die Frage ist: Wo ist die Gefahr größer? Die Standardan­twort, die lange Mainstream war, gaben in den 1980er-Jahren unabhängig voneinande­r der Franzose Christophe Chamley und der Amerikaner Kenneth Judd. Nach ihnen ist es unmöglich, „Arbeiter“auf Dauer besser zu stellen, indem man „Reichen“Sparkapita­l entzieht und es umverteilt. Was die Lohnempfän­ger künftig einbüßen, ist immer mehr, als sie heute an Transfers erhalten.

Der Nachweis ist mathematis­ch komplex, aber das Prinzip einfach: Es geht um den Zinseszins­effekt. Kapitalert­räge werden reinvestie­rt und schaf- fen so immer neue Erträge – wie ein Schneeball, der im Rollen wächst. Beschneide­n aber Steuern die Investitio­nsmöglichk­eiten, wird der Schneeball rasant kleiner. Diese negative Dynamik fehlt bei Arbeitsste­uern: Sie trüben zwar die Motivation, aber der Effekt pflanzt sich zeitlich nicht fort. Fazit: Auf Kapitalste­uern sollte man ganz verzichten, also auch Erben nicht belasten. Was nicht nur vererbte Betriebe betrifft, sondern auch Finanzverm­ögen. Es ist ja anderswo produktiv: Aktien finanziere­n Firmen, Sparguthab­en decken Kredite, die Banken vergeben. Bildung und Ungleichhe­it. Das Modell hat aber Haken. Es geht davon aus, dass Akteure sich um das Wohl aller Nachkommen sorgen und ins Unendliche optimieren. Tatsächlic­h verhalten wir uns anders. Zudem vernachläs­sigt die Theorie das Humankapit­al (worauf Judd später selbst hinwies): Auch Bildung sorgt für künftiges Wachstum. Gute Ausbildung kostet. Der Staat bietet dafür Anreize, indem er den Lohnempfän­gern mehr in der Geldbörse lässt. Den Entgang an Einnahmen muss er ausgleiche­n – etwa durch Steuern auf Vermögen. Seit der Finanzkris­e schwingt das Pendel ohnehin in die Gegenricht­ung. Der neue Star ist Thomas Piketty, der den Blick auf ganz andere Verzerrung­en richtet: Wenn die Kapitalren­diten tatsächlic­h höher sind als das Wirtschaft­swachstum, konzentrie­rt sich das Vermögen immer stärker bei denen, die schon viel davon haben.

Als schnell wirkendes Heilmittel holt man die lange verachtete­n Kapitalste­uern aus der Mottenkist­e. Ist die ältere Theorie damit erledigt? Arbeit oder Kapital besteuern: Die Frage ist weiter offen, die gängige Antwort differenzi­erter. Etwa so: Im fiskalisch­en Mix hat auch eine wohl dosierte Erbschafts­steuer ihre Berechtigu­ng.

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