Die verborgene Falle der fehlenden Investitionen
Was Ökonomen von Erbschaftssteuern halten.
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aller Abgaben stammen in Österreich aus vermögensbezogenen Steuern. Der OECD-Schnitt beträgt das Vierfache: 5,6 Prozent.
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des BIP. So hoch ist das Aufkommen aus vermögensbezogenen Steuern in Österreich. Der OECD-Schnitt liegt mit 1,9 Prozent bei etwas über dem Dreifachen. Das Verhältnis zum OECDSchnitt ist bei dieser Betrachtung deshalb niedriger, weil andere Staaten in Summe weniger Steuern verlangen und deshalb bei ihrem Aufkommen die Vermögenssteuern in Relation wichtiger sind. Das Schöne an der Wissenschaft ist, dass bei ihr Ideologie draußen bleibt – zumindest im Idealfall. Ökonomen streiten nicht darüber, ob die Erbschaftssteuer ein Angriff auf die Familie ist oder vielmehr für soziale Gerechtigkeit sorgt. Sie fragen nüchtern, wie man ein Ziel erreicht, das alle verfolgen: Wohlstand. Er wird durch Arbeit und Fortschritt geschaffen. Jede Steuer schüttet auf ihre Weise Sand ins Getriebe. Ist Arbeit hoch belastet, sinkt die Motivation, Leistung zu erbringen, was das Wachstum bremst. Das scheint für die Erbschaftssteuer zu sprechen: Sie bestraft Leistung weniger. Mehr noch: Nimmt man Erben, die sich auf die faule Haut legen könnten, etwas weg, zwingt man sie, die Ärmel aufzukrempeln. Aber so plausibel und populär dieser Gedanke ist: Er blendet einen anderen, weniger intuitiven Effekt aus.
So wie die Einkommenssteuer die Lust am Arbeiten raubt, hemmt Vermögensbesteuerung den Anreiz zum Sparen. Mit ihren Ersparnissen baut eine Volkswirtschaft den Kapitalstock auf. Neue Maschinen und Innovationen verbessern die Produktivität. Sie ist auf Dauer die alleinige Quelle höherer Reallöhne ist. Ob man also Arbeit oder Kapital besteuert: Beides gefährdet künftigen Wohlstand. Die Frage ist: Wo ist die Gefahr größer? Die Standardantwort, die lange Mainstream war, gaben in den 1980er-Jahren unabhängig voneinander der Franzose Christophe Chamley und der Amerikaner Kenneth Judd. Nach ihnen ist es unmöglich, „Arbeiter“auf Dauer besser zu stellen, indem man „Reichen“Sparkapital entzieht und es umverteilt. Was die Lohnempfänger künftig einbüßen, ist immer mehr, als sie heute an Transfers erhalten.
Der Nachweis ist mathematisch komplex, aber das Prinzip einfach: Es geht um den Zinseszinseffekt. Kapitalerträge werden reinvestiert und schaf- fen so immer neue Erträge – wie ein Schneeball, der im Rollen wächst. Beschneiden aber Steuern die Investitionsmöglichkeiten, wird der Schneeball rasant kleiner. Diese negative Dynamik fehlt bei Arbeitssteuern: Sie trüben zwar die Motivation, aber der Effekt pflanzt sich zeitlich nicht fort. Fazit: Auf Kapitalsteuern sollte man ganz verzichten, also auch Erben nicht belasten. Was nicht nur vererbte Betriebe betrifft, sondern auch Finanzvermögen. Es ist ja anderswo produktiv: Aktien finanzieren Firmen, Sparguthaben decken Kredite, die Banken vergeben. Bildung und Ungleichheit. Das Modell hat aber Haken. Es geht davon aus, dass Akteure sich um das Wohl aller Nachkommen sorgen und ins Unendliche optimieren. Tatsächlich verhalten wir uns anders. Zudem vernachlässigt die Theorie das Humankapital (worauf Judd später selbst hinwies): Auch Bildung sorgt für künftiges Wachstum. Gute Ausbildung kostet. Der Staat bietet dafür Anreize, indem er den Lohnempfängern mehr in der Geldbörse lässt. Den Entgang an Einnahmen muss er ausgleichen – etwa durch Steuern auf Vermögen. Seit der Finanzkrise schwingt das Pendel ohnehin in die Gegenrichtung. Der neue Star ist Thomas Piketty, der den Blick auf ganz andere Verzerrungen richtet: Wenn die Kapitalrenditen tatsächlich höher sind als das Wirtschaftswachstum, konzentriert sich das Vermögen immer stärker bei denen, die schon viel davon haben.
Als schnell wirkendes Heilmittel holt man die lange verachteten Kapitalsteuern aus der Mottenkiste. Ist die ältere Theorie damit erledigt? Arbeit oder Kapital besteuern: Die Frage ist weiter offen, die gängige Antwort differenzierter. Etwa so: Im fiskalischen Mix hat auch eine wohl dosierte Erbschaftssteuer ihre Berechtigung.