Der Humanist aus dem Silicon Valley
Marketingguru Satjiv Chahil beriet alle Tech-Größen von Apple abwärts. Der »Presse am Sonntag« erklärte er, wie Millionengehälter zu Altruismus passen und wie sich Europa retten kann.
In den Achtzigern war das Silicon Valley weder Mythos noch Kult oder Angstgegner der Europäer. Die jungen Entwickler im Tal starrten wie der Rest der USA gebannt nach Japan – dem Land, das sich anschickte, die Welt aufzukaufen. Auto- wie Kamerahersteller, Hollywoodstudios wie Golfresorts. Satjiv Chahil war vom damaligen Innovationstreiber Xerox ins Marketingteam von Apple gewechselt. „Unsere Mission war: Wir müssen in Japan erfolgreich sein. Sonst werden sie auch unsere Industrie erobern. So kam ich auf Multimedia.“
Was Satjiv Chahil, heute international gefragter IT- und Marketingberater, ohne großes Aufheben umreißt, ist mittlerweile Bestandteil des Gründungsmythos in Palo Alto. „15 Prozent der Menschen hatten Computer und es hieß, wir brauchen nicht mehr“, sagt Chahil. Sein Chef Steve Jobs hatte sich bereits Lektionen in Design und bei der interaktiven Benutzeroberfläche geben lassen und umgesetzt. Aber Chahil erkannte: „Damit der Computer jedem etwas bedeutet, müssen wir mit den Künstlern, Schriftstellern, Musikern zusammenarbeiten, nicht nur mit Softund Hardwareentwicklern.“ Die persönliche Beziehung. Das klingt sehr nach seiner berühmten Kampagne, mit der er HP drei Jahrzehnte später zu einem neuen Hoch verhalf: „The Computer is personal again“, hieß es darin schlicht. Gezeigt wurden Größen wie Serena Williams und Jay-Z – allerdings nicht ihre Köpfe – mit ihren PCs. Dreißig Jahre früher: Chahil knüpfte Partnerschaften mit Toshiba, GenesisSänger Peter Gabriel, Warner Brothers, dem American Film Institute. Apple setzte verstärkt auf Video und Audio. Multimedia für den Heimgebrauch war geboren. „Als wir das digitale Zeitalter sahen, blieben die Japaner in der analo- gen Ära. Heute spricht keiner mehr von Japan. Was ich damit sagen will: Dinge können sich ändern.“
Das klingt so einfach, fast schon zu einfach. Wie vieles, was Chahil an diesem Spätsommertag in Alpbach sagen wird. Mit seinem samtroten Turban und dem warmen Lächeln hebt er sich von der Tiroler Bergkulisse und der Kon- gresshektik ab. Er soll den Europäern am Forum Alpbach erklären, was sie machen müssen, um nicht zwischen China und USA aufgerieben zu werden.
Dabei blieb sein Ruf bereits einmal ungehört. In den 1990ern bereiste er Europa und verkündete die frohe Botschaft vom Aufbruch in die digitale Zukunft. „Ich fühlte, dass sich Europa einbringen muss. Es hatte die Kunst, die Kultur, die Musik, alles, was man in Verbindung mit Technologie braucht, um sie relevanter zu machen.“Euphorie schlug ihm keine entgegen. Die „Frankfurter Allgemeine“kommentierte 1996 nach seinem Auftritt in der Finanzmetropole trocken: „Die Zeiten seien auf das wunderbarste dazu angetan, die Welt zum Positiven zu verändern, meinte Chahil und wies der Computertechnik die Aufgabe zu, die Verhältnisse in Harmonie einander anzugleichen. Wer sich da an wen oder vor allem was angleichen soll, außer dass alle dasselbe konsumieren, beantwortete Chahils Zukunftsbild freilich nicht.“Nachsatz: „Die Masse zog es nicht stürmisch an die Computer, sondern ans Buffet.“
Die Ansichten des Mannes wirken auch mehr als zwanzig Jahre nach dem Frankfurter Kongress untypisch humanistisch für einen US-Millionär. „Ich kenne die meisten Entwickler. Sie waren von der größeren Vision getrieben, die Welt zu verändern und zu demokratisieren. Keiner startete sein Unternehmen, um eine Branche zu sprengen.“Das Geld sei nur logisches Resultat ihres Erfolgs. Der Ursprungsgedanke der linken Universitätsabsolventen der Siebziger, die lieber in Garagen als in
Satjiv Chahil
ist ein international renommierter IT- und Marketingberater. Er prägte das Marketing im Silicon Valley maßgeblich, indem er als Erster auf die Verbindung von Hightech mit Musik, Film und Fernsehen setzte. Nach Führungspositionen bei IBM, Xerox, Apple und HP ging der gebürtige Inder 2010 in Pension. Seitdem hilft er Firmen im Gesundheits- und Umweltbereich und hat so unterschiedliche Klienten wie den Tiroler Kristallkonzern Swarovski und das Football-Team der San Francisco 49ers. Großkonzernen arbeiteten, halte sich. „Aber es hat Auswirkungen, wenn so viel Reichtum geschaffen wird“, gibt Chahil zu. Zum Glück habe das Platzen der Dotcom-Blase die Glücksritter aus dem Tal getrieben. Seitdem gibt es einen Witz: Sie seien B2C – „Back to consulting“– oder B2B – „Back to banking“– an die Ostküste gegangen. Renaissance 4.0. Das Silicon Valley sei wie Florenz in der Renaissance, als die Stadt die Latte für Kunst und Kultur legte, sagt Chahil, wieder ganz Humanist. Das habe nichts mit der Golden Gate Bridge, Jeans und gratis WLAN zu tun, hier komme die gute Nachricht für Europa: „Das Silicon Valley ist nicht ortsgebunden. Es geht um die Denkweise.“Das klingt erneut so einfach aus dem Mund des lächelnden Marketinggurus.
»Keiner startete sein Unternehmen, um eine Branche zu sprengen.« »Sie sahen es als Invasion aus Amerika. Dabei sind es die Deutschen, die Uber fahren.«
Chahil gibt ein Beispiel: Bei seinem Klienten BMW belehrte man ihn über den Sieben-Jahres-Zyklus in der Autoindustrie. „Niemand klärte Elon Musk über den Sieben-Jahres-Zyklus auf.“Der Tesla-Gründer denke anders: Wie lange braucht ein iPad bis zur Marktreife? Und wo bringe ich danach die Reifen an? Als er Menschen wie Paypal-Mitgründer Musk und seine Elektroautos studierte, sei ihm klar geworden: „Das Silicon Valley verändert nicht die Technologie, es verändert ganze Industrien, eine nach der anderen, indem es Dinge kundenfreundlicher macht.“Das habe Europa noch nicht begriffen. Bei seinem letzten Besuch bei einem deutschen Think Tank ging es wieder einmal um Digitalisierung. „Sie sahen es als amerikanische Invasion. Dabei sind es die Deutschen, die Uber fahren.“
Was müssen Firmen ändern? „Viele Geschäftsführer sind nicht am Laufenden, sie sind nicht mehr qualifiziert, die Entscheidungen zu treffen“, sagt Chahil. Man kann dem Mann, der auf die 70 zugeht, nicht vorwerfen, den digitalen Fortschritt nicht vorzuleben. Sein Haus hat Solarpanele, sein Auto fährt elektrisch, das Fahrrad auch. Morgens bittet er Alexa um den Donauwalzer und das Alpbacher Wetter. Und bei seinem Vortrag schenkt er dem erstaunten Publikum eine Brille, die Videos via Snapchat verschicken kann. Sein Credo: „Zuerst studiert man alle diese Apps, dann erst geht man zum Geschäftstermin.“ Die Sache mit dem Scheitern. Dann sei da noch die alte Abneigung gegen das Scheitern. Das sei weder in seiner Heimat Indien noch in Europa oder im Rest der USA akzeptiert. Chahil bevorzugt den anderen Weg, hielt selbst einen viel beachteten Vortrag über seine Pleiten. Etwa die, als er in Japan ein Handschrifttablet einführte, in der Annahme, dass es das Leben ungeheuer erleichtern und ein Hit werden müsse. Niemand kaufte es. „Ich hatte Produktniederlagen, wo ich dachte, dass es Erfolge werden, und umgekehrt. Glücklicherweise geben dir die Menschen hier immer und immer wieder Geld, wenn du scheiterst.“Im Gegenzug – und das hätten noch immer nicht alle verstanden, die ins Silicon Valley pilgern – müsse man bereit sein, bei Erfolg zu teilen. „Jeder bekommt Anteile. Es werden nicht nur die großen Haie reich.“Als WhatsApp von Facebook gekauft wurde, soll die 25-jährige Rezeptionistin mehr als 20 Mio. Dollar bekommen haben.
2010 ging Chahil bei HP in Pension. Danach sank der Stern der Firma langsam wieder. Das sei traurig. Aber wiederum eine gute Nachricht für Europa: „Das Spiel ist nie vorbei.“Bestes Beispiel sei China, das sich vom Land in grüner Mao-Uniform zur IT-Weltmacht mauserte. In Amerika gebe es ein Sprichwort: Solange es nicht kaputt ist, fass’ es nicht an. „Aber du kannst nicht warten, bis es kaputt ist – oder du bist verschwunden.“