In die Irre gehen
Auch Wissenschaftler, Individuen und ganze Communitys können sich auf Holzwege begeben und dort mehr oder weniger dramatisch verrennen.
Erinnern Sie sich noch an Carlo Rubbias narren- bzw. explosionssicheren Atommeiler oder an den bevorstehenden Endsieg über Krebs oder den Nachweis der Sintflut und den der wirklichen Heimat des Odysseus? All das füllte Schlagzeilen, all das ist längst vergessen: Forscher können sich verrennen, die Kosten können ihnen über den Kopf wachsen, die Herausforderungen auch, Spuren können versanden.
Das war im Wortsinn so bei der Heimat des Odysseus, auch bei der Sintflut. Beide sollten sich in Sedimenten zeigen, die der Flut in denen am Nordende des Bosporus. Der lag vor 8000 Jahren trocken, weil die Eiszeiten die Meeresspiegel um 120 Meter gesenkt hatten. Dann stiegen sie, und weil sie es im Mittelmeer stärker taten als im Schwarzen, bahnten sie sich von Süden her ihren Weg, und wie: „Mit der Ge- walt von 200 Niagara-Fällen“brachen sie durch, so sahen es 1997 die Ozeanografen William Ryan und Walter Pitman (Marine Geology 138, S. 119).
Das brachte viel Hin und Her um die Sedimente – andere Spezialisten lasen aus ihnen, dass der Bosporus sich langsam gefüllt hatte und/oder von beiden Seiten her –, irgendwann schlief die Debatte ein. In aller Stille verschied auch eine Idee, die mit viel PR-Geschick begonnen hatte, die des Projekts „Odysseus Unbound“: Einem Hobbyforscher, dem britischen Managementberater Robert Bittlestone, war aufgefallen, dass die in der Odyssee beschriebene Lage der Burg des Listenreichen zu Ithaka nicht passt. Geeigneter wäre das nahe Paliki, nach antiken Berichten war das eine Insel, durch einen Isthmus von Kefalonia getrennt.
Aber heute sind beide miteinander verbunden. Wurde der Isthmus im Lauf der Jahrtausende verfüllt, durch Steinschläge in der bebengeplagten Region? Man müsste aus dem verbindenden Tal Bohrkerne ziehen, das war die Idee. Brittlestone tat es und sah sich auf der rechten Spur. Die Geldgeber sahen es offenbar nicht, die „News“der Website enden im August 2012: „Locating Itha- ca: Continuing the Search for Odysseus’s Island Kingdom“.
Nun ja, es gibt dringlichere Probleme, und die können in den Wahn treiben, auch ganz Große. Das war etwa so bei Nicola Tesla, der der Welt den Wechselstrom und damit die Elektrizität bescherte und am Ende auf Todesstrahlen verfiel, die „New York Times“machten am 11. Juli 1934 damit auf: Mit den Strahlen wollte Tesla den Weltfrieden sichern, jeder Staat sollte sich damit gegen jeden Angriff feien können. Auf Lebensstrahlen setzte hingegen Wilhelm Reich, der bei der Verschmelzung von Psychoanalyse und Kommunismus scheiterte, er wollte am Ende viele Krankheiten, Krebs vor allem, mit der Energie der Bläue des Himmels kurieren (in manchen Kellern Wiens werden sich noch die dazu nötigen Orgon-Akkumulatoren finden). Krebs aushungern? Aussichtsreicher bei Krebs schien eine Strategie, mit der 1998 wieder die „New York Times“erst ihre eigenen und dann die Schlagzeilen rund um die Erde füllten: „Judah wird den Krebs in zwei Jahren heilen.“Gemeint waren Judah Folkman (Harvard Medical School) und jeder Krebs, das Zitat war als eines von DNA-Entdecker James Watson ausgewiesen. Von ihm stammte es nach eigenem Bekunden nicht, aber Folkmans Strategie war bestechend: Traditionelle Therapien attackieren Tumore (mit Giften oder Strahlen), die finden Gegenstrategien. Deshalb wollte Folkman Krebs nicht direkt angreifen, sondern indirekt, ihn aushungern, durch Angiogenese-Inhibition, Abschneiden von der Blutzufuhr. Darauf werde er nicht reagieren, so die Hoffnung, eben weil er nicht angegriffen wird. Er reagierte doch, Tumore bauten eine eigene Blutversorgung auf.
Noch höhere Erwartungen als das Spitzenblatt der USA weckte 2001 der Mann an ihrer Spitze: Das Humangenom war sequenziert, unter anderem vom „Gen-Hexer“Craig Venter, er und andere Größen der Genetik versammelten sich im Weißen Haus um Bill Clinton, der war um Worte nie verlegen: „Heute lernen wir die Sprache, in der Gott das Leben erschaffen hat. Dieses tiefgreifende Wissen wird der Menschheit ungeheure neue Heilkräfte bescheren und die Diagnose und Therapie der meisten, wenn nicht aller Krankheiten revolutionieren.“
Die Revolution blieb aus, die Macht der Gene war weit überschätzt, zum neuen Star wurde die Epigenetik, die die Gene steuert. Das heißt nicht, dass die Genetik sich geschlagen gibt, sie versucht sich in immer gigantischeren Genomvergleichen. Die haben wenig gebracht, aber die Sorge wachsen lassen, dass die Datenberge zu gewaltig werden, um noch irgendetwas darin zu finden, Jonathan Pritchard (Stanford) hat sie eben formuliert und als Beispiel das Längenwachstum angeführt: An Genomen von 250.000 (!) Menschen wurden 700 DNA-Varianten identifiziert, die mitspielen – und alle miteinander ganze 16 Prozent der Größenunterschiede erklären (Cell 15. 6.).
Andere Genprojekte sind in sich zusammengesackt, etwa das der synthetischen Bakterien, mit denen Venter das CO2-Problem lösen wollte und das der Energieversorgung gleich mit. Das
Sedimente sollten die Sintflut und die Heimat des Odysseus zeigen. Beides versandete. Die Revolution durch das Humangenom blieb aus, die durch Kernfusion steht aus.
verspricht noch eine Zunft seit Jahrzehnten, die der Kernphysiker, prominentester Vertreter ist der langjährige CERN-Chef Carlo Rubbia. Der kam 2001 mit der Blaupause eines Kernreaktors, der nicht explodieren kann, weil in ihm Thorium ruht. Das ist nicht spaltbar, es wird erst dazu – zu Uran –, wenn man es mit Neutronen aus einem Teilchenbeschleuniger beschießt, und es wird nur dazu, solange man es beschießt, man kann jederzeit abstellen. Geworden ist daraus nichts.
Wird es je aus der größten Baustelle Europas? Seit 2007 wird in Südfrankreich ITER hochgezogen, der International Thermonuclear Experimental Reactor, zugleich das lateinische Wort für „Weg“: Ziel ist die Zähmung der Sonne auf Erden, die kontrollierte Kernfusion. Angesteuert wird es seit bald 70 Jahren, die investierten Milliarden sind nicht mehr überschaubar, die dritte Physikergeneration arbeitet sich ab, und die erste Stromlieferung wurde schon so oft für in „40 Jahren“zugesagt, dass Spötter es „Fusionskonstante“nennen. 2025 soll das Experiment starten.
Ach so, ja, und die kalte Kernfusion? Die ist ein eigenes Kapitel, darüber ein andermal.