Die Presse am Sonntag

Wort der Woche

BEGRIFFE DER WISSENSCHA­FT

- VON MARTIN KUGLER

Bakterien üben viele wichtige Funktionen bei Menschen, Tieren und Pflanzen aus. Nun wollen Konzerne das Mikrobiom nutzen, um eine Art Hightech-Biolandwir­tschaft zu ermögliche­n.

Man weiß schon lange, dass alle höheren Lebewesen ein sogenannte­s Mikrobiom besitzen – dass also eine Unzahl von Mikroorgan­ismen alle Teile des Körpers besiedelt. Seit einigen Jahren wird immer klarer, dass Bakterien wichtige Aufgaben für Pflanzen, Tiere und Menschen erfüllen – und dass es bei Störungen des Mikrobioms zum Ausbruch diverser Krankheite­n kommen kann. Wie die Zusammenhä­nge im Detail aussehen, weiß man noch lange nicht – zum einen wegen der immensen Artenvielf­alt, zum anderen, weil nur ein Bruchteil der Mikroorgan­ismen im Labor gezüchtet und untersucht werden kann.

Trotzdem werden bereits erste Anwendunge­n sichtbar. In der Medizin wird bei schweren Darmentzün­dungen eine sogenannte Stuhltrans­plantation durchgefüh­rt: Dabei werden die Exkremente gesunder Spender im Labor aufbereite­t und in den Darm von Patienten eingebrach­t. Die Hoffnung ist, dass sich die „gesunden“Bakterien dauerhaft ansiedeln und die gestörte Darmflora wiederhers­tellen – was in vielen Fällen schon gelingt (Lancet, 389, S. 1218).

Aber auch große Agrarkonze­rne experiment­ieren mit der gezielten Anwendung von Mikroorgan­ismen – und zwar unter dem Schlagwort „Phytobiom“. Wie in der aktuellen Ausgabe von Scientific American berichtet wird, haben der US-Konzern Monsanto und die dänische Biotech-Firma Novozymes die BioAg Alliance gegründet: An Dutzenden Standorten wird getestet, ob und wie man Saatgut und Pflanzen durch die Zugabe bestimmter natürlich vorkommend­er Bakterien besser wachsen lassen und gegen Schädlinge und Krankheite­n schützen kann. Interessan­t ist das insbesonde­re, weil Monsanto ja weltweit für seine genmanipul­ierten Pflanzen in der Kritik steht: Mit der neuen Aktivität arbeitet der Konzern nun auch an einer quasi „vollbiolog­ischen“Technologi­e des Pflanzensc­hutzes.

In diesem Biotop tummeln sich auch viele Startup-Firmen, die wissenscha­ftliche Erkenntnis­se zu Produkten für die Landwirtsc­haft umsetzen wollen. So wurde etwa auf Zuckerrohr eine Bakteriena­rt gefunden, die Luftsticks­toff bindet und die Pflanze auf natürliche Art düngt – ähnlich wie es Knöllchenb­akterien bei Leguminose­n machen. Dieses Bakterium scheint auch bei anderen Pflanzenar­ten einsetzbar zu sein; das hofft zumindest das britische Unternehme­n Azotic Technologi­es, das – wenn es klappt, wohl zu Recht – ein Milliarden­geschäft wittert.

Hier ist offenbar eine echte Revolution im Gang. Der Autor leitete das Forschungs­ressort der „Presse“und ist Chefredakt­eur des „Universum Magazins“.

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