Die Presse am Sonntag

Marcel Kollers Bilanz und Erbe

Ein neuer ÖFB-Sportdirek­tor macht sich auf die Suche nach einem neuen Teamchef. Marcel Koller hinterläss­t die Erinnerung an eine sportliche Ekstase und offene Fragen.

- VON SENTA WINTNER UND JOSEF EBNER

Eine Zweier-Abstimmung am Samstag im ÖFB-Präsidium besiegelte das Ende einer Ära. Willi Ruttenstei­ner, seit 2001 Sportdirek­tor des ÖFB, zog dabei den Kürzeren, sein Nachfolger heißt Peter Schöttel, zuletzt U19-Teamchef.

Bedenkt man, dass gerade erst am Vorabend trotz eines 3:2-Heimsiegs über Serbien das historisch schlechtes­te Abschneide­n einer österreich­ischen Nationalma­nnschaft in einer WMQualifik­ation eingestell­t wurde sowie Ruttenstei­ners persönlich­e Differenze­n mit so manchem der stimmberec­htigten ÖFB-Landesverb­ands-Präsidente­n, ist die Ablöse des Sportdirek­tors wenig überrasche­nd. Bemerkensw­ert ist aber, dass Schöttel dieses Hearing für sich entscheide­n konnte, obwohl er kein Konzept vorgelegt hat. „Das wäre zeitlich nicht möglich gewesen. Ich habe meine Sicht der Dinge zu gewissen Themen und den einen oder anderen Vorschlag abgegeben“, erklärte der 50-jährige Wiener. Erst vor zehn Tagen habe ihn ÖFB-Präsident Leo Windtner gefragt, ob er denn überhaupt zur Verfügung stehen würde.

Nun soll Schöttel, er amtierte unter anderem von 2003 bis 2006 als RapidSport­direktor, eine sportliche Trendwende beim Nationalte­am einleiten und Ruhe in den zuletzt von Turbulenze­n geplagten Verband bringen. Mit seiner Bestellung gibt es auch Gewissheit, dass der scheidende Teamchef Marcel Koller – sein mit Jahresende auslaufend­er Vertrag wurde nicht verlängert – am 14. November im Testspiel gegen Uruguay nicht mehr auf der Trainerban­k sitzen wird.

Denn oberste Priorität des neuen Sportdirek­tors ist die Suche nach einem neuen Teamchef. „Er muss eine Persönlich­keit darstellen. Er muss mit dieser Mannschaft, die aus eigenen Charaktere­n besteht, umgehen können. Er muss Klartext reden, er muss etwas darstellen“, meinte Schöttel, der einen Ausländer nicht ausschließ­en will, aber einen Österreich­er bevorzugt. „Ich sehe einige Kandidaten aus Österreich, für mich gehört auch Andreas Herzog dazu.“Eine ÖFB-TaskForce wird über Schöttels Vorschläge beraten, das letzte Wort aber hat das Präsidium. Der neue Teamchef soll bis 30. Oktober feststehen. Die Talfahrt. Noch aber ist Marcel Koller in Amt und Würden. Und zumindest sportlich scheint dem Schweizer nach dem Sieg über Serbien ein versöhnlic­her Abschied vergönnt. Dass Österreich weiter auf die erste WMTeilnahm­e seit 1998 warten muss, war aber schon zuvor festgestan­den, setzte es doch seit der erfolgreic­hen Qualifikat­ion für die EM 2016 acht Niederlage­n. So hoch das ÖFB-Team im Sommer des Vorjahres Richtung Frankreich geflogen ist, so tief ist es nun gefallen. In 19 Spielen seit November 2015 stehen nur fünf Siege zu Buche, diese Bilanz kann selbst ein weiterer Erfolg am Montag in Chisinau (20.45 Uhr, live ORF eins) nicht beschönige­n.

Nach fast sechs Jahren im Amt wird Koller in Moldau zum 54. und letzten Mal auf der Betreuerba­nk Platz nehmen. Die nackten Zahlen weisen bislang 24 Siege, 13 Remis und 16 Niederlage­n aus, im Schnitt wurden 1,6 Punkte geholt. Kein ausländisc­her Teamchef hat mehr Partien gecoacht, Josef Hickersber­ger (56) bleibt jedoch genauso außer Reichweite wie der legendäre Hugo Meisl, der die ÖFB-Auswahl bis 1937 insgesamt 128 Mal betreute.

Groß war die Kritik der heimischen Fußballgra­nden bei Kollers Bestellung im November 2011. Erstmals hatte der ÖFB unter der Regie von Sportdirek­tor Ruttenstei­ner ein Anforderun­gsprofil erstellt, das über Nationalte­amvergange­nheit und Verhaberun­g hinausging. Der 56-fache Schweizer Teamspiele­r und Grasshoppe­rs-Meistertra­iner brachte Sprachkenn­tnis (Lehre aus Karel Brückner), internatio­nale Erfolge und taktische Affinität (Lehren aus Dietmar Constantin­i und Hans Krankl) mit und war als humorloser, akribische­r Arbeiter der Gegenentwu­rf zu so manchem Schmähbrud­er der Vergangenh­eit. Die Extreme der rot-weiß-roten Sportseele waren ihm ebenso fremd wie das zutiefst österreich­ische Raunzen – bis heute kann er das Wort nicht leiden.

Die Ära Koller begann als Nummer 72 der Welt mit einer 1:2-Niederlage gegen die Ukraine. In den folgenden

Partien

wird Marcel Koller inklusive dem letzten WM-Qualifikat­ionsspiel in Moldau am Montag das ÖFB-Team betreut haben und ist damit hinter Josef Hickersber­ger (56) und Hugo Meisl (128) die Nummer drei im Ranking.

Siege

wurden in Kollers sechsjähri­ger Amtszeit gefeiert. Die meisten (sechs) im Jahr 2015. Heuer stehen erst zwei Erfolge (2:0 gegen Moldau, 3:2 gegen Serbien) zu Buche.

Spieler

hat Koller während seiner Amtszeit eingesetzt. Robert Almer, Sebastian Prödl, Julian Baumgartli­nger, David Alaba, Marko Arnautovi´c, Martin Harnik, Marc Janko, Heinz Lindner, Aleksandar Dragovi´c und Zlatko Junuzovi´c waren bereits für den ersten Teamkader des Schweizers nominiert. Wochen besuchte er neun der elf Spieler daheim und telefonier­te mit den anderen – der Grundstein für die nun vielleicht verklärend­e „Wohlfühloa­se“. Zwar wurde die Qualifikat­ion für die WM 2014 knapp verspielt, aber endlich schienen nicht nur die Richtigen, sondern auch die Besten mit klarer Strategie auf dem Platz vereint, selbst ein Exzentrike­r wie Marko Arnautovic wurde zum Teamplayer. Koller und seine Spieler verband eine Nibelungen­treue, von der Startelf gegen die Ukraine sind sieben Spieler noch immer dabei, insgesamt kamen 55 zum Einsatz.

Im bisher letzten ÖFB-Team, das es zu einer WM geschafft hat, war Schöttel Manndecker. Ein humorloser Gegenentwu­rf zu so manchem Schmähbrud­er der Vergangenh­eit.

Trotz Angeboten entschied sich Koller 2013 zur Vertragsve­rlängerung und wurde dafür gefeiert. 2014/15 marschiert­e das Nationalte­am ungeschlag­en durch die Qualifikat­ion zur EM 2016 und rückte auf Platz zehn der Weltrangli­ste (aktuell: 57.) vor. In der Biografie „Die Kunst des Siegens“erklärt der 56-Jährige, dass es ihm gelungen sei, „eine Mentalität zu korrigiere­n, die einer Sieger-Mentalität zuwiderläu­ft“. Er trat mit Baskenmütz­e und Baguette auf und erhielt bei der Sportlerwa­hl 2015 als erster Nicht-Österreich­er den Special Award für besondere Verdienste und eine Laudatio vom längst bekehrten Herbert Prohaska.

Bei der EM in Frankreich fehlte Form, Erfahrung, Lern- und Laufbereit­schaft, Kollers taktische und personelle Ausrichtun­g sorgte für Stirnrunze­ln. Österreich verabschie­dete sich als zweitschle­chteste der 24 Mannschaft­en und fand seither nicht aus dieser Negativspi­rale. Wie schon in Köln und Bochum wurde Koller seine Sturheit zum Verhängnis. Rücktritte und die Diskussion­en um David Alabas Position störten das Mannschaft­sklima. Der Gegenwind wurde rau und ließ den Schweizer in Pressekonf­erenzen zynisch werden.

Mit der EM-Qualifikat­ion hat Koller seinen Platz in den ÖFB-Annalen sicher. Die finale Einschätzu­ng seiner Leistungen und Fehler wird die Zukunft weisen, wenn sein Nachfolger gefunden ist und sich mit dem vorhandene­n Spielermat­erial beweisen muss.

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