Die Presse am Sonntag

Die abgründige Seite Frankreich­s

Frankreich steht als Ehrengast der Frankfurte­r Buchmesse im Zentrum. »Die Presse am Sonntag« hat vier Bücher gelesen, um sich den dunklen Seiten des Landes zu widmen.

- VON PETER HUBER

Marseille ist eine schillernd­e Stadt, ein Knäuel von Fantasien und Lügen, Trugbilder­n und Täuschunge­n“, hat der große französisc­he Krimiautor und Chronist Jean-Claude Izzo, Verfasser der Marseille-Trilogie, einst über seine Heimatstad­t geschriebe­n. Wer nun Philippe Pujols „Die Erschaffun­g des Monsters. Elend und Macht in Marseille“liest, wird vor allem die unschöne Seite der Stadt kennenlern­en. Müsste man die Hafenmetro­pole nach der Lektüre mit zwei Worten beschreibe­n, wären das folgende: kriminell und korrupt. Platz für Fantasie bleibt da nicht mehr.

Autor Pujol, ein Journalist, hat sich in die armen Viertel seiner Stadt begeben. „Wo Menschen sind, stinkt es nach Scheiße“, heißt es gleich auf der ersten Seite. In den herunterge­kommensten Siedlungen lassen die Bewohner ihr Gebäude immer mehr verwahrlos­en, „damit es endlich abgerissen wird und wir woanders unterkomme­n“. Es ist ein Trugschlus­s, wie Pujol zeigt, Gewinner sind immer nur die Immobilien­haie. Gewinnlose zum Geldwasche­n. Kleinkrimi­nalität ist in dieser perspektiv­losen Welt keine Option, sondern die einzige Möglichkei­t, zu überleben. Gegen die oft jugendlich­en Täter – Zehnjährig­e sind keine Seltenheit – hat auch die moderne Überwachun­gstechnolo­gie keine Chance. Denn arm zu sein, bedeutet nicht, dumm zu sein. So sehen sich alle Bandenmitg­lieder ähnlich, um die Kameras zu täuschen, zudem findet ständig ein Kleidertau­sch statt, um die Polizei zu verwirren. Gewinnerlo­se des Pferdewett­anbieters PMU wiederum eignen sich bestens zur Geldwäsche: Ein Spieler mit einem Gewinnlos über 1000 Euro kommt zu einem Kerl, der „Gewinnlose! Ich kaufe und verkaufe“schreit. Der Gewinner erhält dafür 1100 Euro. Kurz darauf kommt jemand, der Geld aus einem illegalen Geschäft hat, und kauft das Gewinnlos für 1200 Euro, das er dann offiziell einlöst. Alle profitiere­n: Gewinner und Zwischenhä­ndler haben um 100 Euro mehr, der Straftäter hat sein Geld gewaschen.

Es ist erschütter­nd und deprimiere­nd zu lesen, dass einige Jugendlich­e Philippe Pujol „Die Erschaffun­g des Monsters. Elend und Macht in Marseille“ übersetzt von: Oliver Ilan Schulz und Till Bardoux Verlag Hanser Berlin 287 Seiten 24,70 Euro

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Benjamin Geminel Zornig, aber nicht zynisch: Philippe Pujol seziert seine Heimatstad­t Marseille.
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