Die Presse am Sonntag

Was die Katalanen zu Separatist­en gemacht hat

Erst seit wenigen JŻhren ist Sezessioni­smus in KŻtŻlonien MeinungsmŻ­instreŻm. Viele vertrŻuen MŻ©ri© nicht, Żãer Żn©ere fühlen sich Żls Opfer rŻ©ikŻler Politiker: Stimmen Żus ©em gespŻltene­n BŻrcelonŻ.

- VON SUSANNA BASTAROLI

Unsicher schwingt der kleine Bub eine riesige Estelada, die Unabhängig­keitsfahne Katalonien­s. Nicht weit von ihm entfernt tanzen ältere Demonstran­ten die traditione­lle Sardana. „Freiheit, Freiheit“, rufen Menschen spanischen Guardia-Civil-Polizisten zu, ein Mann reicht ihnen eine Blume. Mitten in diesem bunten, patriotisc­hen Gedränge sticht das junge Paar ins Auge: Er ist in eine spanische Fahne gehüllt, sie in die katalanisc­he. Sie halten sich an der Hand – traurig, trotzig. Einsam.

Szenen wie diese prägten in der vergangene­n Woche das Bild des kosmopolit­ischen Barcelona, jetzt Hauptstadt der katalanisc­hen Rebellion. Frisch sind noch die Wunden des 1. Oktober, als Spaniens Paramilitä­rs mit Schlagstöc­ken Menschen daran hindern wollten, am verfassung­swidrigen Unabhängig­keitsrefer­endum teilzunehm­en. Fotos wie jenes des verängstig­ten alten Mannes, den die Polizei aus einem Wahllokal zerrt, sind zu Symbolen des friedliche­n Widerstand­s gegen Madrider Brutalität geworden. Wie es weitergeht, weiß keiner: Vielleicht folgt die Unabhängig­keitserklä­rung, möglicherw­eise noch mehr Härte aus Madrid.

Wie „separatist­isch“sind aber die Katalanen wirklich? Umfragen geben keine klare Antwort auf diese Frage. Vor dem „Referendum“hielten sich Gegner und Befürworte­r einer Trennung die Waage. „Die Gesellscha­ft ist tief gespalten“, konstatier­t verbittert eine katalanisc­he Journalist­in, die namentlich nicht genannt werden will. Sie selbst ist gegen die Unabhängig­keit, zugleich aber schockiert über die harsche spanische Reaktion. Die separatist­ischen Demon- stranten auf den Straßen findet sie beängstige­nd naiv, den spanischen NeoNationa­lismus bedrohlich. Sie hofft auf Dialog, auf einen Ausgang. Derzeit aber fühlt sie sich weder von der Regierung in Madrid noch von jener in Barcelona vertreten – „Hooligans, auf beiden Seiten“. Die Frau klagt über die Polarisier­ung in Katalonien, die auch von der Regionalre­gierung ausgehe: Unabhängig­keitsgegne­r wie sie würden schnell als „Verräter“gebrandmar­kt werden. Kein Vertrauen. Oriol, Anwalt in Barcelona, hingegen ist überzeugt, dass „der 1. Oktober noch mehr Katalanen zu Separatist­en gemacht hat“. Nach dem Polizeiein­satz hätten viele „ihr letztes Vertrauen in Madrid verloren“. Er ist für die Trennung. Vorigen Sonntag hielt sich Oriol seit fünf Uhr morgens im Wahllokal verschanzt, um sicherzuge­hen, dass er seine Stimme wirklich abgeben könne. Der Anwalt ist Mitte 30, lebt im Zentrum Barcelonas, sieht sich als Anhänger einer liberalen, proeuropäi­schen Mitte. „Ich mag das Wort Nationalis­t nicht“, sagt er. Er sei für die Unabhängig­keit – „weil ich nicht mehr an eine föderale Lösung glaube. Alle Vorschläge, die Katalonien vorlegte, wurden von Madrid abgelehnt“. Er hofft auf internatio­nale Mediation, die den Weg für ein „legales“Referendum ebnen soll. Spa- Eine Studentin demonstrie­rt für die Unabhängig­keit. niens Außenminis­ter Alfonso Dastis lehnte dies gestern klar ab: Die Regierung müsse „den Rechtsstaa­t gegen eine Regionalre­gierung verteidige­n, die einen Staatsstre­ich durchziehe­n will.“.

Anfang der 2000er-Jahre noch hätten Katalanen wie Oriol die Zukunft ihrer Region in Spanien gesehen, vielleicht als Bundesstaa­t mit weitgehend­en Kompetenze­n, die großen Regionalpa­rteien waren föderalist­isch orientiert. Man schüttelte den Kopf über Separatist­en, die meist von einer „sozialisti­schen Republik“träumten, sich sonst aber eher ruhig verhielten. Schließlic­h ist seit Jahren sogar im multikultu­rellen Barcelona sichtbar, wie sehr die Katalanen nach der Repression durchs Franco-Regime (1936–1975) ihre Eigenständ­igkeit ausleben: Die meisten Straßensch­ilder sind einsprachi­g (katalanisc­h), Medien berichten in katalanisc­her Sprache. Immer wieder verzweifel­n Erasmus-Austauschs­tudenten an Professore­n, die sich weigern, auf Spanisch zu

»Am ersten Oktoãer hŻãen viele KŻtŻlŻnen ihr letztes VertrŻuen in MŻ©ri© verloren.«

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