Was die Katalanen zu Separatisten gemacht hat
Erst seit wenigen JŻhren ist Sezessionismus in KŻtŻlonien MeinungsmŻinstreŻm. Viele vertrŻuen MŻ©ri© nicht, Żãer Żn©ere fühlen sich Żls Opfer rŻ©ikŻler Politiker: Stimmen Żus ©em gespŻltenen BŻrcelonŻ.
Unsicher schwingt der kleine Bub eine riesige Estelada, die Unabhängigkeitsfahne Kataloniens. Nicht weit von ihm entfernt tanzen ältere Demonstranten die traditionelle Sardana. „Freiheit, Freiheit“, rufen Menschen spanischen Guardia-Civil-Polizisten zu, ein Mann reicht ihnen eine Blume. Mitten in diesem bunten, patriotischen Gedränge sticht das junge Paar ins Auge: Er ist in eine spanische Fahne gehüllt, sie in die katalanische. Sie halten sich an der Hand – traurig, trotzig. Einsam.
Szenen wie diese prägten in der vergangenen Woche das Bild des kosmopolitischen Barcelona, jetzt Hauptstadt der katalanischen Rebellion. Frisch sind noch die Wunden des 1. Oktober, als Spaniens Paramilitärs mit Schlagstöcken Menschen daran hindern wollten, am verfassungswidrigen Unabhängigkeitsreferendum teilzunehmen. Fotos wie jenes des verängstigten alten Mannes, den die Polizei aus einem Wahllokal zerrt, sind zu Symbolen des friedlichen Widerstands gegen Madrider Brutalität geworden. Wie es weitergeht, weiß keiner: Vielleicht folgt die Unabhängigkeitserklärung, möglicherweise noch mehr Härte aus Madrid.
Wie „separatistisch“sind aber die Katalanen wirklich? Umfragen geben keine klare Antwort auf diese Frage. Vor dem „Referendum“hielten sich Gegner und Befürworter einer Trennung die Waage. „Die Gesellschaft ist tief gespalten“, konstatiert verbittert eine katalanische Journalistin, die namentlich nicht genannt werden will. Sie selbst ist gegen die Unabhängigkeit, zugleich aber schockiert über die harsche spanische Reaktion. Die separatistischen Demon- stranten auf den Straßen findet sie beängstigend naiv, den spanischen NeoNationalismus bedrohlich. Sie hofft auf Dialog, auf einen Ausgang. Derzeit aber fühlt sie sich weder von der Regierung in Madrid noch von jener in Barcelona vertreten – „Hooligans, auf beiden Seiten“. Die Frau klagt über die Polarisierung in Katalonien, die auch von der Regionalregierung ausgehe: Unabhängigkeitsgegner wie sie würden schnell als „Verräter“gebrandmarkt werden. Kein Vertrauen. Oriol, Anwalt in Barcelona, hingegen ist überzeugt, dass „der 1. Oktober noch mehr Katalanen zu Separatisten gemacht hat“. Nach dem Polizeieinsatz hätten viele „ihr letztes Vertrauen in Madrid verloren“. Er ist für die Trennung. Vorigen Sonntag hielt sich Oriol seit fünf Uhr morgens im Wahllokal verschanzt, um sicherzugehen, dass er seine Stimme wirklich abgeben könne. Der Anwalt ist Mitte 30, lebt im Zentrum Barcelonas, sieht sich als Anhänger einer liberalen, proeuropäischen Mitte. „Ich mag das Wort Nationalist nicht“, sagt er. Er sei für die Unabhängigkeit – „weil ich nicht mehr an eine föderale Lösung glaube. Alle Vorschläge, die Katalonien vorlegte, wurden von Madrid abgelehnt“. Er hofft auf internationale Mediation, die den Weg für ein „legales“Referendum ebnen soll. Spa- Eine Studentin demonstriert für die Unabhängigkeit. niens Außenminister Alfonso Dastis lehnte dies gestern klar ab: Die Regierung müsse „den Rechtsstaat gegen eine Regionalregierung verteidigen, die einen Staatsstreich durchziehen will.“.
Anfang der 2000er-Jahre noch hätten Katalanen wie Oriol die Zukunft ihrer Region in Spanien gesehen, vielleicht als Bundesstaat mit weitgehenden Kompetenzen, die großen Regionalparteien waren föderalistisch orientiert. Man schüttelte den Kopf über Separatisten, die meist von einer „sozialistischen Republik“träumten, sich sonst aber eher ruhig verhielten. Schließlich ist seit Jahren sogar im multikulturellen Barcelona sichtbar, wie sehr die Katalanen nach der Repression durchs Franco-Regime (1936–1975) ihre Eigenständigkeit ausleben: Die meisten Straßenschilder sind einsprachig (katalanisch), Medien berichten in katalanischer Sprache. Immer wieder verzweifeln Erasmus-Austauschstudenten an Professoren, die sich weigern, auf Spanisch zu
»Am ersten Oktoãer hŻãen viele KŻtŻlŻnen ihr letztes VertrŻuen in MŻ©ri© verloren.«