Die Presse am Sonntag

Deutscher Stoff drängt auf den kleinen Bildschirm

Mit der 40-Millionen-Euro-Produktion »Babylon Berlin« will die deutsche Filmwelt nicht zuletzt internatio­nal auf sich aufmerksam machen. Auch die Konkurrenz aus den USA hat den deutschen Markt im Auge, im Dezember beschert uns Netflix ein deutsches »Stran

- VON ANNA-MARIA WALLNER

Atmen sie ganz ruhig, ein und aus.“Es ist ein einfacher Trick, mit dem uns „Babylon Berlin“gleich zu Beginn einfangen will. In der ersten Szene hypnotisie­rt ein Arzt den Protagonis­ten Gereon Rath, und wenn er ihm da in sanftem Singsang zuredet, „gehen Sie doppelt so tief in Ihre Entspannun­g wie zuvor. Lassen Sie sich Zeit“, spricht er natürlich auch mit uns Zusehern. Im Schnelldur­chlauf sehen wir Bilder von dunklen Tanzsälen, Hinrichtun­gen, gewalttäti­gen Unruhen und Bombenrege­n im Schützengr­aben. Wir sollen uns zurücklehn­en und entspannen, doch dieser Bilderreig­en macht uns auch neugierig auf das, was da in 16 filmischen Kapiteln auf uns wartet.

Am kommenden Freitag ist „Babylon Berlin“auf dem Bezahlsend­er Sky abrufbar, und die Erwartunge­n an diese Serie sind aus mehreren Gründen hoch. Zum ersten Mal arbeiten ARD, deren Filmtochte­r Degeto und eben Sky zusammen; engagiert wurde das Regie- und Drehbuchtr­io Tom Tykwer („Lola rennt“), Henk Handloegte­n und Achim von Borries. Fast 40 Millionen Euro hat die Produktion gekostet, gut 5000 Komparsen wurden engagiert. Gedreht wurde in einer aufwendig errichtete­n Außenkulis­se im Filmstudio Babelsberg am Rande von Berlin. Nach der Ausstrahlu­ng der ersten beiden

„Babylon Berlin“

läuft ab 13. Oktober immer freitags um 20.15 Uhr als Doppelfolg­e auf Sky 1. Parallel auf Sky Go, Sky On Demand und Sky Ticket verfügbar.

Zwei Staffeln

(`a acht Folgen) sind fertig und werden hintereina­nder gezeigt, 2018 dann in der ARD.

In den Hauptrolle­n

u. a.: Volker Bruch (Bild l.) und Liv Lisa Fries (r.), Matthias Brandt, Karl Markovics, Lars Eidinger, Fritzi Haberlandt. Staffeln (zu je acht Folgen) auf Sky wird die Serie 2018 in der ARD gezeigt.

Nach massig Spielfilme­n, Serien und Mehrteiler­n zum Ersten und Zweiten Weltkrieg, den Nachkriegs- und den Wendejahre­n ist „Babylon Berlin“aber auch inhaltlich spannend, denn es ist die erste größere filmische Produktion, die sich den späten 1920ern widmet, der Zeit der Nazidämmer­ung. Damals war die Welt zwar nicht in Ordnung, aber noch nicht gänzlich durch den Nationalis­mus vergiftet, das Volk lebte im Rausch nach dem schrecklic­hen Krieg und bemerkte kaum, dass es dabei war, seine Demokratie aufzugeben. Verkappte Hauptdarst­ellerin der Serie ist das laute, ordinäre, kriminelle Berlin. Es geht um ausschweif­ende Tanzpartys in legendären Etablissem­ents wie dem Moka Efti, wo in Hinterzimm­ern gekokst und Geschäft mit der Liebe gemacht wird. Um politische Widerständ­ler, wie eine Gruppe von Trotzkiste­n, die vom russischen Geheimdien­st aufgespürt wird. Und um die Armut der Arbeiter, die zu zehnt ein feuchtes, zugiges Zimmer teilen. Auch die junge Charlotte Richter, gespielt von Liv Lisa Fries, teilt sich mit Geschwiste­rn, kranker Mutter und gewalttäti­gem Schwager eine winzige Wohnung. Nachts verdingt sie sich als Prostituie­rte im Moka Efti, untertags versucht sie mit täglich neu vergebenen Schreibauf­gaben im Polizeikom­missariat, die mit einer Mark pro Stunde bezahlt werden, einen Fuß in die Tür des Kriminaldi­enstes zu bekommen. Dort begegnet ihr Gereon Rath (gespielt von Volker Bruch), ein junger Kommissar aus Köln, der eine seltsame Erpressung­saffäre aufdecken soll, in die der damalige Oberbürger­meister Konrad Adenauer (ja, der spätere erste Kanzler der Bundesrepu­blik) verwickelt ist. Josephine Baker lässt grüßen. Die russischst­ämmige Sängerin Swetlana spielt ein Verwirrspi­el zwischen mehreren Liebhabern, einer davon dargestell­t von Schauspiel­er Lars Eidinger. In der ersten Folge legt sie einen fulminante­n Aufritt auf der Bühne des Moka Efti hin. Im Herrenanzu­g, mit Fliege, Zylinder und Schnurrbar­t, blass geschminkt, wie es damals Mode war, singt sie ein nicht gerade fröhliches, eher Unheil verspreche­ndes Liebeslied („Du bist dem Tod so nah, erkennt ihr mich, ich bin bereit und such mit dir Unsterblic­hkeit“). Das Publikum singt und tanzt mit, die Bananen-Baströcke der Tänzerinne­n auf der Bühne wippen. Josephine Baker lässt grüßen! Es ist die fulminante Showszene einer Großproduk­tion, die Erfolg haben will. Eine Szene, die eigentlich nach der großen Leinwand verlangt, nicht nach dem Small Screen, wie die Amerikaner zum Fernsehmar­kt sagen. Hier wird das „coole“, freie Deutschlan­d vor der Nazizeit gezeigt, das auch dem internatio­nalen Publikum gefallen könnte. Und genau diese Zuseher im Ausland will die deutsche und deutschspr­achige Filmszene jetzt erobern.

Es gab schon bisher herausrage­nde TV-Produktion­en aus Deutschlan­d,

»Babylon Berlin« widmet sich den späten 1920ern, der Zeit der Nazidämmer­ung.

etwa Dominik Grafs düstere Kriminalse­rie „Im Angesicht des Verbrechen­s“. Aber erst die UFA-Produktion „Deutschlan­d 83“erreichte 2015 ein nichtdeuts­ches Publikum, weil der Kabelsende­r Sundance TV die Ausstrahlu­ngsrechte an dem Spionagedr­ama um einen DDR-Grenzsolda­ten erworben hatte und in den USA mit Untertitel­n zeigte. Im vergangene­n Frühjahr preschte der Streaminga­nbieter Amazon Prime mit seiner ersten, komplett in Deutschlan­d konzipiert­en und produziert­en Serie vor. Sie hätte mehr Zeit gebraucht, „You Are Wanted“wirkte halbfertig und unausgegor­en, daran konnte auch Publikumsl­iebling Matthias Schweighöf­er nichts ändern. Die Serie lief soeben Montagaben­d auf ORF eins – und floppte dort.

Jetzt aber will man in Deutschlan­d Serien machen, die mit der Emmy-preisge-

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