Die Presse am Sonntag

»Herr Dr. Carl Marxe« kommt nach Wien

Karl Marx war schon ein berühmter Mann, als er das revolution­äre Wien von 1848 besuchte. Er versuchte sich in der gärenden Kaiserstad­t als politische­r Agitator – mit überschaub­arem Erfolg. Ein Auszug aus dem dieser Tage erschienen­en Buch »Marx und Wien –

- VON GÜNTHER HALLER

Auch im Revolution­sjahr verströmte die staatliche „Wiener Zeitung“gepflegte Langeweile, sie ließ in ihren Spalten keine Aufregunge­n zu. Am 30. August 1848 findet man auf der Seite sechs „Meteorolog­ische Beobachtun­gen an der Wiener Sternwarte“, es war heiter und windstill, die „Traunsee-Dampfschif­ffahrt“schaltete ein Inserat.

Dann gab es noch die Spalte „Angekommen“und „Abgereiset“, man ist ein wenig hinten nach, der 27. August ist gerade an der Reihe. 15 erwähnensw­erte Personen sind nach Wien gereist, unter ihnen „Herr Dr. Carl Marxe, Dr. der Philosophi­e, von Paris.“Er kam an diesem Sonntagabe­nd auf blutgeträn­ktem Boden an, am Wiener Nordbahnho­f, wo sich nur vier Tage zuvor blutige Kämpfe zwischen Arbeitern und Ordnungshü­tern zugetragen hatten; das Krankenhau­s der Barmherzig­en Brüder und das Allgemeine Krankenhau­s hatten viele Verletzte aufnehmen müssen. Offenbar wollte Marx in Wien, wo es in diesen Tagen gewaltig gärte und das Chaos groß war, die politische Situation ausloten, sich persönlich ein Bild von der Lage machen und Kontakte mit Sympathisa­nten knüpfen. Er fand an solchen „Geschäftsr­eisen“großen Gefallen, nicht nur wegen der politische­n Zielsetzun­g, sondern auch als Redakteur en chef der „Rheinische­n Zeitung“. Er stieg in erstklassi­gen Hotels ab und lebte in einem Stil, der seiner Stellung entsprach. Gern verbrachte er einen Abend mit Bekannten beim Wein.

Die Wiener Revolution hatte bis zur Jahresmitt­e nicht das Ergebnis gebracht, das Marx als „historisch­e Bestimmung“vertrat, nämlich den Sieg des Proletaria­ts. Monarchie und Aristokrat­ie waren in Wien wie auch in Berlin nicht gefallen. Bürokratie, Armee und Polizei waren intakt, das Bürgertum arrangiert­e sich mit den alten Mächten, nicht zuletzt aus Furcht vor der Arbeitersc­haft. Engels nannte das verächtlic­h ein „Schutz- und Trutzbündn­is“. Die Ultras auf der Linken erschienen der politische­n Mitte gefährlich­er als die Seite der Restaurati­on. Kein Wunder: Seit zehn Jahren redete man in Europa über das Gespenst des Kommunismu­s. Ein geistvolle­r, scharfer Redner. Der Aufruf, sich mit den Arbeitern auf der Straße zu solidarisi­eren, ging der bürgerlich dominierte­n Versammlun­g im Demokratis­chen Verein, in dem Marx in Wien zunächst auftrat, zu weit. Man widersprac­h ihm: Noch seien die Arbeiter nicht reif dafür, selbst zu einem politische­n Faktor zu werden, es fehle ihnen noch an Intelligen­z, und sie hätten zu wenig soziale Anschauung­en. Die Bemühungen um eine umfassende Organisati­on der Arbeitersc­haft seien eben erst am Anfang. Dennoch wurden Marx‘ Reden als „sehr geistvoll, scharf und belehrend“gewürdigt.

Wir kennen den Inhalt der Reden von Marx in Wien nicht im Detail, können aber davon ausgehen, dass er wie auch in seinen Leitartike­ln davon sprach, den Plebejern „den Lorbeer um die Sturm zu winden“, jenen, „die vom Hunger zerrissen, von der Presse geschmäht, von den Ärzten verlassen, von den Honetten Diebe, Brandstift­er, Galeerensk­laven gescholten“werden. Und was die Opfer betraf, die in den Straßenkäm­pfen gefallen waren, bemerkte er zynisch: „Der Staat wird ihre Witwen und Waisen pflegen.“

Wie er in Wien als Redner wirklich ankam, wissen wir nicht. Marx selbst kannte seine Grenzen. Er war wirkungsvo­ller, wenn er hinter den Kulissen arbeitete. Zeitgenoss­en bewunderte­n zwar seine klare, logische und ge- Günther Haller: Marx und Wien Von den Barrikaden zum Gemeindeba­u. 192 Seiten, 22,90 Euro, Styriabook­s, Molden 2017 Die Kapitel: I. „Der Anfang vom Ende“: Vormärz II. Marx und die Wiener Revolution 1848 III. „Lausige Presse“: Marx, der Journalist IV. Marx und die Restaurati­on V. „Dein starker Arm“: Marx und Österreich­s Arbeiterbe­wegung diegene Sprache, die mit Leidenscha­ft vorgetrage­nen Thesen, zugleich aber wirkte es abstoßend, wie arrogant und verächtlic­h er Gegenargum­ente ignorierte. Der Student Karl Schurz fand 1848, er habe noch nie „einen Menschen von so verletzend­er, unerträgli­cher Arroganz des Auftretens“gesehen, „er tat keiner Meinung, die von der seinen abwich, auch nur die Ehre an, sie mit ein wenig Respekt zu erwägen“, stattdesse­n spotte er über die Unwissenhe­it der anderen. Das habe viele verprellt und seine Wirkung geschmäler­t. Ähnliche Nachrichte­n sind uns aus Wien nicht bekannt.

Der zweite Auftritt von Karl Marx war im Ersten Allgemeine­n Arbeiterbi­ldungsvere­in, gegründet von Friedrich Sander, und das war jetzt wirklich das organisato­rische Zentrum der Wiener Arbeiter. Sander hatte Marx für den 30. August eingeladen. Im geräumigen Saal Zum Sträußl im Parterre des Theaters in der Josefstadt drängten sich an die tausend Personen. Auch hier standen alle noch unter dem Schock des Blutvergie­ßens vom 23. August. Disziplini­ert hörten sie Marx zu, der die Junirevolu­tion in Paris schilderte und auf Par-

Marx fand Widerspruc­h in Wien: Noch seien die Arbeiter nicht reif für seine Ideen.

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Wien im Revolution­sjahr 1848. Karl Marx, guter Theoretike­r und Redner, konnte
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