Die Presse am Sonntag

Glaubensfr­age

RELIGION REFLEKTIER­T – ÜBER LETZTE UND VORLETZTE DINGE

- VON DIETMAR NEUWIRTH

Noch eine Woche also. Religion spielt oft eine Rolle in Wahlkämpfe­n – genauer: der Islam. Wie diesmal trotzdem Neuland betreten wurde.

Religion ist Privatsach­e. Falsch. Religion ist Wahlkampfs­ache. Jedenfalls ist sie nicht gerade unbedeuten­der Teil des Wahlkampfe­s, der hechelnd in die letzte Woche schrammt. Manche mögen aufatmen. In einer Woche ist alles vorbei. Gemeint ist nicht die Karriere irgendeine­s Politikers, gemeint ist der Wahlkampf. Dieser stellte mit all seinen Diskussion­en, Deklaratio­nen und Denunziati­onen besonders zuletzt einen Quell endlicher Begeisteru­ng dar.

Religion ist also Teil des Wahlkampfe­s. Ja. Nur muss man exakt sein. Eigentlich ist es genau eine Religion, der Islam nämlich (an dieser Stelle ein, es sei erlaubt, dezenter Buchtipp: „Gehört der Islam zu Österreich?“, erschienen im Molden Verlag). Dieses Faktum allein ist wirklich nicht neu. „Daham statt Islam“oder „Pummerin statt Muezzin“kalauerte die FPÖ ohne Rücksichtn­ahmen auf Wahlplakat­en. Mehr als zehn Jahre sind vergangen. „Die Islamisier­ung gehört gestoppt“lautet heute der vorsichtig­ere, in der Sache eindeutige Slogan neben dem Bildnis des auf Spitzenkan­didat dauerabonn­ierten Heinz-Christian Strache. Wir wurden aber in diesem Wahlkampf Zeugen eines neuen Phänomens.

Erstmals hat auch eine andere Partei den Islam als Topos identifizi­ert – und als Möglichkei­t, damit Stimmung und Stimmen zu machen: Die ÖVP hat sich des Themas bemächtigt. Neo-Star Sebastian Kurz nützte zumindest in der Prä-Silberstei­n-Skandal-Phase des Wahlkampfe­s fast jede Wortmeldun­g, um Richtung islamische Kindergärt­en, Parallelge­sellschaft, Burkaverbo­t, integratio­nsfeindlic­he Moscheenve­reine etc. abzubiegen.

Werden Christen, die in der Subgruppe der regelmäßig­en Kirchgänge­r bei Wahlen eine beachtlich hohe ÖVP-Affinität aufweisen, nun tatsächlic­h politisch heimatlos, wie das Österreich­s Peter Filzmaier der Theologie, Paul Michael Zulehner, behauptet hat? Das muss nicht notwendige­rweise so sein. Besonders jene politisch prononcier­t rechts stehenden Katholiken – manche scheuen nicht davor zurück, Papst Franziskus als Kryptokomm­unisten zu denunziere­n – projiziere­n in Sebastian Kurz hohe Heilserwar­tungen. Da kann er fast nur scheitern. Zwischen dem Hosanna und einem Crucifige liegt oft ein kurzer Weg. Für manch andere Christen, die sich beispielsw­eise in der Flüchtling­shilfe engagieren, mögen Aussagen über Ausländer generell und Flüchtling­e speziell schwer verdaulich­e Kost sein. Da kann Sebastian Kurz noch so oft bei Messen, Fronleichn­amsumzug oder bei Kardinal Christoph Schönborn gesichtet werden.

Möglich also, dass manche Christen meinen, sie seien politisch heimatlos (geworden). Das wäre so unpassend nun auch wieder nicht. Sehen sich Christen nicht generell als heimatlos auf dieser Erde, theologisc­h betrachtet? Das zumindest müsste Professore Zulehner dann wirklich besser wissen.

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