Die Presse am Sonntag

»Was ist eigentlich euer Problem?«

Hasnain Kazim, Sohn indisch-pakistanis­cher Eltern, berichtet seit dem Frühjahr 2016 für den »Spiegel« aus Wien. Davor war er Korrespond­ent in Istanbul und verließ als Erdoˇgan-Kritiker nach einer Warnung sehr abrupt das Land. Ein Gespräch über sein Leben

- VON ANNA-MARIA WALLNER

Sie kamen im März 2016 mit Ihrer Familie nach Wien, um für den „Spiegel“aus Österreich zu berichten. Abgesehen von den Umständen, die zu der Übersiedlu­ng führten: Wollten Sie überhaupt hierher? Hasnain Kazim: Ja, das war mein Wunsch und der meiner Frau. Wir sehnten uns nach einem Leben in einer Stadt, die funktionie­rt – und ehrlich gesagt auch nach der deutschen Sprache. Nach vier Jahren in Islamabad, Pakistan und Istanbul, Türkei war uns noch ein Krisenland zu viel. Meine Redaktion hatte auch andere Vorschläge, aber ich habe mir Wien gewünscht. Damals war Werner Faymann noch Kanzler, und alle sagten zu mir: „Österreich, ist ja langweilig im Vergleich zu deinen früheren Wohnorten.“Aber dann kam ich hier an, und es ging gleich zur Sache, die merkwürdig­e, aber auch interessan­te Bundespräs­identenwah­l, der Kanzlerwec­hsel, die Neuwahlen. Meine Redaktion sagt schon scherzhaft, überall, wo ich hinkomme, verursache ich Chaos. Sie waren zweieinhal­b Jahre für den „Spiegel“in Istanbul und mussten dann sehr schnell ausreisen. Wie haben Sie die Ankunft in Wien erlebt? Privat mussten wir erst einmal Fuß fassen, wir kannten Wien gar nicht, weil wir nichts vorbereite­n konnten, wohnten wir zuerst in einer Ferienwohn­ung. Beruflich und politisch betrachtet ist für mich nicht nachvollzi­ehbar, wieso die Wiener so unzufriede­n sind. Das ist vielleicht das Wesen der Wiener, aber ich bin viel gereist im Land, man spürt diese Unzufriede­nheit überall. Wenn man vier Jahre in Pakistan gelebt hat, außerdem Länder wie Afghanista­n kennt, dann fragt man sich schon: Was ist eigentlich euer Problem? Sie schildern in Ihrem soeben erschienen­en Buch, wie sehr sich die Türkei in den zwei Jahren, in denen Sie dort lebten, verengt hat. Woran haben Sie das gemerkt? Wahrschein­lich war mein erster Eindruck von Freiheit von vornherein falsch. Wir sind im Sommer 2013, im Ramadan, umgezogen. Wenn Sie in Pakistan während des Fastenmona­ts tagsüber auf der Straße eine Flasche Wasser trinken, werden Sie komisch angeschaut. Das macht man dort einfach nicht. Dann kamen wir in Istanbul an, immer noch Ramadan, und sahen die Leute draußen sitzend nicht nur Kaffee trinken, sondern Bier. Wir dachten, das ist ja total frei hier. Ein Freund sagte uns aber: Täuscht euch nicht, das ist Istanbul, in der Provinz ist das auch anders. Natürlich geht es in der Türkei liberaler zu als in Pakistan, aber man merkt, dass Politiker zunehmend die religiöse Karte spielen. Wieso entschiede­n Sie, das Land innerhalb weniger Tage zu verlassen? Zuerst wurde mir die Presseakkr­editierung verweigert, aber meine Frau und ich entschiede­n: Wir lassen uns nicht hinauswerf­en, wir bleiben hier und sitzen das aus. Bis mich dann im März zwei unabhängig­e Stellen aus der Justiz freundscha­ftlich gewarnt hatten, dass eine Anklage gegen mich in Vorbereitu­ng sei wegen Unterstütz­ung einer Terrororga­nisation. Das bedeutet, dass ich das Land nicht mehr hätte verlassen dürfen. Es hieß, diese Anklage könnte innerhalb von sieben Tagen kommen. Da war klar, wir müssen schnell raus. Wie ging es Ihrem Sohn mit den Umzügen? Er ist jetzt fünf. Unter dem Umzug aus der Türkei nach Wien hat er am meisten gelitten, weil das so kurzfristi­g war. Er hat nicht verstanden, warum wir so plötzlich wegmussten und auch nicht mehr zurück konnten. Aber er ist sehr

Hasnain Kazim

(* 19. 10. 1974 in Oldenburg) ist Sohn indisch-pakistanis­cher Eltern. Er ist seit 1990 deutscher Staatsbürg­er, trat 1994 in die deutsche Marine ein, studierte danach an der Universitä­t der Bundeswehr Hamburg Politikwis­senschaft.

Politik.

Er kandidiert­e Ende der 1990er für die FDP bei der Landtagswa­hl in Niedersach­sen, trat aber nach der Wahl aus der Partei aus und widmete sich komplett seinem Journalist­enberuf.

Journalism­us.

Seine journalist­ischen Stationen waren das „Stader Tageblatt“, die „Heilbronne­r Stimme“, die Nachrichte­nagentur DPA. Seit 2006 war er als Redakteur bei Spiegel Online, ab 2009 Korrespond­ent in Pakistan, ab 2013 in der Türkei, seit 2016 in Wien.

Autor.

Kazim ist verheirate­t, hat einen Sohn und hat bisher drei Bücher geschriebe­n. Sein jüngstes ist soeben bei DVA, München, erschienen und heißt „Krisenstaa­t Türkei. Erdo˘gan und das Ende der Demokratie am Bosporus“(256 Seiten, 20,60 Euro). gut in Wien angekommen, hat im Kindergart­en schnell Freunde gefunden – und er spricht – zu meinem kleinen Erschrecke­n – Wienerisch. Ich verstehe ihn teilweise gar nicht mehr. Neulich sagte er zu mir: „Deine Haube ist schiach.“Wenn ich frage, was schiach bedeutet, sagt er mir leicht genervt: „Papa, das heißt hässlich.“ Sie waren bei der Bundeswehr in der Marine. Wie kam das? Eine Schulfreun­din von mir hat zu mir gesagt, ich sei deutscher als die Deutschen. Als Jugendlich­er wollte ich immer Kriegsberi­chterstatt­er werden und die Welt sehen. Letzteres war mit der Marine möglich. Und ich bin fest davon überzeugt, heute mehr denn je, dass man Demokratie verteidige­n muss, zur Not auch mit Waffen. Später habe ich viel aus Afghanista­n berichtet, meine Erfahrung hat mir den Zugang zum Militär enorm erleichter­t. Ich wusste, wie ich mit denen reden kann, ich kannte ihre Dienstgrad­e, und ich war bei ihnen immer der Herr Leutnant. Wie relevant ist Österreich für ein deutsches Nachrichte­nmagazin? Schon allein deswegen, weil wir viele Leser in Österreich haben, digital wie Print. Man schaut natürlich auch genauer darauf, weil es politisch einige Parallelen gibt. Österreich hat mit der FPÖ sehr lange Erfahrung, Deutschlan­d mit der AfD nicht. Wie schätzen Sie Sebastian Kurz ein? Er macht seine Aufgabe sehr geschickt. Er hat in großen Teilen FPÖ-Inhalte eins zu eins übernommen, aber charmanter verpackt, und kommt damit an. Man kann von seiner Politik halten, was man will, und ich finde vieles kritikwürd­ig, was er sagt und tut, aber er hat seine Ämter bis jetzt ausgefüllt. Neulich fragte mich jemand, ob ich glaube, dass er Kanzler könne. Natürlich kann r. Er hat die Ämter davor auch geschafft. Er ist eine Figur, die wahrgenomm­en wird, auch über Österreich hinaus. Wo liegt der größte Unterschie­d zum deutschen Wahlkampf? Hier ist eine Regierungs­beteiligun­g der FPÖ denkbar, in Deutschlan­d die der AfD nicht – und ich hoffe, dass das so bleibt. Obwohl ich glaube, dass die AfD sich nicht auflösen wird, die werden jetzt einmal bleiben. Als die FPÖ 2000 in die Regierung kam, gab es einen Riesenaufs­chrei in Europa. Wenn die FPÖ heute in die Regierung kommt, wird es diesen nicht geben. Weil Europa sich verändert hat, nach rechts gerückt ist. Stichwort Wahlkampff­ernsehen: Sind Sie eher Typ Deutschlan­d (ein TV-Duell) oder Typ Österreich (viele Duelle)? Ich liege dazwischen. Mir ist das hier zu schrill und zu schmutzig. So geht man miteinande­r nicht um. Damit meine ich die SPÖ genauso wie die ÖVP, und die FPÖ ohnehin. Vielleicht ist das aber eine Chance für die kleinen Parteien. In Deutschlan­d war es mir dafür, auch als Wähler, zu langweilig. Die Streitkult­ur ist verloren gegangen. Gerade über das Flüchtling­sthema muss man natürlich streiten, aber nicht so, wie es getan wurde. Auf der einen Seite die AfD, auf der anderen Merkel, die immer gesagt hat „Wir schaffen das“, aber nicht, wie. Es gibt einfach keine echten Debatten. Das ist schlecht. In jeder zwischenme­nschlichen Beziehung und in der Politik muss man streiten dürfen. Sie haben nach der Bundestags­wahl mit einem polemische­n Tweet über Ostdeutsch­e, die eher die AfD gewählt haben, und einem Kommentar für Kritik gesorgt, wurden massiv angegriffe­n. Was haben Sie daraus gelernt? . . . was Sie an Wien gar nicht mögen? Die Grantigkei­t vieler Leute. . . . wovor Sie Angst haben? Davor, dass man Rassismus resozialis­iert, als etwas Normales hinnimmt. Dass man Menschen aufgrund ihres Äußeren, ihres Glaubens, ihrer sexuellen Orientieru­ng, ihrer Überzeugun­gen anfeinden darf und das als normal hinnimmt. . . . von wo aus Sie künftig berichten wollen? Wieder aus der Türkei? Nein, das ist abgeschlos­sen. Mein größter Wunsch ist, Korrespond­ent zu sein. Weil viele Leute oft sagen: „Was willst du denn in Österreich, du warst vorher in so spannenden Ländern.“– ich finde es wirklich spannend und wichtig, all das, was hier passiert, zu erklären. Ich habe das Gefühl, halb Ostdeutsch­land hat mir geschriebe­n, mittlerwei­le sind es etwa 1600 E-Mails. Ich befürchte, die Diskussion wird auch wieder abflauen. Stichwort Streitkult­ur: Wir müssen über das Thema Integratio­n diskutiere­n, und ich meine nicht nur die der Ausländer, sondern auch die der Ostdeutsch­en. Auch da gibt es ein Integratio­nsproblem. Sie sind nie ganz angekommen und werfen den Westdeutsc­hen vor, sie würden sie arrogant behandeln, was zum Teil stimmt. Sie haben einmal gesagt, Sie sind es gewohnt, Hassobjekt zu sein. Gewöhnt man sich daran wirklich? Als Journalist muss man Kritik einstecken können. Wenn es massiv ist, geht es an die Substanz. Ich bekomme es von beiden Seiten, die Islamisten, AKPTürken, Taliban nennen mich „den Ungläubige­n“– und die Rechten „den Islamisten“. Woran man sich nicht gewöhnt, sind Todesdrohu­ngen und dieses ständige „Du gehörst nicht nach Deutschlan­d“, obwohl ich hier geboren bin. Ehrlich gesagt weiß ich nicht, wie ich damit umgehen soll. Auf Facebook teilen Sie manche Ihrer Konversati­onen mit wütenden Lesern, auf die Sie sehr direkt eingehen und bei denen Sie manchmal ein Umdenken bewirken können. Aber das kostet viel Kraft und geht bei der Vielzahl an Mails nicht. Aus der Chefredakt­ion hört man immer wieder so etwas wie: „Wir müssen mit dem Leser auf Augenhöhe kommunzier­en.“Aber was heißt das? Ich habe es einmal versucht, als mir ein Leser schrieb: „Fick dich, Kazim.“Ich antwortete: „Fick dich selber.“Das ist natürlich irgendwie heikel, so etwas zu schreiben. Aber das war jetzt mal Augenhöhe. Der Leser schrieb zurück: „Das ist also Ihr Niveau“– Lustig, oder? Dabei hatte er dasselbe geschriebe­n.

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Clemens Fabry „Spiegel“-Korrespond­ent Hasnain Kazim in einem seiner Stammlokal­e in Wien, dem Caf´e Sperl.
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