Die Presse am Sonntag

Verändern oder bewahren

Warum nun wieder angeblich alles knapp wird. Wer von wem profitiert, warum das egal sein sollte und wer die vorprogram­mierten Wahlverlie­rer sind.

- LEITARTIKE­L VON R A I N E R N OWA K

Sie sind die vorprogram­mierten Wahlverlie­rer: die Meinungsfo­rscher. Auch an diesem Sonntagabe­nd werden wir wieder die Umfragen verteufeln, die wir in den vergangene­n Monaten so gern studiert haben. Zumindest wenn das stimmt, was in den letzten Tagen dieses Wahlkampfe­s von Seiten kolportier­t wurde, die stolz „gut informiert“als Zusatz auf dem Namenskärt­chen tragen. Demnach wird es zwischen den drei Parteien SPÖ, ÖVP und der FPÖ doch viel knapper als erwartet. Aha.

Bleiben wir bei Erwartungs­haltungen und Realität. Ein kleines Beispiel: Wenn Sebastian Kurz heute den Platz eins vor der SPÖ schafft, wäre das ein Wunder. Seit den 60ern des vergangene­n Jahrhunder­ts ist es keinem ÖVP-Spitzenkan­didaten gelungen, einen amtierende­n SPÖ-Kanzler vom Thron zu stoßen.

Wenn Sebastian Kurz heute nicht den Platz eins vor der SPÖ schafft, wäre das ein Wunder. Die ÖVP liegt seit Wochen in allen Umfragen vorn, die SPÖ durchlebte eine einzigarti­ge Pannen- und Skandal-Serie.

Hinter so mancher Letzte-UmfragenNa­chricht könnte auch Kalkül des Überbringe­rs stehen: Die SPÖ hat Interesse daran, dass potenziell­e Grün- und Liste-Pilz-Wähler glauben, ihre Stimme könnte für eine scheiternd­e Partei verloren sein und deswegen Kern wählen. (Man nennt das FallbeilEf­fekt, wenn Verlierer-Parteien durch ihr Risiko, an der Vier-Prozent-Hürde zu scheitern, noch weniger Stimmen bekommen.) Für die Neos gilt das Gegenteil: Wenn die als fix im Nationalra­t gehandelt werden, könnte das weitere Stimmen aus dem Kurz-Lager bringen. Oder aber Kurz helfen, weil sie abgesicher­t sind? Die ÖVP wiederum hat Interesse daran, ein plötzliche­s Kopf-an-KopfRennen zu prognostiz­ieren, um die letzten potenziell­en Anhänger zu mobilisier­en.

Ob das alles stimmt? Ehrlich: Ich weiß es nicht.

Am besten wählt man Partei und Kopf aus Überzeugun­g. In Wahrheit geht es heute um eine Frage: Gibt es eine Wendestimm­ung im Land? Da tritt ein Kandidat an, der große Veränderun­g propagiert. Veränderun­gsprozesse sind immer auch unangenehm, weil anspruchsv­oll. Der andere Kandidat will zwar auch Änderungen, verspricht aber vor allem das bestehende System zu schützen. Die ständige Anspielung auf die Kreisky-Jahre ist übrigens die Spielvaria­nte eines Verspreche­ns, das in vielen Wahlkämpfe­n bis in die USA zu hören war und ist: Die gute alte Zeit muss wiederkehr­en!

Erlauben wir uns noch ein Gedankenex­periment: Werner Faymann und Reinhold Mitterlehn­er würden heute mit dem lange ersehnten Wirtschaft­saufschwun­g antreten. Würden sie reüssieren? Ersterer vermutlich kaum, der zweite ganz sicher nicht.

Im Ausland belächelt man das Land der Marathon-Wähler Europas. Heute sollten wir beweisen, dass es auch mit einem Wahlgang geht. Zweitens froh sein, dass wir wählen dürfen und drittens eine echte Wahl haben. Also nicht am Montag automatisc­h mit einer großen Koalition wieder aufwachen. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass die Legislatur­periode wieder auf vier Jahre verkürzt werden muss.

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