Die Presse am Sonntag

Der sture Überlebens­künstler aus Galizien

Hinter seiner ruhigen Fassade ist Spaniens Premier Mariano Rajoy ein hartnäckig­er Kämpfer: Er sitzt Krisen aus, bis er sie gewinnt. Ein Porträt.

- VON SUSANNA BASTAROLI

Ein wenig abwesend wirkte Mariano Rajoy, als er vergangene Woche sein Ultimatum an das rebellisch­e Barcelona stellte. Kurz blickte der spanische Premier in die Luft, blätterte in seinen Papieren herum. Dann sprach er ruhig und wie immer sehr langsam. „Wir wollen jetzt deutliche Antworten“, sagte er schließlic­h. Und mit wenigen Worten spielte er geschickt den Ball wieder dem separa- tistischen katalanisc­hen Regionalch­ef Carles Puigdemont zu. Dieser muss bis zur nächsten Woche klarstelle­n, ob er die Unabhängig­keit will oder nicht. Dass notfalls ein Ende der Autonomie Katalonien­s droht, sagte Spaniens konservati­ver Regierungs­chef nicht direkt. Aber er deutete es unmissvers­tändlich an, indem er im gewohnt trockenen Beamtenton auf den Verfassung­s-Notstandsa­rtikel 155 hinwies.

Es war ein typischer Auftritt des „Galliego“, des Galiziers, wie Rajoy wegen seiner nordspanis­chen Herkunft genannt wird: Der 62-Jährige spielt auf Zeit, wie schon so oft in seiner Karriere. Als undurchsch­aubar, verschloss­en und stur gelten die Einwohner der windigen, rauen und traditione­ll erzkonserv­ativen Fischerpro­vinz am Atlantik: „Wenn man einen Galizier auf einer Treppe antrifft, kann man nie sagen, ob er hinaufoder hinunterst­eigt“, witzelt man in Spanien. Rajoy hat geschickt diese Klischees über Galizier in politische Taktik umgewandel­t. Nebulöse Verschwieg­enheit bei gleichzeit­iger Unflexibil­ität zeichnen seinen Führungsst­il aus. Damit will er jetzt auch die explosive Katalonien-Krise lösen. Rajoy setzt beharrlich auf die zahlreiche­n Bruchlinie­n in der abtrünnige­n Region: Die wacklige sezessioni­stische Regierungs­koalition in Barcelona droht an den Spannungen der letzten Wochen zu zerbrechen, in der Gesellscha­ft wird die Kluft zwischen Unionisten und Separatist­en größer.

Eine Politik der Zermürbung verfolgt Rajoy gegenüber Katalonien übrigens schon seit Jahren: 2006 klagte er beim Verfassung­sgericht gegen ein reformiert­es Autonomies­tatut, später lehnte er den Dialog mit Barcelona ab. Emotionen zeigte der Premier dabei nie, er verwies ständig nur „auf das Gesetz“. Seine Gegner kritisiere­n, er strebe insgeheim eine Rezentrali­sierung Spaniens an. Nationalis­ten hingegen gehen die Maßnahmen nicht weit genug. Auch jetzt werfen sie Rajoy Passivität vor, fordern ein entschloss­eneres Vorgehen in Katalonien.

Der Regierungs­chef ist aber kein Freund voreiliger Schritte. „Man sagt den Galiziern nach, dass sie gern erst einmal abwarten. Das sagen sie auch über mich. Das heißt nicht, dass ich keine Entscheidu­ngen treffe“, betont er.

Die nächsten Wochen werden zeigen, ob Rajoys galizische­r Poker in Katalonien aufgeht. In der Vergangenh­eit jedenfalls überstand der Jurist dank seiner Hartnäckig­keit schon so manche Karrierekr­ise. So setzte der politische Ziehsohn von Ex-Premier Jose´ Mar´ıa Aznar während der Finanzkris­e Einsparung­en und strukturel­le Reformen durch, trotz des scharfen Gegenwinde­s der vielen arbeitslos­en, verarmten Spanier. Weder die Rebellion auf der Straße noch die wachsende Popularitä­t der linksrevol­utionären Podemos brachten den Chef der Volksparte­i vom Kurs ab. Dank Rajoys Reformen fand Spanien schließlic­h den Weg aus der Krise. Jesuiten-Schüler. Symptomati­sch für Rajoys fast unheimlich­e Fähigkeit zur Selbstkont­rolle war ein Vorfall im galizische­n Pontevedra im Jahr 2015: Rajoy besuchte gerade mit Parteifreu­nden die Innenstadt, als ein 17-Jähriger ihm ins Gesicht schlug. Der Premier reagierte kurz benommen, blitzschne­ll fasste er sich wieder: Ruhig hob er seine Brille auf und setzte einen Spaziergan­g fort. So, als ob nichts geschehen wäre.

Rajoys Begabung, auch nach den heftigsten Schlägen wieder auf die Beine zu kommen, erwies sich vor allem in den letzten Jahren als hilfreich: Als seine Volksparte­i in einem Sumpf von Korruption­sskandalen zu versinken drohte, wehrte Rajoy geschickt alle Vorwürfe ab, die sich auf seine eigene Person bezogen. Mit ähnlicher Beharrlich­keit trotzte er Rücktritts­forderunge­n aus seiner eigenen Partei, der Opposition

»Man sagt den Galiziern nach, dass sie immer gern erst einmal abwarten.«

und den Medien nach den Wahlen im Dezember 2015 und Juni 2016. Die Volksparte­i siegte damals entgegen aller Erwartunge­n knapp, doch mit dem unbeliebte­n Rajoy wollte niemand koalieren. Der Regierungs­chef blieb einfach solange auf seinem Sessel sitzen, bis er die nötige Unterstütz­ung für eine Minderheit­enregierun­g fand. Rajoy, wieder einmal von Beobachter­n politisch totgesagt, hatte sich erneut durchgeset­zt.

Viele Spanier rätseln, wer sich wirklich hinter diesem sturen, galizische­n Beamten versteckt. Der Jesuiten-Schüler wuchs in einer katholisch­en Familie aus Santiago de Compostela auf, Vater und Großvater waren Juristen. Disziplin und Selbstbehe­rrschung waren fixe Bestandtei­le der Erziehung. Der Premier gibt sich gern sachlich, mit Plaudereie­n über Privates tut er sich schwer: Meist erzählt er dann, dass er abends nicht gern ausgehe, in der Freizeit jogge („langsam“), Fahrrad fahre, Fußball spiele. Ehefrau und Söhne hält er vom Rampenlich­t fern. So war es eine Sensation, als Rajoy nach dem Wahlsieg 2016 Ehefrau Elvira Fernandez´ Balboa leidenscha­ftlich küsste: Soviel „Pasion“´ hatte man beim „Galliego“seit seinem Amtsantrit­t 2011 nicht erlebt.

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Reuters Spaniens Premier Mariano Rajoy setzt gern auf Zeit.

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