Der sture Überlebenskünstler aus Galizien
Hinter seiner ruhigen Fassade ist Spaniens Premier Mariano Rajoy ein hartnäckiger Kämpfer: Er sitzt Krisen aus, bis er sie gewinnt. Ein Porträt.
Ein wenig abwesend wirkte Mariano Rajoy, als er vergangene Woche sein Ultimatum an das rebellische Barcelona stellte. Kurz blickte der spanische Premier in die Luft, blätterte in seinen Papieren herum. Dann sprach er ruhig und wie immer sehr langsam. „Wir wollen jetzt deutliche Antworten“, sagte er schließlich. Und mit wenigen Worten spielte er geschickt den Ball wieder dem separa- tistischen katalanischen Regionalchef Carles Puigdemont zu. Dieser muss bis zur nächsten Woche klarstellen, ob er die Unabhängigkeit will oder nicht. Dass notfalls ein Ende der Autonomie Kataloniens droht, sagte Spaniens konservativer Regierungschef nicht direkt. Aber er deutete es unmissverständlich an, indem er im gewohnt trockenen Beamtenton auf den Verfassungs-Notstandsartikel 155 hinwies.
Es war ein typischer Auftritt des „Galliego“, des Galiziers, wie Rajoy wegen seiner nordspanischen Herkunft genannt wird: Der 62-Jährige spielt auf Zeit, wie schon so oft in seiner Karriere. Als undurchschaubar, verschlossen und stur gelten die Einwohner der windigen, rauen und traditionell erzkonservativen Fischerprovinz am Atlantik: „Wenn man einen Galizier auf einer Treppe antrifft, kann man nie sagen, ob er hinaufoder hinuntersteigt“, witzelt man in Spanien. Rajoy hat geschickt diese Klischees über Galizier in politische Taktik umgewandelt. Nebulöse Verschwiegenheit bei gleichzeitiger Unflexibilität zeichnen seinen Führungsstil aus. Damit will er jetzt auch die explosive Katalonien-Krise lösen. Rajoy setzt beharrlich auf die zahlreichen Bruchlinien in der abtrünnigen Region: Die wacklige sezessionistische Regierungskoalition in Barcelona droht an den Spannungen der letzten Wochen zu zerbrechen, in der Gesellschaft wird die Kluft zwischen Unionisten und Separatisten größer.
Eine Politik der Zermürbung verfolgt Rajoy gegenüber Katalonien übrigens schon seit Jahren: 2006 klagte er beim Verfassungsgericht gegen ein reformiertes Autonomiestatut, später lehnte er den Dialog mit Barcelona ab. Emotionen zeigte der Premier dabei nie, er verwies ständig nur „auf das Gesetz“. Seine Gegner kritisieren, er strebe insgeheim eine Rezentralisierung Spaniens an. Nationalisten hingegen gehen die Maßnahmen nicht weit genug. Auch jetzt werfen sie Rajoy Passivität vor, fordern ein entschlosseneres Vorgehen in Katalonien.
Der Regierungschef ist aber kein Freund voreiliger Schritte. „Man sagt den Galiziern nach, dass sie gern erst einmal abwarten. Das sagen sie auch über mich. Das heißt nicht, dass ich keine Entscheidungen treffe“, betont er.
Die nächsten Wochen werden zeigen, ob Rajoys galizischer Poker in Katalonien aufgeht. In der Vergangenheit jedenfalls überstand der Jurist dank seiner Hartnäckigkeit schon so manche Karrierekrise. So setzte der politische Ziehsohn von Ex-Premier Jose´ Mar´ıa Aznar während der Finanzkrise Einsparungen und strukturelle Reformen durch, trotz des scharfen Gegenwindes der vielen arbeitslosen, verarmten Spanier. Weder die Rebellion auf der Straße noch die wachsende Popularität der linksrevolutionären Podemos brachten den Chef der Volkspartei vom Kurs ab. Dank Rajoys Reformen fand Spanien schließlich den Weg aus der Krise. Jesuiten-Schüler. Symptomatisch für Rajoys fast unheimliche Fähigkeit zur Selbstkontrolle war ein Vorfall im galizischen Pontevedra im Jahr 2015: Rajoy besuchte gerade mit Parteifreunden die Innenstadt, als ein 17-Jähriger ihm ins Gesicht schlug. Der Premier reagierte kurz benommen, blitzschnell fasste er sich wieder: Ruhig hob er seine Brille auf und setzte einen Spaziergang fort. So, als ob nichts geschehen wäre.
Rajoys Begabung, auch nach den heftigsten Schlägen wieder auf die Beine zu kommen, erwies sich vor allem in den letzten Jahren als hilfreich: Als seine Volkspartei in einem Sumpf von Korruptionsskandalen zu versinken drohte, wehrte Rajoy geschickt alle Vorwürfe ab, die sich auf seine eigene Person bezogen. Mit ähnlicher Beharrlichkeit trotzte er Rücktrittsforderungen aus seiner eigenen Partei, der Opposition
»Man sagt den Galiziern nach, dass sie immer gern erst einmal abwarten.«
und den Medien nach den Wahlen im Dezember 2015 und Juni 2016. Die Volkspartei siegte damals entgegen aller Erwartungen knapp, doch mit dem unbeliebten Rajoy wollte niemand koalieren. Der Regierungschef blieb einfach solange auf seinem Sessel sitzen, bis er die nötige Unterstützung für eine Minderheitenregierung fand. Rajoy, wieder einmal von Beobachtern politisch totgesagt, hatte sich erneut durchgesetzt.
Viele Spanier rätseln, wer sich wirklich hinter diesem sturen, galizischen Beamten versteckt. Der Jesuiten-Schüler wuchs in einer katholischen Familie aus Santiago de Compostela auf, Vater und Großvater waren Juristen. Disziplin und Selbstbeherrschung waren fixe Bestandteile der Erziehung. Der Premier gibt sich gern sachlich, mit Plaudereien über Privates tut er sich schwer: Meist erzählt er dann, dass er abends nicht gern ausgehe, in der Freizeit jogge („langsam“), Fahrrad fahre, Fußball spiele. Ehefrau und Söhne hält er vom Rampenlicht fern. So war es eine Sensation, als Rajoy nach dem Wahlsieg 2016 Ehefrau Elvira Fernandez´ Balboa leidenschaftlich küsste: Soviel „Pasion“´ hatte man beim „Galliego“seit seinem Amtsantritt 2011 nicht erlebt.