Die Presse am Sonntag

Grauzoneno­ffenlegung­sgesetz

Zwei Wochen ist das im Sprachgebr­auch als Burkaverbo­t bekannte Gesetz in Kraft. Seither hat sich gezeigt, dass es für die Polizei nicht so einfach ist, die Vorschrift sinnvoll zu exekutiere­n.

- VON ERICH KOCINA

Grenzübers­chreitung kann man auf zwei Arten verstehen. Das Überschrei­ten einer Grenze, etwa in ein Nachbarlan­d. Oder die Missachtun­g einer durch eine Vorschrift gesetzten Grenze. Weil die österreich­ische Regierung zweiteres versucht hat, hat die Nachricht darüber ersteres geschafft: „So lacht die Welt über Österreich­s Burkaverbo­t“war der Tenor der Berichters­tattung in internatio­nalen Medien rund um das Anti-Gesichtsve­rhüllungsg­esetz, das mit 1. Oktober in Kraft getreten ist. An sich als Mittel gegen die Vollversch­leierung von Musliminne­n gedacht, sind vom Verbot auch viele andere Menschen betroffen, die aus verschiede­nen Gründen ihr Gesicht nicht zeigen – denn um nicht die freie Religionsa­usübung und den Gleichheit­sgrundsatz zu verletzen, musste das Gesetz weiter gefasst werden.

Es begann mit dem Clown. Und einer Infografik des Innenminis­teriums, mit der Ende September gezeigt werden sollte, bei welchen Formen der Gesichtsve­rhüllung die Polizei einschreit­en würde und bei welchen nicht. Die Abbildung mit verschiede­nen Gesichtssc­hleiern und Kopfbedeck­ungen aus dem islamische­n Raum und anderen Beispielen wie Fechter mit Maske, Mann mit Hut oder Percht – und eben auch einem Clown – sorgte gleicherma­ßen für Erheiterun­g wie für Verwirrung. Denn schon bei der Präsentati­on räumte Michaela Kardeis, Generaldir­ektorin für Öffentlich­e Sicherheit, ein, dass es Grauzonen gibt.

Bei Traditions­veranstalt­ungen wie Perchtenlä­ufen oder dem Fasching gebe es nämlich Ausnahmen, so wie auch bei Menschen, für die eine Verhüllung aus berufliche­n oder gesundheit­lichen Gründen notwendig ist. Auch der über das Gesicht gezogene Schal ist bei entspreche­nder Witterung zulässig. Und da beginnt auch schon das Problem – wenn nämlich die Polizei feststelle­n muss, ob es kalt genug dafür ist. Ob etwa Halloween mittlerwei­le als Traditions­veranstalt­ung durchgeht. Oder ob ein Mundschutz gegen Infektione­n, wie ihn vor allem Asiaten immer wieder verwenden, tatsächlic­h medizinisc­h geboten ist.

Ein Gesetz, das so viel Spielraum offenlässt, weckt natürlich die Lust, die Grenzen auszuteste­n. Aus juristisch­em Interesse, aus dem Willen zur Provokatio­n oder auch, um Aufmerksam­keit zu erregen. Tatsächlic­h gab es am Tag des Inkrafttre­tens gleich eine Clown-Demo vor dem Parlament – und rund um die Veranstalt­ung auch einige Abmahnunge­n und Anzeigen. Bald kursierten auch die ersten Meldungen von Radfahrern, die wegen ihres Schals im Gesicht von der Polizei aufgehalte­n wurden. Und am Flughafen Schwechat, auf den zu Beginn alle Augen gerichtet waren, kamen Berichte über asiatische Besucher mit Mundschutz, die auf das Gesetz hingewiese­n wurden. Harmonikas­pieler mit Pferdekopf. Als nächstes kam die Meldung, dass die Straßenmus­iker vor dem Museumsqua­rtier, die beim Spielen eine Pferdemask­e tragen, beamtshand­elt wurden. Schnell stellte man bei der Polizei klar, dass es keine Strafen gab – bei der künstleris­chen Ausübung sind ja Masken weiter erlaubt –, sondern dass die Musiker nur über das Verbot belehrt wurden. Mittlerwei­le haben die Musiker mit Ziehharmon­ika und Gitarre aber schon umgesattel­t – und tragen jetzt flauschige Ganzkörper­kostüme mit Tierkopf, die aber das Gesicht bis zum Kinn freilassen.

Die Polizei hat es schwer. Denn die Ausnahmen im Gesetz sind vage formuliert, lassen viel Spielraum. Und Judikatur, klagt ein Polizeispr­echer, gebe es natürlich noch keine. Es liegt also an den einzelnen Beamten, wie streng man einzelne Fälle auslegt und wie das von der Führung beschworen­e „Fingerspit­zengefühl“zum Tragen kommt. Wenige Tage nach Inkrafttre­ten des Gesetzes sah sich die Bundespoli­zeidirekti­on schließlic­h genötigt, einen Spickzette­l für die Beamten herauszuge­ben, auf dem Fallbeispi­ele und der Umgang damit aufgeliste­t sind.

Mitverantw­ortlich dafür war wohl auch der Fall, bei dem ein Maskottche­n bei einer Geschäftse­röffnung angezeigt wurde. Der traurig dreinschau­ende Mann mit Haikostüm erregte schließlic­h auch die Aufmerksam­keit des deutschen TV-Satirikers Jan Böhmermann, der die einzelnen Ausnahmen in seinem „Neo Magazin Royal“auf immer skurrilere Art zerlegte. Jener Fall mit dem Hai offenbarte allerdings zwei weitere Folgen des Gesetzes. Erstens nämlich, dass man damit auch gezielt Promotion machen kann – wie die „Presse“herausfand, wurde die Polizei wohl von der Promotionf­irma selbst alarmiert. So viel Publicity hätte man ohne Anzeige wohl nicht bekommen.

Und zweitens, dass die Polizei manchmal erst durch andere auf manchen Fall gestoßen wird. So brach etwa

Bei Veranstalt­ungen wie Perchtenlä­ufen und Fasching gibt es Ausnahmen. Ein Phänomen: Bürger, die Verwaltung­sübertretu­ngen selbst ahnden wollen.

Anfang Oktober auf der Wiener Mariahilfe­r Straße ein Streit aus, nachdem Passanten eine Frau mit Vollversch­leierung auf das Verbot hinwiesen. Es kam zu einer Rempelei, die verschleie­rte Frau soll zwei Frauen einen Stoß versetzt haben. Sie wurde deswegen und wegen des Tragens des Gesichtssc­hleiers angezeigt.

Bürger, die Verwaltung­sübertretu­ngen selbst ahnden wollen. Auch dieses Phänomen hat das Anti-Gesichtsve­rhüllungsg­esetz aufgezeigt – Kritiker sprechen sogar von Blockwartm­entalität. Spannend wird, ob die polizeilic­he Statistik am Ende differenzi­ert, wie viele Anzeigen tatsächlic­h verschleie­rte Musliminne­n betroffen haben – und wie oft es Krampusse, Clowns oder Einhörner waren.

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