Grauzonenoffenlegungsgesetz
Zwei Wochen ist das im Sprachgebrauch als Burkaverbot bekannte Gesetz in Kraft. Seither hat sich gezeigt, dass es für die Polizei nicht so einfach ist, die Vorschrift sinnvoll zu exekutieren.
Grenzüberschreitung kann man auf zwei Arten verstehen. Das Überschreiten einer Grenze, etwa in ein Nachbarland. Oder die Missachtung einer durch eine Vorschrift gesetzten Grenze. Weil die österreichische Regierung zweiteres versucht hat, hat die Nachricht darüber ersteres geschafft: „So lacht die Welt über Österreichs Burkaverbot“war der Tenor der Berichterstattung in internationalen Medien rund um das Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz, das mit 1. Oktober in Kraft getreten ist. An sich als Mittel gegen die Vollverschleierung von Musliminnen gedacht, sind vom Verbot auch viele andere Menschen betroffen, die aus verschiedenen Gründen ihr Gesicht nicht zeigen – denn um nicht die freie Religionsausübung und den Gleichheitsgrundsatz zu verletzen, musste das Gesetz weiter gefasst werden.
Es begann mit dem Clown. Und einer Infografik des Innenministeriums, mit der Ende September gezeigt werden sollte, bei welchen Formen der Gesichtsverhüllung die Polizei einschreiten würde und bei welchen nicht. Die Abbildung mit verschiedenen Gesichtsschleiern und Kopfbedeckungen aus dem islamischen Raum und anderen Beispielen wie Fechter mit Maske, Mann mit Hut oder Percht – und eben auch einem Clown – sorgte gleichermaßen für Erheiterung wie für Verwirrung. Denn schon bei der Präsentation räumte Michaela Kardeis, Generaldirektorin für Öffentliche Sicherheit, ein, dass es Grauzonen gibt.
Bei Traditionsveranstaltungen wie Perchtenläufen oder dem Fasching gebe es nämlich Ausnahmen, so wie auch bei Menschen, für die eine Verhüllung aus beruflichen oder gesundheitlichen Gründen notwendig ist. Auch der über das Gesicht gezogene Schal ist bei entsprechender Witterung zulässig. Und da beginnt auch schon das Problem – wenn nämlich die Polizei feststellen muss, ob es kalt genug dafür ist. Ob etwa Halloween mittlerweile als Traditionsveranstaltung durchgeht. Oder ob ein Mundschutz gegen Infektionen, wie ihn vor allem Asiaten immer wieder verwenden, tatsächlich medizinisch geboten ist.
Ein Gesetz, das so viel Spielraum offenlässt, weckt natürlich die Lust, die Grenzen auszutesten. Aus juristischem Interesse, aus dem Willen zur Provokation oder auch, um Aufmerksamkeit zu erregen. Tatsächlich gab es am Tag des Inkrafttretens gleich eine Clown-Demo vor dem Parlament – und rund um die Veranstaltung auch einige Abmahnungen und Anzeigen. Bald kursierten auch die ersten Meldungen von Radfahrern, die wegen ihres Schals im Gesicht von der Polizei aufgehalten wurden. Und am Flughafen Schwechat, auf den zu Beginn alle Augen gerichtet waren, kamen Berichte über asiatische Besucher mit Mundschutz, die auf das Gesetz hingewiesen wurden. Harmonikaspieler mit Pferdekopf. Als nächstes kam die Meldung, dass die Straßenmusiker vor dem Museumsquartier, die beim Spielen eine Pferdemaske tragen, beamtshandelt wurden. Schnell stellte man bei der Polizei klar, dass es keine Strafen gab – bei der künstlerischen Ausübung sind ja Masken weiter erlaubt –, sondern dass die Musiker nur über das Verbot belehrt wurden. Mittlerweile haben die Musiker mit Ziehharmonika und Gitarre aber schon umgesattelt – und tragen jetzt flauschige Ganzkörperkostüme mit Tierkopf, die aber das Gesicht bis zum Kinn freilassen.
Die Polizei hat es schwer. Denn die Ausnahmen im Gesetz sind vage formuliert, lassen viel Spielraum. Und Judikatur, klagt ein Polizeisprecher, gebe es natürlich noch keine. Es liegt also an den einzelnen Beamten, wie streng man einzelne Fälle auslegt und wie das von der Führung beschworene „Fingerspitzengefühl“zum Tragen kommt. Wenige Tage nach Inkrafttreten des Gesetzes sah sich die Bundespolizeidirektion schließlich genötigt, einen Spickzettel für die Beamten herauszugeben, auf dem Fallbeispiele und der Umgang damit aufgelistet sind.
Mitverantwortlich dafür war wohl auch der Fall, bei dem ein Maskottchen bei einer Geschäftseröffnung angezeigt wurde. Der traurig dreinschauende Mann mit Haikostüm erregte schließlich auch die Aufmerksamkeit des deutschen TV-Satirikers Jan Böhmermann, der die einzelnen Ausnahmen in seinem „Neo Magazin Royal“auf immer skurrilere Art zerlegte. Jener Fall mit dem Hai offenbarte allerdings zwei weitere Folgen des Gesetzes. Erstens nämlich, dass man damit auch gezielt Promotion machen kann – wie die „Presse“herausfand, wurde die Polizei wohl von der Promotionfirma selbst alarmiert. So viel Publicity hätte man ohne Anzeige wohl nicht bekommen.
Und zweitens, dass die Polizei manchmal erst durch andere auf manchen Fall gestoßen wird. So brach etwa
Bei Veranstaltungen wie Perchtenläufen und Fasching gibt es Ausnahmen. Ein Phänomen: Bürger, die Verwaltungsübertretungen selbst ahnden wollen.
Anfang Oktober auf der Wiener Mariahilfer Straße ein Streit aus, nachdem Passanten eine Frau mit Vollverschleierung auf das Verbot hinwiesen. Es kam zu einer Rempelei, die verschleierte Frau soll zwei Frauen einen Stoß versetzt haben. Sie wurde deswegen und wegen des Tragens des Gesichtsschleiers angezeigt.
Bürger, die Verwaltungsübertretungen selbst ahnden wollen. Auch dieses Phänomen hat das Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz aufgezeigt – Kritiker sprechen sogar von Blockwartmentalität. Spannend wird, ob die polizeiliche Statistik am Ende differenziert, wie viele Anzeigen tatsächlich verschleierte Musliminnen betroffen haben – und wie oft es Krampusse, Clowns oder Einhörner waren.