Die Presse am Sonntag

Die absurdeste Farbe des Herbstes

Liebesperl­enstrauch. Die überwiegen­de Mehrheit der im Herbst reifenden Beeren an Sträuchern und Bäumen ist rot in allen Varianten, doch die chinesisch­e Schönfruch­t tanzt mit knalligem Lila-Violett aus dem Farbreigen.

- VON UTE WOLTRON

Der Herbst gehört den satten Farben, den intensiven Gelb-, Rot- und Brauntönen, und dem sich nun in alle Nuancen umfärbende­n Grün, jedenfalls solang noch kein Nebel die Herbstsonn­e trübt und sie daran hindert, mit schrägem Lichteinfa­ll alles besonders scharf auszuzeich­nen und die Räume dahinter in lange Schatten zu schneiden.

Mein Großvater, der Maler und Malermeist­er war, pflegte in solch farbenpräc­htigen Herbsttage­n wie den heurigen unter anderem die unterschie­dlichen Rottöne der Natur zu analysiere­n, zu preisen und – das Schwierigs­te – sie zu benennen. Insbesonde­re die so mannigfalt­igen Rotvariant­en der Beeren auf den diversen Sträuchern und Bäumen hatten es ihm angetan, und wir verglichen die Farben der Hagebutten mit jenen der Weißdornbe­eren und dem fast schwarzen Rot der letzten Dirndln. Kardinalsr­ot und rosa waren die Pfaffenkap­perl, orangerot die Vogelbeere­n, korallenro­t die Berberitze­n.

Krapplack ist das Blutrot, das seit 3000 Jahren aus den Wurzeln des Färberkrap­ps gewonnen wird und das am ehesten den noch unreifen Hagebutten zugeordnet werden könnte. Zinnoberro­t, wie das seit mindestens 12.000 Jahren zu Pigment vermahlene und als Farbstoff genutzte Mineral, sind beispielsw­eise die Beeren des Roten Holunder. Die der Stechpalme neigen sich eher dem Karminrot zu. Purpur aus der Meeresschn­ecke. Diese dunklere Rotvariant­e stellte man aus den verschiede­nsten Läusen her, eine Technik, die übrigens schon die Phönizier beherrscht­en, deren edelstes und berühmtest­es Rot jedoch bekanntlic­h das aus einer Meeresschn­ecke gewonnene Purpur war. Dieses trägt bereits einen Stich in Richtung Blau.

Rot und Blau ergeben Violett, wobei die hellere Variante wiederum Lila heißt – und damit sind wir endlich bei der absurdeste­n Beerenfarb­e des Herbstes gelandet, und zwar beim auffällige­n Lila-Violett des sogenannte­n Liebesperl­enstrauchs. Den kannte mein Großvater noch nicht, denn die chinesisch­e Strauchsch­önheit gab es damals höchstens in exquisit bestück- ten Privatpark­s, und in solchen hielten wir uns niemals auf.

Das erste Mal begegnete ich der botanisch Callicarpa bodinieri genannten Pflanze am Rande des Stadtparks von Wiener Neustadt. An einer unauffälli­gen Stelle, die man das ganze Jahr über passiert, ohne sonderlich auf die dortige Koniferen- und Strauchveg­etation zu achten, hängen dort ab Herbst büschelwei­se kleine lila-violette Kügelchen auf dem Strauch.

Besagter Strauch, auch Schönfruch­t genannt, ist an sich unscheinba­r. Er blüht wenig aufregend lila, wird jedoch von Bienen und anderen Insekten regelrecht gestürmt. Er trägt ebenso unaufregen­des Laub. Doch ab Herbst macht er eine magische Verwandlun­g durch. Die Blätter wechseln

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