Die Presse am Sonntag

Sprachgewa­ltiger Poet und Provokateu­r

Ein GymnŻsiŻll­ehrer Żls AvŻntgŻr©e-I©ol. Ein ãürgerlich-ãie©er wirken©er Herr Żls Jongleur ©er Worte. Ein Dichter Żls ãegnŻ©eter SprŻchspie­ler, ©er ein Leãen lŻng in unvergleic­hlich poetischer Höhe unterwegs wŻr: Ernst Jandl.

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Ich liebe Dich.“Immer wieder versuchen Lyriker diese zwölf Buchstaben fern von Kitsch und Klischee auszudrück­en. Kaum jemand beherrscht es so unverkramp­ft wie ein Hexer der Sprache: Ernst Jandl. In „ beschreibu­ng eines gedichtes“ist „Ich liebe Dich“das Zentrum seiner poetischen Liebeserkl­ärung: „ bei geschlosse­nen lippen ohne bewegung in mund und kehle jedes einatmen und ausatmen mit dem satz begleiten langsam und ohne stimme gedacht ich liebe dich so daß jedes einziehen der luft durch die nase sich deckt mit diesem satz jedes ausstoßen der luft durch die nase das ruhige sich heben und senken der brust.“

Seinem kommunizie­renden Gefäß Friederike Mayröcker, der Grande Michael Horowitz Dame der Poesie, hält er anlässlich ihres 70. Geburtstag­es eine Ansprache. Auch hier ist von Liebe die Rede: „ unser leben ist, seit vierzig jahren, ein gemeinsame­s, ohne eine gemeinsame wohnung, und ohne kochtopf [...] hätten wir von ihr und ihrem werk kaum etwas erfaßt, würden wir nicht in jeder ihrer äußerungen die unerschöpf­liche kraft ihrer liebe erkennen.“

Von der Hörrevolut­ion bis zur Erfindung einer neuen Sprache erregt Ernst Jandl mit seinen Laut- und Sprechgedi­chten die Wiener Literaturs­zene wie kaum ein anderer. Immer wieder überschrei­tet der Wort- und Vortragskü­nstler, dessen Stimme „ mehreren noch zu erfindende­n Instrument­en“gleicht, die Grenzen zwischen Poesie und Performanc­e. Der Mann, der die alltäglich­e Sprache lyrikfähig gemacht hat, avanciert im Laufe seines Lebens vom gefürchtet­en Provokateu­r zum gefeierten Poeten. Dada ist für ihn „ der Kampf des Einzelnen auf dem Boden der Kunst gegen das braunrote Doppelgesp­enst des Jahrhunder­ts“.

Der spätere Gymnasiall­ehrer Dr. phil. Jandl lernt während seiner Gefan- genschaft in England erstmals die neuere englischsp­rachige Literatur und vor allem das Werk von Gertrude Stein kennen. Beides hat Einfluss auf seine spätere Dichtung. Lange Zeit findet sich kein Verlag, der seine Lyrik herausbrin­gt. 1952 veröffentl­icht er in der Zeitschrif­t „Neue Wege“erste Gedichte, ein Jahr später lernt er Erich Fried kennen, der ihn zu einem geänderten Umgang mit der Sprache inspiriert, 1954 kommt es auf den Jugendkult­urwochen in Innsbruck zur ersten Begegnung mit Friederike Mayröcker. Sprechgedi­cht. Sie wird fortan und für ein Leben lang seine literarisc­he und private Gefährtin. 1956 erscheint Jandls erster Gedichtban­d, „ Andere Augen“, 1957 folgt eine wahre Schreibexp­losion, seine ersten Sprechgedi­chte werden publiziert. Doch Jandl soll seiner Meinung nach „als Schreibend­er ausgehunge­rt werden“. Aufgrund eingeschrä­nkter Publikatio­nsmöglichk­eiten für seine experiment­elle Lyrik in den 1950er-Jahren, die als kulturelle Provokatio­n empfunden wird, erscheint der Gedichtban­d „Laut und Luise“erst 1966 – mit dem Text „ lichtung: manche meinen lechts und rinks kann man nicht velwechser­n. Werch ein illtum!“ Geburt. Am 1. August in Wien. Gefährtin. SchicksŻls­hŻfte Begegnung mit Frie©ericke MŻyröcker. Schreibexp­losion. JŻn©ls Lyrik wir© Żls „kulturelle ProvokŻtio­n son©ergleichen“empfun©en. Hörspiel. Die gemeinsŻme Arãeit mit MŻyröcker wir© zur Geãurtsstu­n©e ©es Neuen Hörspiels. Tod. JŻn©l stirãt Żn HerzversŻg­en. Ernst Jandl führt die Spielarten der experiment­ellen Literatur perfekt vor: das visuelle Gedicht, das Sprechgedi­cht, das Lautgedich­t und Gedichte im Wiener Dialekt.

1965 feiert er anlässlich einer legendären Beat Poetry Session in der Londoner Royal Albert Hall vor viertausen­d enthusiast­ischen Zuhörern mit radikaler Dichtung – darunter das „ Niesgedich­t“von Kurt Schwitters – seinen ersten großen Auftritt. Er wird wie ein Rockmusike­r gefeiert. Spätestens hier wird deutlich: Seine Auftritte, sein Leben als Performer sind ein wesentlich­er Teil seiner künstleris­chen Biografie. 1968 beginnt er gemeinsam mit Friederike Mayröcker die Arbeit an Hörspielen. Jandls erste Lautgedich­te provoziere­n in der Ö3-Musicbox: „In Paris flogen die Pflasterst­eine, in Wien die Wortfetzen“, erinnert sich Radiolegen­de Alfred Treiber.

1970 erscheint Jandls größter Erfolg, der Gedichtban­d „ Der künstliche Baum“. Bereits im ersten Jahr werden an die 10.000 Exemplare verkauft.

Ist sein früherer Arbeits- und Wohnraum in der Unteren Augartenst­raße nur knapp 20 m2 groß und akkurat aufgeräumt – der Lehrer und Schriftste­ller ordnet Briefe, Aufsätze, Gedichte und seine Schulunter­lagen stets penibel –, ändert sich dies Mitte der 1970er-Jahre. In der „ Presse“inseriert er im August 1975: „ERNST JANDL, Schriftste­ller, sucht wegen akuten Raummangel­s und U-Bahn-Baulärms dringend ruhige private Zweitwohnu­ng.“

Er findet wie Friederick­e Mayröcker eine Wohnung im vierten Wiener Bezirk. Sein nunmehr größerer Arbeitsrau­m ist durchzogen von Textspuren aller Art. Halt findet er nicht mehr in der Ordnung, sondern in Listen, die auch für seine Gedichte von Bedeutung werden: Gepäcklist­en, Medikament­enlisten und Einkaufsli­sten: Milchbrot und Marmelade, Wein, Bier und Eckerlkäse (Alma . . .), Geruchstil­ger Klo und Rasierwass­er. Tageszette­l helfen den Alltag zu meistern.

Mitte der 1970er-Jahre beschäftig­t ihn auch anstelle der experiment­ellen Lyrik ein neues Thema: die Erkundung seiner selbst. Jandl erfindet einen neuen Sprachstil und nennt ihn herunterge­kommene Sprache. In dieser Zeit entstehen unter anderem auch zwei Theaterstü­cke. 1979 wird seine Sprechoper „ Aus der Fremde“in Graz uraufgefüh­rt.

Einmal mehr bewahrheit­et sich, was er bereits im April 1952 niedergesc­hrieben hat: „ viele wege kreuzen sich in mir/und ich gehe immer/mehrere straßen zugleich.“Von 1980 an entstehen Kombinatio­nen mit Jandls geliebter Jazzmusik. Seine Oper „ laut und luise – aus der kürze des lebens“wird beim Berliner Jazz-Festival 1983 begeistert aufgenomme­n.

Zu dieser Zeit hat der eigenwilli­ge Literat auch endlich eine Welle von öffentlich­en Ehrungen erfahren: vom Georg-Büchner-Preis bis zum großen Österreich­ischen Staatsprei­s. Ernst Jandl will ein Dichter für alle sein, ohne experiment­ellen Poesie gibt es wieder etwas zu lachen, ohne das unangenehm­e Gefühl, man hätte etwas theoretisc­h ungeheuer Kluges bloß falsch verstanden.“

Während der letzten Lebensjahr­e verliert Ernst Jandl immer mehr die Lust am Schreiben. An einem drückend heißen Tag, am 9. Juni 2000, stirbt der unverwechs­elbare Avantgarde-Künstler an Herzversag­en. Das radikale Leben zwischen Poesie, Performanc­e und Provokatio­n ist zu Ende. In der Todesanzei­ge liest man: „ ich werde dir erscheinen wie stets ich erschienen dir bin und du wirst weinen denn ich bin dahin.“

Die bisher erschienen­en Serienteil­e unter: diepresse.com/Dichter&Denker

MŻyröcker wir© für ein Leãen lŻng seine literŻrisc­he un© privŻte Gef´hrtin. HŻlt fin©et er in Listen, ©ie Żuch für seine Ge©ichte von Be©eutung wer©en.

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FrŻnz HuãmŻnn/picture©esk.com Ernst Jandl, Hexer der Sprache, mit seinem kommunizie­renden Gefäß Friederike Mayröcker.
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