Wo uns der Staat keine Wahl lässt
6,4 Millionen Österreicher sind heute wahlberechtigt. Eine Stimme ist 32,60 Euro wert. Immer öfter stellt uns der Staat aber nicht mehr vor die Wahl. Eine selektive Auswahl.
Österreich wählt heute also einen neuen Nationalrat. 6.399.054 Menschen sind wahlberechtigt. Bei der vergangenen NR-Wahl im Jahr 2013 machte jeder Vierte von diesem Recht keinen Gebrauch. Die Wahlbeteiligung lag bei 74,91 Prozent. 4,8 von insgesamt 8,8 Millionen Menschen in diesem Land gaben ihre Stimme ab.
Aber immerhin haben sie die Wahl. Denn in vielen Bereichen des alltäglichen Lebens lässt ihnen der Staat keine Alternativen mehr. Er sagt ihnen, wo und ob sie rauchen dürfen, wie sie sich wo zu kleiden haben, im Tiroler Tourismusort Ischgl ist mittlerweile sogar verboten, abends mit Skischuhen auf die Straße zu gehen. Und viele Menschen begrüßen es, dass nicht jeder nach seiner Fasson leben kann. In einer Welt, die immer undurchsichtiger und unvorhersehbarer scheint, ist die Sehnsucht groß, keine Wahl zu haben. Immer öfter verzichten wir freiwillig auf unsere Wahlfreiheit. Oft dann, wenn wir damit Minderheiten zur Raison bringen können.
Minderheiten, die etwa ihre Geschäfte auch am Sonntag aufsperren möchten. Minderheiten, die gerne auch außerhalb der gesetzlichen Ladenöffnungszeiten durch Einkaufsstraßen flanieren möchten, statt auf Amazon surfen zu müssen.
Während etwa in einem so sozial fortschrittlichen Land wie Schweden seit dem Jahr 1972 Läden (mit Ausnahme von Alkoholläden) täglich zwischen sechs und 24 Uhr offenhalten dürfen, gibt es in Österreich nach wie vor ein klares Nein zur allgemeinen Sonntagsöffnung. Man ist vom Staat, konkret vom Willen des Landesfürsten, abhängig. Nicht einmal Unternehmer selbst dürfen entscheiden, wann und wie lange sie − natürlich ganz ohne ihre Mitarbeiter zu behelligen − ihr Geschäft betreiben.
Im Gegenzug dürfen sich Unternehmer auch nicht aussuchen, wer ihre Interessen vertritt. Das gilt allerdings für Arbeitnehmer genauso wie für Ärzte, Anwälte, Apotheker und viele mehr. Insgesamt 14 Kammern hat das Land und allesamt werden sie durch Mitgliedsbeiträge finanziert, die ihre Mitglieder zahlen müssen, ob sie wollen oder nicht.
Eine Zwangsmitgliedschaft gibt es aber nicht nur bei den Kammern, sie finanziert de facto auch den ORF. Die Rundfunkgebühr ist bekanntlich nicht nur zu entrichten, wenn man das Programm des staatlichen Rundfunks konsumiert, sie fällt bereits an, wenn man theoretisch in der Lage ist, ORF zu empfangen. Und wer eine Kapitalgesellschaft hat, muss seine Bilanz einmal pro Jahr entgeltlich in der „Wiener Zeitung“veröffentlichen. 209 Millionen Euro Parteienförderung. Während der Bürger immer seltener gefragt wird, gewinnt seine Stimme jährlich an Wert. Weil sich die Parteien Jahr für Jahr mehr Förderungen gewähren. Sie erhalten heuer 209 Millionen Euro. Das sind exakt 32,60 Euro für jeden Stimmbürger. Was heißt das exakt? So ganz genau weiß man es nicht. Denn die 209 Millionen setzen sich zusammen aus 142,4 Millionen Parteienförderung, 48,1 Millionen für die Parlaments- und Landtagsklubs und 12,5 Millionen für die politischen Akademien. Doch in manchen Bundesländern, etwa in Oberösterreich und in der Steiermark, gibt es auch noch Förderungen auf Gemeindeebene. Die sind in dieser Rechnung nicht enthalten.
Während also bei der Parteienförderung auf Gemeindeebene immer noch eine kleine Wahlfreiheit besteht, herrscht bei der Schulwahl für unsere Kinder nach wie vor staatliches Regiment. Zwar wurde die strenge Einteilung der Schüler nach Schulsprengeln in einigen Ländern gelockert – in Wien sogar aufgehoben. Dennoch sind Eltern in vielen Gemeinden auf das Wohlwollen zweier Bürgermeister und zweier Schuldirektoren angewiesen. Sie benötigen nämlich alle vier Unterschriften, damit ihr Kind jene Ausbildung erfährt, die den Eltern ein Anliegen ist. Und nicht selten steht für die staatlichen Stellen weniger das Wohl des Kindes im Vordergrund als vielmehr das Wohl des Schulerhalters. Taxi-Oligopol vs. Uber. Geht es um die Interessensabwägung zwischen dem Wohl von Institutionen und jenem der Bürger, geht die Wahl sehr oft zugunsten der Institutionen aus. In Wien wird etwa nicht darüber diskutiert, dass es ein De-facto-Taxi-Oligopol gibt, das aus zwei große Funktaxiunternehmen besteht und seit Jahren die Marktpreise diktiert. Vielmehr hagelt es einstweilige Verfügungen gegen den Fahrtendienst Uber, weil dieser gegen die Gewerbeordnung verstößt. Es geht also nicht darum, dass Uber-Fahrer weniger Steuern zahlen oder schlechtere Autos fahren. Sie verstoßen gegen eine Gewerbeordnung, die in erster Linie darauf abzielt, das bestehende Geschäfts-
Im sozial fortschrittlichen Schweden dürfen Geschäfte täglich von 6 bis 24 Uhr öffnen. Bei der Schulwahl geht es oft nicht ums Kind, sondern um das Wohl des Schulerhalters.
modell zu zementieren − und die Wahlfreiheit der Konsumenten so weit wie nur möglich einzuschränken. 16 Parteien treten an. Während also im Alltag die Wahlfreiheit vielerorts abnimmt − oder gar nicht erwünscht ist, haben die Wählerinnen und Wähler bei der heutigen Nationalratswahl eine Auswahl wie nie zuvor. 16 Parteien haben es auf den Stimmzettel geschafft, zehn Gruppierungen sind sogar bundesweit zur Wahl zugelassen. Die größte Auswahl haben die Vorarlberger und Wiener mit jeweils dreizehn Listen.
Dennoch: „Wahlen allein machen noch keine Demokratie“, pflegte der frühere US-Präsident Barack Obama zu sagen.