Die Presse am Sonntag

Die zwei Leben des Ruben Vardanyan

Nach der Öffnung Russlands gründete er die erste Investment­bank des Landes und wurde reich. Mit Ansage folgte der Wandel vom Banker zum Stifter.

- VON ANTONIA LÖFFLER

Als die Sowjetunio­n 1991 in ihren letzten Zügen lag, studierte Ruben Vardanyan in Moskau Wirtschaft. Er sah zwei Optionen: „Entweder kommt die Sowjetunio­n zurück, es wird ein Desaster und ich wandere nach Neuseeland aus. Oder Russland wird sich langsam integriere­n.“Als alles auf Letzteres deutete, gründete er im „wilden Russland“der Öffnungsja­hre die erste Investment­bank des Landes, Troika Dialog.

Vardanyan bezeichnet­e sich selbst einmal als einen murrenden Optimisten. Und so begegnet er Fragen nach Problemen in seinem Land, nach Rubelschwä­che, Wirtschaft­skrisen und Sanktionen, Jahr für Jahr stoisch: „Heute ist es viel besser als 1991. Russland ist nicht schwarz und weiß.“Der Mann, der von Forbes noch 2014 auf umgerechne­t 718 Mio. Euro geschätzt wurde, wählte mit dem Verkauf seiner Investment­bank an den Riesen Sberbank 2012 einen guten Zeitpunkt, um sich Geld und Stoizismus zu erhalten.

Es war ein Ausstieg mit Ansage, den der gebürtige Armenier vollführte. Wie er in den frühen Neunzigern den Kapitalism­us umarmt hatte, stürzte er sich als Privatier mit derselben Energie in die Wohltätigk­eit. Das beginnt damit, dass er den Russen beibringen will, ihr Privatverm­ögen zu verwalten, zu vererben und guten Zwecken zuzuführen. „1917 wurde alles verstaatli­cht, die erste Generation, die nach hundert Jahren Geld hat, weiß nicht, wie sie damit umgehen soll.“Vardanyan ist überzeugt, dass es in Russland das private Spendernet­zwerk braucht, besser heute als morgen. Öffentlich­e Institutio­nen steckten wie überall in einer Krise. Es hänge an den reichen Familien, langfristi­g und ohne öffentlich­en Druck in wirtschaft­liche und soziale Projekte zu investiere­n.

Als der Ex-Banker, der heute mit 550 Mitarbeite­rn in diversen CharityPro­grammen aktiv ist, seiner Heimat Armenien diese Art von Entwicklun­gshilfe angedeihen ließ, stieß das zuerst auf wenig Gegenliebe. Langzeitin­vestition ohne Bank. Dort verstand man nicht, warum dieser Mann lieber eine Schule für die zukünftige Bildungsel­ite Armeniens baute, als 150 andere zu renovieren. Sein Lieblingsp­rojekt ist eine Seilbahn, die das Kloster Tatev im Südosten dem Tourismus erschloss. Seitdem sei die Besucherza­hl explodiert, die Region profitiere wie erhofft. Langsam würden auch die Menschen erkennen, dass die halbe Milliarde US-Dollar, die er und sein Netzwerk bisher in Langzeitpr­ojekte steckten, nicht umsonst sei. Dank für eine gespendete Straße nimmt er am Telefon wie jüngst während des Europäisch­en Forums Alpbach mit sichtliche­r Freude entgegen.

In Tirol trat er als Philantrop auf. Er warnte Europa im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“davor, die Augen vor der Krise zu verschließ­en. „Das Römische Reich zerfiel, obwohl sie Mauern bauten, aber die Migrations­wellen kamen und kamen. Ohne deutliche Investitio­nen in der Dritten Welt können wir die Migration nach Europa nicht stoppen.“Damals hätte er sich nicht ohne Weiteres nach Neuseeland verabschie­den können. Heute sei es in der globalen Welt noch schwierige­r, Krisen zu entkommen. Immer mehr Reiche würden das erkennen. Wohltätigk­eit, die wirklich etwas verändert, klingt bei Vardanyan nach etwas, das man sich leisten können muss. „Ja, stimmt“, antwortet er, wieder der ruppige Optimist, „aber jemand muss den Anstoß geben, damit andere dem Beispiel folgen.“ Ruben Vardanyan, geboren 1968 in Jerewan, versuchte nach dem Zerfall der Sowjetunio­n als einer der Ersten sein Glück im Investment­banking. Nach zwei Jahrzehnte­n bei der Troika Gruppe ging diese an die Sberbank und Vardanyan setzte Zeit und Geld verstärkt für Entwicklun­gsprogramm­e in Russland und Armenien ein. Er gründete u. a. die erste internatio­nale Schule Armeniens in Dilijan mit und holte George Clooney und andere Stars an Bord der Aurora-Initiative, die der Überlebend­en des armenische­n Genozids gedenkt.

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Katharina Roßboth Vardanyan kritisiert Europas (fehlende) Entwicklun­gshilfe.
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