Die Presse am Sonntag

Geteiltes Leid ist doppeltes Leid

Affinity Konar wagt sich in ihrem Roman »Mischling« an ein Thema, über das man nichts lesen will: die Zwillingse­xperimente des Josef Mengele. Das Ergebnis ist beeindruck­end.

- VON DORIS KRAUS

Affinity Konar war 16, als ihr das Buch „Children of the Flames“von Lucette Lagnado und Sheila Cohn Dekel in die Hände fiel. Das Sachbuch über die Zwillingse­xperimente, die der NS-„Todesengel“Josef Mengele im Konzentrat­ionslager Auschwitz durchgefüh­rt hatte, ließ die polnischst­ämmige Amerikaner­in nicht mehr los. Zehn Jahre lang dachte sie immer wieder darüber nach, wie – und ob – man sich einem solchen Thema annähern könnte. Weitere zehn Jahre arbeitete sie an ihrem Roman. „Mischling“heißt das Ergebnis, und es ist beeindruck­end.

Perle und Stasia (13) werden im September 1944 mit ihrer Mutter und ihrem Großvater nach Auschwitz deportiert. An der Rampe erregen sie die Aufmerksam­keit von Josef Mengele. Jüdisch sind sie, blond und eineiig. Genug, um sie zu interessan­ten Objekten für „Onkel“zu machen, wie die Kinder in „Mengeles Zoo“den Todesengel nennen. Was für ein Glück, angesichts der Zustände in Auschwitz, denken sie. Im Grauen des Lagers seien sie die Privilegie­rten, „die Konzertflü­gel, die Nerzmäntel, der Kaviar“.

Bald allerdings müssen die Mädchen erkennen, dass sie nichts anderes als die Spielbälle einer besonders kranken Fantasie sind, deren Grausamkei­t nicht nur dem Körper, sondern auch der Seele ihrer Versuchsob­jekte gilt. Mengeles Ziel war es, das perfekte arische Kind zu erschaffen. Zwillinge, vor allem eineiige, schienen ihm dafür bestens geeignet, konnte man doch an identische­n Objekten ausprobier­en, was den einen stark machte und den anderen (gleich) umbrachte. Stasia kämpft, Perle träumt. Stasia ist es, die als Erste Mengeles Aufmerksam­keit erregt. War sie im „normalen Leben“die Unbeholfen­e der beiden Mädchen, die Tollpatsch­ige, die Vorlaute, bricht im Lager ihre Kämpfernat­ur durch. Perle, die Sanfte, die Kunstsinni­ge, die Liebenswür­dige, wird vom „Onkel Doktor“hingegen schnell als „der schwache Zwilling“eingestuft.

Für die Kinder beginnt eine unaussprec­hliche Zeit. Denn das starke Band, das sie seit ihrer Geburt verbindet, belegt sie in Auschwitz mit einem speziellen Fluch. Die Fähigkeit, zu wis-

 ?? Gabriela Michanie ?? Affinity Konar kämpfte zehn Jahre um den richtigen Ton für »Mischling«.
Gabriela Michanie Affinity Konar kämpfte zehn Jahre um den richtigen Ton für »Mischling«.

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