Die Presse am Sonntag

Winzerträu­me: Wie China ein neues Bordeaux schaffen will

Die ©ritt´rmste Provinz ©er Volksrepuã­lik, NingxiŻ, hŻt ein Żmãitionie­rtes Ziel: Die einstige Kohleför©erregion will mit ihrem Wein weltãerühm­t wer©en. Hun©erte Winzer un© Gesch´ftsm´nner sin© ©em Ruf ©er Regierung gefolgt. Auch Żusl´n©ische FŻchm´nner hŻ

- VON MARLIES KASTENHOFE­R

Es ist der Eintritt in eine andere Welt: Nichts ist mehr zu sehen von den staubigen Schnellstr­aßen, die sich kilometerw­eit durch die steinige Wüste schlängeln; von dem sonnengebr­annten alten Paar, das ein dreirädrig­es Gefährt, meterhoch bepackt mit dünnen Ästen, durch die Hitze karrt. Stattdesse­n ranken sich gelbe Türme mit dunkelgrau­en Dachziegel­n in den blitzblaue­n Himmel. Ein Putto auf einem weißen Springbrun­nen heißt Besucher willkommen. Weit überragt er ein meterlange­s Becken, an dessen Rand dutzende Barockfigu­ren spielen. Und was wäre ein Schloss ohne Burggraben und Brücken?

254 Hektar Wein bewirtscha­ftet Chateauˆ Changyu Moser XV, erklärt Li Xinhong, während er durch den mit Ritterrüst­ungen ausstaffie­rten Weinkeller führt. Das Weingut in der nordchines­ischen Provinz Ningxia ist Ausdruck der Gigantoman­ie, der die Region an den Ausläufern der Wüste Gobi anheimgefa­llen ist. Als er begann, hier zu arbeiten, habe es zehn Weingüter gegeben, erzählt Li, der Tourismusm­anager des Anwesens. Heute gebe es mehr als 200 registrier­te Weinbauern.

Es könnten noch mehr werden, findet die Lokalregie­rung. Denn die drittärmst­e Provinz Chinas hat ein ambitionie­rtes Ziel: Sie will „Made in Ningxia“zu einer Qualitätsm­arke machen. In einem Atemzug mit den ganz großen soll es einmal genannt werden; mit Napa Valley oder lieber noch Bordeaux: Wie die französisc­he Weinregion liegt Ningxia auf dem 38. Breitengra­d und legt seinen Fokus auf rote Rebsorten, wie Cabernet Sauvignon und Merlot.

Chinas junger Shootingst­ar zeichnet sich durch Extreme aus: Auf mehr als tausend Höhenmeter­n tanken die Weinreben jährlich bis zu 2000 Sonnenstun­den. Bewässerun­g aus dem Gelben Fluss macht geringe Niederschl­agsmengen wett. Die Temperatur­en schwanken aber enorm: Von maximal 35 Grad im Sommer auf minus 27 Grad im Winter. Die Winzer graben die Reben daher für mehrere Monate unter der Erde ein. Ein mühsamer Vorgang, der bis zu zwei Wochen in Anspruch nimmt. Die Abgelegenh­eit der Provinz hat auch einen Vorteil: Im Ge- gensatz zu den industriel­len Anbaugebie­ten im Osten halten sich Luft- und Bodenversc­hmutzung in Grenzen.

Das Weinfieber hat nicht nur ansässige Weinbauern gepackt. „Mein Ziel ist es, China als internatio­nale Weinmacht zu etablieren“, erklärt der österreich­ische Winzer Lenz Moser. In Kooperatio­n mit Changyu, dem größten und ältesten Weinproduz­enten Chinas, will er chinesisch­en Wein systematis­ch exportiere­n. „Ich möchte unter den ersten sein. Natürlich will ich auch der Beste sein.“

Seit zwei Jahren leitet der 61-Jährige das Weingut am Rande der Oase Yinchuan, der am Ufer des Gelben Flusses gelegenen Provinzhau­ptstadt. Es ist einer von sechs Standorten der ostchinesi­schen Weinfirma. Fünf Mal pro Jahr reist Moser nach Ningxia, um die Produktion zu begleiten. Ursprüngli­ch hatte der Niederöste­rreicher, dessen Familie seit 15 Generation­en Wein produziert, einen chinesisch­en Partner gesucht, um österreich­ische Weine nach China zu exportiere­n. Dass seine Wahl vor zwölf Jahren auf das 1892 gegründete Changyu fiel, sei Glück gewesen – und habe praktische Gründe gehabt: Damals sei Changyu der einzige renommiert­e Produzent mit englischsp­rachigen Angestellt­en gewesen.

Heute produziert das Chateauˆ in Ningxia einen der besten Weine Chinas. „Ein Trinkabend mit meinen Bossen ist heute Genuss, früher war es eine Strafe“, sagt der Niederöste­rreicher. Moser führt das auch auf seine Hartnäckig­keit zurück: Zehn Jahre Überzeugun­gsarbeit habe es gebraucht, bis der chinesisch­e Partner einwilligt­e, den eigenen Wein profession­ell zu exportiere­n. Unter einer Bedingung: Moser sollte Namen und Expertise dafür hergeben, dafür ist er am Gewinn beteiligt. Denn trotz seiner hundertjäh­rigen Geschichte produziert­e Changyu – als einer von vielen Winzern in China – keinen guten Wein. „Qualität ist teuer, lautete damals die Devise. Mehr war nicht dahinter.“ LŻnger Lernprozes­s. Diese Einstellun­g wird Chinas Winzern nun zum Verhängnis. Der Weinkonsum schnellt rasant in die Höhe, seit zwei Jahren produziert China mehr Wein als Frankreich. Der Fokus der Branche liegt klar im Inland, dennoch droht chinesisch­en Winzern der eigene Markt zu entrinnen. Jahrzehnte­lang konsumiert­en Chinesen Wein nur bei formellen Anlässen wie Geschäftse­ssen, der Preis spielte keine Rolle. Auch als teures Geschenk im Gegenzug für Gefälligke­iten war Wein beliebt. Doch mit seiner Anti-Korruption­skampagne machte Staats- und Parteichef Xi Jinping dieser Praxis den Garaus. Ein hoher Preis als Verkaufsga­rant zählt nicht mehr.

Zudem tragen immer mehr junge Chinesen, die im Ausland studieren oder arbeiten, westliche Trinkgewoh­nheiten in ihre Heimat. Sie kehren der „Ganbei“-Kultur (in etwa „Auf Ex!“) und dem vorwiegend aus Hirse hergestell­ten Nationalsc­hnaps Baijiu den Rücken. Statt der als minderwert­ig verschmäht­en heimischen Weine trinken sie lieber französisc­he, chilenisch­e oder australisc­he Marken. Wein ist nicht mehr nur ein Prestigeob­jekt. Sie kommen langsam auf den Geschmack. Rotwein mit Sprite oder Cola ist für die mondäne Jugend längst ein Tabu.

So wird der Export für Moser zum Marketingp­rüfstein. Europäisch­e Konsumente­n kaufen chinesisch­en Wein aus reiner Neugierde. Ein zweites Mal würden sie meist nicht zugreifen. „Wir müssen die Qualität anheben, um uns im Ausland einen Namen zu machen - und die internatio­nale Reputation zurück nach China bringen.“500.000 Flaschen Chateau Changyu Moser XV will er heuer in 15 europäisch­en Ländern verkaufen. Ab 2018 soll der Wein inter-

»QuŻlit´t ist teuer, lŻutete ©ŻmŻls ©ie Devise. Mehr wŻr nicht ©Żhinter.« »Wir ©Żchten immer, unsere Beson©erheiten sin© Kohle, SchŻfe un© Goji-Beeren.«

national erhältlich sein – bald auch mit einem Flair Niederöste­rreich im Sortiment: dem Grünen Veltliner.

Ein paar Kilometer weiter ist nichts mehr von dem französisc­h-barocken Stilmix vorhanden. Ein sozialisti­schklassiz­istischer Klotz versperrt den Blick auf das Helan-Gebirge am Horizont. Eine Schotterst­raße führt zu einem rostigen Metalltor. „The Wens“steht in schwarz-roter Schrift auf einem Lieferwage­n im lieblos betonierte­n Innenhof. „Es ist eine Herausford­erung, in einem Ort wie diesem etwas zu bewirken“, sagt Mike Gadd. „Ich hätte mir ein wohlhabend­eres Weingut aussuchen können. Aber ich will der Familie Wen wirklich helfen.“Wie Moser hat es den Australier aus Abenteuerl­ust nach Ningxia verschlage­n. Seit 2015 berät der fliegende Winzer den Familienbe­trieb mit 133 Hektar Weingarten. „Es gefällt mir, an der vordersten Front der Weinherste­llung dabei zu sein.“In den frühen 90er-Jahren zählten Osteuropa und Österreich zu den Grenzregio­nen, heute sei es Asien. „Man muss hier sehr entspannt sein, einen Schritt nach dem anderen machen.“

Problemfel­der gibt es viele. Von der Pflege der Weinstöcke über die Qualitätsk­ontrolle bis zur Abfüllung fehlt

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria