Wo hat Rubens das nur her?
Aus einem Kentauren machte er einen Christus, eine antike Venus interpretierte er gleich dreimal neu. Eine Ausstellung im Kunsthistorischen Museum zeigt, wo Rubens seine Motive fand.
Zum Beispiel die „Medusa“. Sie gehört wohl zu den eindrucksvollsten Gemälden, die das Kunsthistorische Museum in seinen Beständen hat: Wir sehen ihr abgeschlagenes Haupt, die Augen sind gebrochen, die Lippen blaugrau angelaufen, da ist gestocktes Blut. Aber rund um den toten Schädel wuselt es: Die Schlangen, die ihr Haar bilden, sind noch lebendig, und wie! Sie züngeln, sie paaren sich, sie machen sich auf und davon. Aber was sind das für Tiere? Ein Zoologe wurde beigezogen, der sie bestimmen sollte. „Wir wollten wissen, was Rubens dargestellt hat, ob es vielleicht einen Hintergedanken gab“, so Gerlinde Gruber, die gemeinsam mit Stefan Weppelmann die Ausstellung kuratierte. Sein Befund: Es handelt sich ausnahmslos um europäische Ringelnattern.
Wie der Künstler ausgerechnet auf die ungiftigen, eigentlich harmlosen Nattern kam? In der ab 17. Oktober zu sehenden Schau „Rubens – Kraft der Verwandlung“zeigt man ein mögliches Vorbild: den Bronzeabguss einer Schlange aus dem 16. Jahrhundert, der sich praktischerweise in der Kunstkammer befindet und vermutlich aus Mantua stammt. Peter Paul Rubens war lang und oft in Oberitalien und sah die kleine Schlange vermutlich. Die Ähnlichkeit zu einem der von ihm gemalten Tiere ist jedenfalls verblüffend. Drucke, Studien. In der 120 Werke umfassenden Präsentation geht das Kunsthistorische Museum gemeinsam mit dem Städel-Museum in Frankfurt der Frage nach, wo Peter Paul Rubens seine Motive fand – und wie er sie sich anverwandelte. Der flämische Künstler reiste viel, er kannte die wichtigen Sammlungen seiner Zeit, er kaufte Drucke und Kleinbronzen nach antiken Werken, fertigte selbst Zeichnungen und Skizzen an von dem, was er sah; und wo er selbst nicht hinkam, schickte er Schüler aus, um Kopien anzufertigen. „Er hat versucht, ein Repertoire an guten Lösungen anzulegen“, so Gruber. Dafür führte er unter anderem ein Skizzenbuch, das 1720 im Louvre verbrannte, zum Glück aber mehrfach kopiert wurde. Eine dieser Kopien ist in Wien zu sehen.
All diese Grafiken, ob aus eigener Hand oder fremder, waren eine Art künstlerischer Zettelkasten: Ein gruseliges Götzenbild für das „Wunder des Heiligen Franz Xaver“war gefordert? Da gab es doch diese Abbildung einer indischen Gottheit mit vier Hörnern aus dem Reiseführer eines Zeitgenossen! Ein kleiner Amor für ein „Parisurteil“war zu malen? Her mit der Skiz- ze des drallen, faustkämpfenden Puttos aus Oberitalien! Und für den muskulösen Christophorus diente ihm eine Herkuleszeichnung als Vorbild.
So wichtig war Rubens seine Sammlung an Zeichnungen, dass er ihr im Testament einen eigenen Passus widmete: „Sie durfte erst verkauft werden, wenn alle Kinder erwachsen sind und klar ist, dass keines Künstler wird“, so Gruber. Hätte eines von ihnen in seine Fußstapfen treten wollen, hätte es über diesen unglaublichen Schatz an Bildideen verfügen können. Bienengleichnis. Was Rubens hier unternahm, war bis zu einem gewissen Punkt gang und gäbe. Man bewunderte die Künstler der Antike, der Renaissance, man ahmte sie nach. Warum das nobel und gut sein sollte? Das wurde mit Senecas Bienengleichnis erklärt: Die Dichter bzw. Künstler müssten wie die Bienen umherfliegen, den Nektar aus verschiedensten Blüten sammeln, auf verschiedenen Waben verteilen und daraus Eigenes schaffen.
Rubens systematisierte diesen Zugang. Und seine Weise, sich die Motive anzueignen, war verblüffend: In der Ausstellung ist etwa sein „Ecce Homo“aus der St. Petersburger Eremitage zu sehen, der leidende Christus mit Dornenkrone, den Oberkörper im Schmerz nach hinten geneigt. Das Vorbild ist ein Peter Paul Rubens hat das „Venusfest“nach Tizian gemalt, das Original kann er aber eigentlich nicht gesehen haben. Hat er eine Kopie gekannt? antiker Marmorkentaur, den ein Cupido an den Locken reißt. Rubens nimmt also ein neckisches Motiv mit einem animalischen Wesen im Mittelpunkt – und macht daraus einen christlichen Schmerzensmann. Das ist zumindest gewagt. „Das Original befindet sich jetzt im Louvre, aber leider ist jede der vier Fesseln des Pferdeleibes gebrochen.“Es darf also nicht reisen. Als Ersatz wird eine ähnliche Skulptur aus dem KHM gezeigt.
Dafür kommt die „Kauernde Venus“aus der Sammlung Farnese nach Wien. „Man weiß, dass Rubens um diese antike Statuen gekreist ist, er hat sich auf den Boden gelegt, hat sie aus den verschiedensten Blickwinkeln erfasst. Und oft hat er dann eine eher
Zeichnungen und Skizzen dienten Rubens als künstlerischer Zettelkasten. Einmal friert die Venus, einmal trauert sie, und einmal wird sie links liegen gelassen.
ungewöhnliche Ansicht gewählt.“In Wien ist die „Kauernde Venus“von gleich drei Gemälden umringt, die alle auf sie Bezug nehmen. Einmal taucht sie als frierende Venus auf, einmal betrauert sie Adonis – und beim letzten Gemälde muss sie sich geschlagen geben: Der „Tugendheld“würdigt sie keines Blickes.