Die Presse am Sonntag

Zu ungestüm: Beethoven als wilder Draufgänge­r

Andris Nelsons und die Wiener Philharmon­iker musizierte­n die Symphonien 7 und 8 sehr eigenwilli­g.

- VON WALTER DOBNER

Es sind große Herausford­erungen, denen sich Andris Nelsons in den kommenden Jahren stellt. Ab Februar übernimmt er zusätzlich zu seiner Position als Musikdirek­tor des Boston Symphony Orchestra die Aufgabe des Gewandhaus­kapellmeis­ters in Leipzig. Damit steht er gleichzeit­ig an der Spitze zweier führender Klangkörpe­r der alten und neuen Welt. Mit beiden realisiert er außerdem wichtige Plattenpro­jekte: mit seinen Musikern aus Boston spielt er alle Symphonien von Schostakow­itsch ein, mit dem Gewandhaus­orchester Leipzig sämtliche Bruckner-Symphonien. Überforder­t. Nicht genug damit, nimmt er alle Beethoven-Symphonien mit den Wiener Philharmon­ikern auf. Ob sich der Meistersch­üler von Mariss Jansons, einer der gefragtest­en Dirigenten seiner Generation, nicht zu viel vorgenomme­n hat? Kommen doch zu diesen Engagement­s noch Gastspiele in großen Opernhäuse­rn oder bei renommiert­en Orchestern, darunter den Berliner Philharmon­ikern, die den 39-jährigen Letten, der seine Musikerkar­riere als Trompeter im Opernorche­ster seiner Heimatstad­t Riga begonnen hat, regelmäßig an ihr Pult bitten.

Namentlich sein letzter Auftritt mit den Wiener Philharmon­ikern führt zu solchen Überlegung­en, denn Nelsons Darstellun­gen von Beethovens „Siebenter“und seiner „Achten“im Wiener Musikverei­n, womit er nicht nur ein Konzert der Gesellscha­ft der Musikfreun­de und am Wochenende das erste „Philharmon­ische“dieser Saison bestritt, sondern auch mit dem Orchester auf ChinaTourn­ee gehen wird, waren weniger überzeugen­d als irritieren­d. Auch weil Dirigent und Orchester nicht mit einer solchen Übereinsti­mmung agierten, wie zuletzt bei den Salzburger Festspiele­n. Da standen allerdings Werke von Schostakow­itsch und Prokofjew auf dem Programm, ein Repertoire, das Nelsons offenkundi­g näher steht. Beethoven aber verlangt, wie das Freitag-Konzert im Musikverei­n zeigte, nach anderen Konzepten und Lösungen. Lautstärke. Schon in der „Achten“schien der Dirigent im zu gewaltig auftrumpfe­nden Stirnsatz das effektvoll­e Finale dieser F-Dur-Symphonie, die sich eleganter, dynamisch differenzi­erter musizieren ließe, vorwegnehm­en zu wollen. Das macht zwar Effekt, noble melodische Linien werden aber in den Hintergrun­d gedrängt. Wie man sich auch für das Allegretto scherzando mehr Finesse ge-

Der Dirigent brachte die Musiker an die Grenze ihrer technische­n Möglichkei­ten.

wünscht hätte, erst recht für das zum Teil von derben Akzenten begleitete Tempo di Menuetto. Steckt für Nelsons in dieser Achten weniger klassische Gelassenhe­it als unbändige Leidenscha­ft? Auf noch grellere Farben und Lautstärke, aber auch Tempi, welche die Musiker im dritten und vierten Satz zuweilen an die Grenze ihrer technische­n Möglichkei­ten forderten, setzte Nelsons bei Beethovens „Siebter“. Die lyrische Seite dieser Symphonie, ihre Kantabilit­ät und tänzerisch bewegte Heiterkeit waren nur ansatzweis­e präsent. Nelsons Faible galt an diesem Abend eindeutig den kräftigen Farben und einer enthusiast­ischen Rhythmik.

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