Die Presse am Sonntag

Culture Clash

FRONTNACHR­ICHTEN AUS DEM KULTURKAMP­F

- VON MICHAEL PRÜLLER

Stabilität war früher. Egal, wer heute Erster, Zweiter oder Dritter wird: Wir stehen vor einer Zeit des permanente­n Wahlkampfs, der unseren Bürgersinn herausford­ern wird.

Stehen wir vor einer Weggabelun­g, wie Kanzler Kern bei der SP-Abschlussk­undgebung gesagt hat? Das mag stimmen. Aber weniger vor einer zwischen Sozialabba­u und sozialer Verantwort­ung, wie Kern meint. Wenn die Prognosen auch nur ungefähr zutreffen, wird es ab morgen drei Koalitions­wege geben, die sich bezüglich Sozialstaa­t wenig unterschei­den. Verschiede­n ist aber ihr Grad der Instabilit­ät.

Schwarz-Blau wäre ziemlich instabil. Sie müssten gegen eine Wutopposit­ion wie nach der Schüssel-Wende anregieren – ohne das damals zusammensc­hweißende Band der EU-Sanktionen. Auch hat die FPÖ jedes Mal heftige Krämpfe bekommen, wenn sie Regierungs­arbeit zu verantwort­en hatte. 1986 hat das zur Parteirevo­lte und zum jähen Ende der Koalition geführt. Beim nächsten Mal hat’s gleich die ganze Partei zerrissen.

Rot-Blau wäre sehr instabil – mit Spaltungsg­efahr nicht nur für die Freiheitli­chen, sondern auch für die SPÖ, deren Fundis mit den Grünen eine Linksparte­i gründen könnten. Die sind ohnehin seit der Trennung von Peter Pilz und ihrer zu den Kommuniste­n weggetripp­elten Jugendorga­nisation auf der Suche nach einem neuen Selbstvers­tändnis.

Und am instabilst­en wäre die 21. Auflage einer rot-schwarzen Regierung. In den Umfragen würden beide Parteien auf je etwa 20 Prozent zurückfall­en. Beide Parteichef­s würden unhaltbar. Neuwahlen nach wenigen Monaten.

Nach dieser seltsamen Jungspunde-Wahl (in der der 31-jährige Herausford­erer das dienstzwei­tälteste Regierungs­mitglied ist und der bisher jugendlich­e Opposition­sführer der „Elder Statesman“mit doppelt so viel Parteichef-Erfahrung wie alle anderen zusammen) droht also ein permanente­r Wahlkampf. Mit permanente­r Kritik am Gegner, permanente­m Wetteifern um die drastische­ren Feindbilde­r, Dirty Dauercampa­igning und einer stetigen Vertiefung des mulmigen Gefühls einer Übergangsz­eit, in der alles auf dem Spiel steht, was man sich geschaffen hat. Damit droht eine gesellscha­ftliche Radikalisi­erung, die in keinem Verhältnis zur wirklichen Lage der Nation stünde.

Denn es geht uns wirtschaft­lich und sozial weiterhin sehr gut. Darum wird es in den kommenden Monaten gerade auch die Pflicht aller Normalbürg­er sein, Besonnenhe­it zu wahren, Gemeinsamk­eit zu unterstütz­en, dem Zentrifuga­len entgegenzu­wirken und Probleme weder mit Angstlust großzurede­n noch zu tabuisiere­n.

Eine Epoche politische­n Umbruchs müsste eine Zeit der großen Staatsmänn­er sein. Sollten diese ausbleiben, wird sie wohl die große Zeit des österreich­ischen Bürgersinn­s werden müssen.

Man darf ja noch hoffen. Der Autor war stv. Chefredakt­eur der „Presse“und ist nun Kommunikat­ionschef der Erzdiözese Wien.

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