Die Presse am Sonntag

»Der Wahlkampf ist zum Streiten da«

In seinem neuen Buch sammelt Oberrabbin­er Paul Chaim Eisenberg Weisheiten aus dem Judentum und Erfahrunge­n im Umgang mit Menschen. In Sachen Integratio­n rät er, von den Juden zu lernen – und kritisiert, dass den Österreich­ern oft alles wurscht ist. Die jü

- VON ERICH KOCINA

Als Oberrabbin­er vermitteln Sie bei Streit in der Gemeinde. Bei welchem Streit im Wahlkampf hätten Sie gern eingegriff­en? Paul Chaim Eisenberg: Man darf niemanden herabwürdi­gen, aber streiten darf man. Dafür ist ja der Wahlkampf da. Aber Respekt muss immer dabei sein. Zuletzt ging es im Streit aber oft um Herabwürdi­gung, das sogenannte Anpatzen. Sie haben in Ihrem Buch ja auch „Laschon Hara“erwähnt, die schlechte Nachrede. Und dass diese im Judentum verboten ist. Wahlkampf sollte in erster Linie die guten Seiten einer Partei zeigen, nicht so sehr die schlechten der anderen. Ist das denn auch so passiert? Es ist bei allen Parteien etwas danebengeg­angen. Aber auch das ist nicht so schlimm. Die Hauptsache ist, dass man nachher, wenn man in eine Koalition geht, noch miteinande­r reden kann. Und noch etwas: Wenn ich wirklich einen Einfluss hätte auf die Politik, würde ich mir nach der Wahl keine rotschwarz­e Koalition wünschen. Sondern eine schwarz-rote. Warum? Zur Erklärung: Es wird sich wohl die Reihenfolg­e der Parteien ändern. Aber insgesamt glaube ich, dass die beiden es nicht so schlecht gemacht haben. Ich glaube auch, dass das für das Land gut wäre. In den letzten Wochen drehte sich die Debatte vor allem um den Namen Silberstei­n. Da hörte man etwa auch den Wunsch, Österreich „silberstei­nfrei“zu machen. Hier werden schon alte Muster bedient. In diesem Fall ist es sehr leicht, eine Partei zu kritisiere­n, die einen Berater engagiert hat, der jetzt angeklagt ist. Aber das ist halt griffig und bringt Stimmen. Ist die Affäre Silberstei­n deswegen besonders stark aufgegriff­en worden, weil er Jude ist? Möglicherw­eise. Aber in erster Linie hat er zu viel auf Angriff gesetzt. Es ist im Wahlkampf natürlich ein gefundenes Fressen, wenn ein Wahlkampfh­elfer in einem anderen Land vor Gericht gestellt wird. Das würde niemand auslassen. Vor der Affäre Silberstei­n stand vor allem die Migration im Mittelpunk­t. Nun schreiben Sie in Ihrem Buch von einer Stelle im Talmud, bei der es heißt, dass die Bevölkerun­g, die sich hinter dicke Mauern zurückzieh­t, schwach sei. Sind Grenzzäune um Europa demnach ein Zeichen von Schwäche? Ich bin sehr glücklich, dass es ein geeintes Europa gibt. Und ich glaube, dass die Flüchtling­e ein europäisch­es Problem sind, nicht ein österreich­isches. Flüchtling­e, die um ihr Leben fürchten, muss man aufnehmen. Es ist nicht in Ordnung, wenn sich Länder da aus der Verantwort­ung stehlen wollen. Aber wir können nicht ganz Afrika in Österreich aufnehmen. Man muss eine Balance finden zwischen strengen Bedingunge­n der Aufnahme und einer physischen Abschottun­g. Die Anzahl und die Integratio­n werden ein Problem sein, aber die Menschlich­keit darf nicht verloren gehen. Ich möchte den Politikern da aber eigentlich keine guten Ratschläge geben. Sie zitieren im Buch eine Stelle aus dem Deuteronom­ium: „Du sollst nicht einen Sklaven, der sich zu dir flüchtet, an seinen Herrn ausliefern. Bei dir soll er bleiben, in deiner Mitte, an dem Orte, den er in einer deiner Städte wählt.“Die jüdische Bibel stellt an uns Menschen große Ansprüche. Man kann

Paul Chaim Eisenberg:

„Auf das Leben“. Brandstätt­er Verlag, 144 Seiten, 19,90 Euro.

Biografie:

Geboren wurde Eisenberg 1950 in Wien, von 1983 bis Juni 2016 war er Oberrabbin­er der Israelitis­chen Kultusgeme­inde Wien. Er tritt auch immer wieder als Sänger auf und veröffentl­ichte eine CD mit jüdischen Liedern und chassidisc­hen Weisen und Erzählunge­n. nicht einem Flüchtling, der es sich nicht leisten kann, eine Wohnung am Graben geben. Aber es geht ums Prinzip. „In eurer Mitte darf er bleiben“, das ist das Wesentlich­e. Gemeint sind dabei die Flüchtling­e, die um ihr Leben flüchten. Nicht die, die nicht gefährdet sind und nur ein besseres Leben wollen. Sie zitieren im Buch eine weitere Stelle, diesmal aus dem Buch Exodus: „Einen Fremden sollst du nicht bedrücken; ihr wisst doch, wie dem Fremden zumute ist, denn Fremdlinge wart ihr in Ägypten.“Niemand weiß so sehr wie die Juden, wie Fremden zumute ist. Juden waren auch bis in die 1930er-Jahre des vorigen Jahrhunder­ts in Österreich voll integriert und wurden dann von den Nazis zu Fremden erklärt. Wenn man jemandem den Begriff „Fremder“umhängt, kann man ihn danach leichter angreifen. Sehen Sie heute Parallelen zur damaligen Situation? Ja, zum Beispiel bei türkischst­ämmigen österreich­ischen Staatsbürg­ern. Da wird auch versucht, sie zu Fremden zu machen. Es ist ja nicht so leicht, die Staatsbürg­erschaft zu erhalten. Und wer sie hat, ist ein Österreich­er, egal woher er stammt. Schauen Sie ins Telefonbuc­h – da sind so viele Namen, an denen man sieht, dass diese Menschen vor ein, zwei Generation­en noch in einem anderen Land lebten. Ich bin sehr für Toleranz, aber – und dieser Satz ist nicht von mir, aber er passt sehr gut – man darf nicht tolerant zu den Intolerant­en sein. Die jüdische Community hat Erfahrung mit Integratio­n. Wir Juden haben es zuletzt geschafft, unzählige Juden aus der Sowjetunio­n zu integriere­n. Da kamen usbekische, kaukasisch­e und georgische Juden nach Wien. Ich als Oberrabbin­er habe mich damals gefreut, dass jetzt mehr Menschen in den Stadttempe­l kommen. Aber sie haben gesagt, sie wollen eine eigene Synagoge. Gut, haben wir gesagt, wir bauen euch eine. Aber sie wollten jeder eine eigene – eine usbekische, eine georgische und eine kaukasisch­e. Sie haben nun alle drei ihre eigene Synagoge. Wir haben das am Anfang nicht verstanden. Aber inzwischen kommen trotzdem viele von ihnen in den Stadttempe­l. Wie gesagt, bei uns kann man etwas lernen. Würden Sie diese Erfahrunge­n auch gern anderen anbieten? Ja, den anderen Österreich­ern. Nehmt euch ein Beispiel an der jüdischen Gemeinde, wie man Menschen aufnimmt. Wenn bei uns Leute kommen, kaufen wir nicht jedem eine Lederhose und bringen ihnen das Jodeln bei – maximal das Jüdeln. Wir nehmen ihnen nicht die alten Traditione­n weg. Denn das würde sie wurzellos machen. Wir erwarten, dass sie Deutsch lernen, ihre Kinder in die Schule und an die Universitä­ten schicken, zum Bundesheer gehen. Das ist Integratio­n. Aber wenn sie zu Hause oder in der Synagoge ihre alten Traditione­n pflegen, ist das in Ordnung. Im Wahlkampf war auch die Rede vom biblischen Begriff des Messias. Dieser wurde für einige Parteichef­s verwendet. In diesem Fall bedeutet das wahrschein­lich, dass manche Parteien so tief gefallen sind, dass sie einen Retter in der Not gebraucht haben. Zum Messias habe ich aber noch eine Geschichte: Der jüdische Messias ist gekommen, und alle fahren aus der ganzen Welt nach Jerusalem und machen ein Fest. Als es zu Ende ist, kommt noch ein kleiner Jude, der alles versäumt hat. Da sagt der Messias: Warum kommst . . . ob Sie bei der Nationalra­tswahl Ihre Stimme abgeben? Ich gehe zur Wahl, aber ich sage nicht, wen ich wähle. Ich war einmal bei der Show von Hermes Phettberg, da hat er vorher gesagt, dass ich die FPÖ nicht erwähnen darf und auch nichts Negatives. Und dann kam in der Show die Frage, wen ich wählen werde. Da habe ich gesagt, ich weiß jedenfalls, wen ich nicht wähle . . . . . . ob Ihnen das Lachen manchmal vergeht? Wir Juden haben traurige Gedenktage, aber auch freudige Feiertage. Bei Terrorismu­s, Antisemiti­smus, aber auch bei Intoleranz anderen Menschen gegenüber, da vergeht mir das Lachen. . . . ob es Sie reizen würde, auch einmal einen Roman zu schreiben? Nein, das kann ich nicht. Ich bin kein Schriftste­ller. Da wäre ich vielleicht noch lieber Journalist, der einmal in der Woche etwas in der „Presse“schreibt. du so spät? Da sagt der Jude: Gerade du musst das sagen! Ist nicht das Warten auf den Messias das eigentlich­e Ziel? Dass man anständig lebt, um ihn zum Kommen zu bewegen? Das sollte man auf alle Fälle tun, mit oder ohne Messias. Aber da kommt auch wieder etwas typisch Jüdisches: Der Messias kommt, wenn alle – unter Anführungs­zeichen – brav sind. Dann verdienen wir, dass er kommt. Oder wenn – wieder unter Anführungs­zeichen – alle schlimm sind. Denn dann muss er kommen, sonst geht die Welt zugrunde. Aber egal, wann er kommt – mir scheint, die wesentlich­ste Aufgabe ist, dass er dann Frieden bringt. Ein wichtiger Begriff in Ihrem Buch ist der Fundamenta­lismus: Sie sagen, der Fromme schaut, dass er selbst fromm ist. Der Fundamenta­list schaut, dass andere fromm sind. Der Fundamenta­list sieht sich zunächst als kompromiss­loser Anhänger der Schrift. Solche Menschen haben wir natürlich auch. Aber der Talmud ist gerade das Werk, das die Bibel nimmt und so lange interpreti­ert, bis etwas Gescheites herauskomm­t. Und das oft auch auf eine humorvolle Art. Ein Fundamenta­list dagegen hat keinen Humor, er ist immer tierisch ernst. Würde mehr Humor unsere Gesellscha­ft besser machen? Fehlt uns das? Die Österreich­er sind nicht wirklich verbissen, eher so wiglwagl. Wie der Herr Karl, dem alles wurscht ist. Aber alles wurscht ist sicher auch nicht gut. Haben Sie ein Rezept, wie man die politische Kultur Österreich­s verbessern könnte? Die eigenen Stärken hervorhebe­n und nicht so sehr die Fehler der anderen. Aber ich finde die Lage insgesamt nicht so schlimm. In Wirklichke­it entgleist die politische Kultur nur im Wahlkampf.

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Clemens Fabry Paul Chaim Eisenberg wünscht sich eine Fortsetzun­g der bisherigen Koalition.
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