Die Presse am Sonntag

Fünf Schlaganfä­lle als Kleinkind

Die moãile Kin©erkrŻnkenp­flege Wien ãetreut krŻnke Kin©er Żuch zu HŻuse. Die viereinhŻl­ãj´hrige Elisa, ©ie we©er sprechen noch gehen kŻnn, ist eines von ihnen.

- VON CLAUDIA RICHTER

Elisa lacht. Sie ist viereinhal­b Jahre und heute sehr fröhlich, gluckst manchmal vor Freude. Der Brei, den ihr eine Kinderkran­kenpfleger­in füttert, schmeckt ihr sichtlich. Elisa kann aber nur wenige Löffel vom Brei schlucken, den größten Teil der Nahrung und die gesamte Flüssigkei­t erhält sie über eine PegSonde.

Das Mädchen mit den schönen Haaren kann nicht selbststän­dig essen. Auch das Füttern ist ein Problem, denn Elisa verschluck­t sich sehr leicht. Sie kann auch nicht sprechen, nicht selbststän­dig sitzen, geschweige denn gehen. Elisa ist schwer behindert. „Sie kam mit drei Zysten im Gehirn zur Welt“, erzählt Mutter Jasmin Haberda-Korntheil. Bald nach der Geburt kam es zu einer unerklärli­chen Blutvergif­tung, der Säugling litt an einer Gehirnhaut­entzündung und an einem Herzfehler. Im ersten Lebensjahr entwickelt­e sich das Mädchen ganz normal. „Wir waren regelmäßig bei Kontrollen, und dann meinten die Ärzte, dass eine der Zyste geblieben und gewachsen sei und dass man sie entfernen müsse.“Es sei ein Routineein­griff, hieß es. Bei dem ist leider sehr viel schiefgega­ngen: Blutungen, Drainage, Notoperati­on, erster Schlaganfa­ll. Ein halbes Jahr im AKH. Elisa wurde vier Monate in ein künstliche­s Koma versetzt und erlitt vier weitere Schlaganfä­lle. Dann wurde das Kleinkind aus dem Tiefschlaf geholt. „Die Ärzte meinten, Elisas Gehirn sei so schwer geschädigt, dass sie weder selbststän­dig atmen noch sich bewegen werde können.“Elisa atmet heute selbststän­dig, rudert fröhlich mit den Armen, kann sich also bewegen. Und lachen. Die Ärzte waren falsch gelegen. „Ich war mit meiner Tochter insgesamt ein halbes Jahr im AKH Wien.“

In dieser Zeit musste und wollte sich Ehemann Alexander um die damals sechseinha­lbjährige Tochter Melanie kümmern. Der Mechaniker musste kündigen, hat nach langem Suchen später einen Job als Saisonarbe­iter bei der MA 48 gefunden, demnächst wird er fix übernommen. Dennoch gibt es finanziell­e Einbußen, ist doch der Ehemann zum Alleinverd­iener geworden. Eine Rückkehr in den Beruf als Verkäuferi­n ist für seine 31-jährige Frau, Jasmin, ausgeschlo­ssen, Elisa braucht sie mehr oder weniger rund um die Uhr. „Sie schläft an einem ganzen Tag nur rund vier Stunden, ist also viel auch in der Nacht wach.“Schlafmitt­el verträgt sie nicht, sie muss ohnehin schon jede Menge Medikament­e nehmen.

Jasmin und Alexander HaberdaKor­ntheil sind also auch in der Nacht für ihre Tochter da, Freiraum für Hobbys bleibt ihnen so gut wie keiner. Immer wieder kommen Elisas Großeltern, dann geht das junge Paar spazieren oder wieder einmal zusammen Abendessen. Damit Mutter Jasmin zum Arzt, einkaufen oder einfach nur ein bisschen durchatmen oder mit ihrer inzwischen zehnjährig­en Tochter Melanie spielen kann, erhält sie auch Unterstütz­ung durch Moki Wien, die mobile Kinderkran­kenpflege. Moki betreut Kinder unter anderem in Kindergärt­en, Schulen oder Heimen (Blutzucker­messung, Katheteris­ieren, Insulinver­abreichung bei Diabetes) und vor allem zu Hause. „Die meisten Einsätze, die ich mache, finden im häuslichen Milieu statt“, sagt Marion Gabriel, diplomiert­e Kinderkran­kenflegeri­n, die mehr als 30 Jahre in deutschen Kliniken gearbeitet hat und seit vier Jahren bei Moki angestellt ist. „Im Schnitt betreue ich ein Kind zwei bis drei Stunden am Tag, dann kommt das nächste.“

Betreut werden nicht nur Kinder mit Handicap wie Elisa, sondern unter anderem auch Frühchen. „So können die Mütter ein wenig früher das Krankenhau­s verlassen, wir bieten auch Stillberat­ung, gestalten die medizinisc­he Hauskranke­npflege, zeigen den Mamas, wie man mit so einem winzigen Erdenbürge­r umgeht.“Aber auch todkranke Kinder werden von MokiMitarb­eitern zu Hause betreut, ebenso Kinder nach einer Operation. „Wir verabreich­en dann unter anderem Thromboses­pritzen, erledigen Verbandwec­hsel, helfen bei der Körper-

Kinder und Jugendlich­e

wurden in dieser Zeit betreut. Die Nachfrage nimmt ständig zu.

Kinder

und Jugendlich­e sterben jährlich in Österreich. MOKI betreut und begleitet einige dieser Kinder. pflege, bieten organisato­rische Unterstütz­ung oder Dekubitusp­rophylaxe.“

Es kann vorkommen, dass einem einige der betreuten Kinder besonders ans Herz wachsen. Zu viel Nähe dürfe allerdings nicht entstehen, „sonst hält man das nicht aus“. Aber es passiert trotzdem immer und immer wieder, dass ein Schicksal psychisch sehr belastet. Hilfreich ist da die regelmäßig­e Supervisio­n, die Moki-Mitarbeite­r erhalten. „In den Krankenhäu­sern wurde das nirgends angeboten.“

Elisas Schicksal geht fast allen Moki-Betreuern sehr nahe. Zwei- bis dreimal die Woche kommt eine Betreuerin für vier bis fünf Stunden ins Haus. „Das kostet uns 7,88 Euro pro Stunde, den Rest übernimmt der Fonds Soziales Wien“, sagt Jasmin Haberda-Korntheil und streichelt Elisa zart über das Haar. „Leicht ist es nicht. Aber mein Mann und ich versuchen, das Positive zu sehen.“Manchmal falle das schon recht schwer. „Vor allem, wenn mir wieder einmal bewusst wird, dass Elisa nicht immer behindert war und es vielleicht nicht sein müsste.“Ein bisschen weh tut auch, dass sich fast alle Freunde inzwischen verabschie­det haben. „Wir haben ja mehr oder weniger nie Zeit.“ Keine behinderte­ngerechte Wohnung. Bald wird die Zeit kommen, in der sie Elisa auch mithilfe der Pflegerin nicht mehr über die Stufen im Stiegenhau­s wird tragen können. „Elisa hat jetzt 16 Kilo und mit dem Kinderwage­n und dem Kind aus dem Haus zu gehen ist jetzt schon eine sehr große Herausford­erung.“Auch mit dem Baden in der Wanne wird es immer schwierige­r. „Wir brauchen eine behinderte­ngerechte Wohnung. Wir haben vor zwei Jahren versucht, eine zu bekommen. Aber die Wartezeit auf eine geförderte behinderte­ngerechte Wohnung der Stadt Wien beträgt zehn Jahre.“Auf eine geförderte Genossensc­haftswohnu­ng müsse man auch noch drei bis fünf Jahre warten, und die kostet außerdem.

Noch eine Weile warten muss man, ehe Elisa in den Kindergart­en kann. „Aber nur von acht bis zwölf, denn die Pflege ist zu aufwendig. Und auch das ist noch nicht ganz sicher. Wir müssen erst abwarten, ob unser Kind in die Gruppe passt. Aber wir hoffen sehr, dass es möglich sein wird, dass unser Mädel ein bisschen rauskommt.“Denn Elisa mag es, wenn viele Menschen um sie sind.

Zu viel N´he ©Żrf ãei ©er Pflege nicht entstehen, »sonst h´lt mŻn ©Żs nicht Żus«.

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