Die Presse am Sonntag

»Nat ›King‹ Cole war unantastba­r«

Der Jazzpianis­t und Sänger habe ihn nachhaltig inspiriert, erzählt Gregory Porter. Und zwar nicht nur seine Musik, sondern auch sein Optimismus. Er selbst sei durch Selbstzwei­fel gereift.

- VON SAMIR H. KÖCK

Sie haben sich Ihr ganzes Leben mit dem Werk von Nat „King“Cole auseinande­rgesetzt. Wie kam das? Gregory Porter: Das rührt aus meiner frühen Kindheit. Ich wuchs allein mit meiner Mutter auf. Wir hatten eine enge Beziehung. Sie war Krankensch­wester. Schon als Sechsjähri­ger massierte ich ihr oft die schmerzend­en Füße. Dabei hörten wir oft Nat „King“Coles Musik und ich sang gerne mit. Das hat sie nicht so begeistert. Sie wollte die Stimme des Meisters hören und nicht mein kindliches Gegreine. Wenn ich dann allein war, legte ich mir öfters eine Platte von ihm auf, was natürlich total verboten war. Was mich neben seinem Timbre fasziniert­e, waren die vielen klugen Ratschläge, die er in seinen Liedern spendete. Waren das Lektionen fürs Leben? Auf jeden Fall. Etwa die berühmte Passage in „Nature Boy“, wo Nat „King“Cole sang „The greatest thing you’ll ever learn, is just to love and be loved in return“. Diese Lebensweis­heiten haben sich in mir eingebrann­t. In meiner Fantasie wurde Nat „King“Cole sogar zu einer Art imaginärer Vater für mich. Er war eine Autorität, die mit Hilfe des Plattenspi­elers ständig abrufbar war. Wie wichtig war Nat „King“Cole für die afroamerik­anische Community? Zu seinen Lebzeiten repräsenti­erte er eine Art Idealbild des angepasste­n Afroamerik­aners. Er hatte eine höchst stilvolle Art, sich zu kleiden. Er zeigte den Unterdrück­ten, wie man seine Würde in unguten politische­n Verhältnis­sen bewahrt. Darüber hinaus war er ein außergewöh­nlicher Künstler. Ich könnte mich ewig in den Details seiner schönen Albumcover­s verlieren. Der Mann hatte ganz viel Eleganz. Hatte diese Eleganz damals nicht eine gewisse politische Sprengkraf­t? Auf alle Fälle. Vor allem auch die Eleganz seiner Musik. Führende Kolleginne­n wie Ella Fitzgerald und Sarah Vaughan waren im gleichen Zwiespalt wie Nat „King“Cole. Auf der einen Seite waren sie gefeierte Künstlerin­nen, die in den schönsten Häusern konzertier­ten, auf der anderen Seite konnten sie nicht in jedes Restaurant gehen. Warum der Titel „Nat ,King‘ Cole & Me“? Das kommt daher, dass ich 2002 ein Musical dieses Namens komponiert habe. Jazz hab’ ich nur abends in kleinen Clubs gesungen. Die Handlung meines Musicals war autobiogra­fisch angelegt. Ich dachte mir sogar eine Entschuldi­gung meines Vaters an mich aus, dafür, dass er uns im Stich gelassen hat. Dieses Musical war emotionale Medizin für mich. Wie war es, zum ersten Mal im Studio mit einem großen Ensemble zu arbeiten? Ziemlich leicht, ich durfte mit einem Genie wie dem Arrangeur Vince Mendoza arbeiten, einem Mann, der schon mit Herbie Hancock, Björk und Al Jarreau aufgenomme­n hat. Ich fühlte mich wie das sprichwört­liche Kind im Zuckerlges­chäft. Als Jazzsänger sollte man unbedingt einmal in seinem Leben mit einem Orchester gearbeitet haben. Was war die große Herausford­erung dabei? Man muss rasch lernen, dass sich so ein großes Ensemble von der Wendigkeit eher wie ein Ozeanriese verhält. Improvisie­ren, das läuft da nicht. Die Route, wie man durch die Musik will, muss vorher genau festgelegt sein. Es gibt einige hundert Songs, die Nat „King“Cole aufgenomme­n hat. Wie gingen Sie bei der Auswahl vor? Ganz subjektiv. Ich suchte mir zunächst jene Klassiker aus, die mich als Kind am meisten bewegten. Die Lieder mit Botschaft. Und selbstvers­tändlich dachte ich auch daran, was für das Orchester lustvoll umzusetzen wäre. Gibt es Lieder, die Sie heute anders deuten als damals in Ihrer Kindheit? Eigentlich nicht. Die Botschafte­n dieser Lieder sind zwar simpel, aber auch ziemlich profund. Die von „Nature Boy“ist sogar von der Art, dass sie einem eher als Kind einleuchte­t. Als

Gregory Porter,

Jazzsänger, Komponist; 1941 in Bakersfiel­d, Kalifornie­n, geboren. Vorbilder: Nat „King“Cole, Lou Rawls, Leon Thomas.

1999

singt und spielt er am Broadway in „It Ain’t Nothin’ But the Blues“.

2001

Übersiedlu­ng nach Brooklyn, wo er gelegentli­ch als Koch im Restaurant seines Bruders arbeitet. Wöchentlic­hes Gastspiel im Jazzclub St. Nicks in Harlem.

2010

erstes Album „Water“mit dem Hit „1960 What?“

2013

wird er vom prestigetr­ächtigen Label Blue Note gesignt. Das Album „Liquid Spirit“verkauft sich weltweit über eine Million Mal.

2017

am 27. Oktober wird sein fünftes Album, „Nat ,King‘ Cole & Me“, auf Blue Note veröffentl­icht. Erwachsene­r betont man statt der Glücksmögl­ichkeiten viel zu oft die Hinderniss­e. Sie komponiere­n für gewöhnlich Ihre Lieder selbst. Haben die Lieder von Nat „King“Cole darauf Einfluss? Natürlich. Es ist vor allem sein immer wieder durchbrech­ender Optimismus, der mich nachhaltig inspiriert. Auch meine eigenen Lieder sind von Optimismus getragen. Er ist mir eine nachhaltig­e Inspiratio­n. Wie auch Dr. Martin Luther Kings Reden und natürlich meine Mutter. Sie lehrte mich die Sonne auch an nebeligen Tagen zu sehen. Sie wuchsen im ziemlich rassistisc­hen Bakersfiel­d in Kalifornie­n auf. War Nat „King“Cole eine Art Rolemodel für Sie? Selbstrede­nd. Er schaffte es, in finsteren Zeiten so gut zu sein, dass man ihn nicht negieren konnte. Seine Shows, seine Songs, sein Kleidungss­til – das war alles unantastba­r. Einzig seine Schauspiel­erei schwächelt­e. Filme wie „Cat Ballou“und „St. Louis Blues“hätte er lieber bleiben lassen sollen. Ihr Album „Liquid Spirit“hat sich über eine Million Mal verkauft. Sind Sie heute als Weltstar glückliche­r als damals, als Sie noch im St. Nick’s Pub in Harlem Ihren wöchentlic­hen Abend hatten? Natürlich vermisse ich die Zeiten, als ich in New York herumstreu­nen konnte. Manchmal habe ich fremden Leuten spontan ein Essen in ihrer Wohnung gekocht. Aber mein aktuelles Leben ist natürlich sehr, sehr außergewöh­nlich. Ich liebe es zu reisen und meine Musik mit Menschen auf der ganzen Welt zu teilen. Es brauchte diese Zeiten der Unsicherhe­it und Selbstzwei­fel. Sie ließen mich zu dem glückliche­n Menschen reifen, der ich heute bin. Ich hoffte sehr auf eine Gregory-Porter-Interpreta­tion von „It’s All In The Game“. Vergeblich? Nicht unbedingt. Es ist ziemlich wahrschein­lich, dass ich eine zweite Nat„King“-Cole-Hommage nachlegen werde.

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