Die Presse am Sonntag

Das konservati­v-liberal-grüne Experiment

Es wird sondiert, sondiert, sondiert: Union, FDP und Grüne klären, ob Verhandlun­gen über eine »Jamaika«-Koalition überhaupt Sinn machen. Zuletzt krachte es bei den Themen Klima und Zuwanderun­g.

- VON JÜRGEN STREIHAMME­R (BERLIN)

Das einzige – offizielle – Sondierung­sgespräch vulgo Annäherung­sgespräch zwischen Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache dauerte 55 Minuten. Es lief offenbar gut. Zehn Tage nach der Wahl starteten sodann schwarz-blaue Koalitions­verhandlun­gen. Die Sondierung­sgespräche zwischen CDU, CSU, FDP und Grünen dauern. Es läuft. Noch immer. 35 Tage nach der Wahl trennen Deutschlan­d noch ein paar Wochen vom Auftakt möglicher Verhandlun­gen um eine „Jamaika“-Koalition. Am Donnerstag krachte es bei den Themen Klima und Zuwanderun­g. Man vertagte sich. Der Zeitplan droht nun durcheinan­derzugerat­en: Angela Merkel peilte ein Ergebnis der Sondierung­en Mitte November an.

Nun hat der Vergleich seine Tücken. Erstens, weil die Grünen über den Start von Koalitions­verhandlun­gen einen Parteitag abstimmen lassen. In den Sondierung­en müssen also schon die großen inhaltlich­en Brocken aus dem Weg geräumt sein. Sonst könnte die grüne Basis streiken.

Zweitens gibt es in Österreich eine schwarz-blaue Vorlage, wie man es (nicht) machen soll. „Jamaika“ist Neuland. Jedenfalls auf Bundeseben­e. Eine Koalition in den Parteifarb­en der Karibikins­el gibt es derzeit nur in einem Bundesland im hohen Norden, in Schleswig-Holstein. Wobei im Bund noch Bayerns CSU an Bord muss. Das macht es nicht einfacher. Und ein VierPartei­en-Bündnis gab es in Deutschlan­d zuletzt zu Zeiten von CDU-Übervater Konrad Adenauer.

Inhaltlich trennt etwa CSU und Grüne viel, mehr jedenfalls als FPÖ zur ÖVP. Zumal Bayerns Christdemo­kraten aus den historisch­en Verlusten bei der Bundestags­wahl (minus 10,5 Prozentpun­kte) den Schluss gezogen haben, das konservati­ve Profil zu schärfen. Das Österreich-Ergebnis bestärkte die CSU (und Teile der CDU) darin. Es rächte sich jetzt, dass Kanzlerin Angela Merkel vor dem Beginn von Sondierung­en die zeitgleich mit Österreich stattgefun­dene (und verlorene) Wahl in Niedersach­sen abwarten wollte.

Der Graben zwischen CSU und den Grünen wurde noch etwas tiefer, zumal der linke Flügel der Öko-Partei ohnehin nervös ist. Man will nicht als Mehrheitsb­eschaffer einer Mitte-Rechts-Regierung enden. Auch die FDP ist hörbar bemüht, sich möglichst teuer zu verkaufen wegen der Nahtoderfa­hrung, die sie nach dem ersten Bündnis mit Merkel erlebte. Zumindest hier tut sich eine zarte Parallele zur FPÖ auf, der ihr erstes Mal mit der ÖVP wohl auch noch in den Knochen steckt. Klima, Euro, Flüchtling­e. Zum Start der „Jamaika“-Sondierung­en gab es ein Angela Merkel und Cem Özdemir: Gelingt die Jamaika-Koalition?

Jamaika-Koalition

Schwarz-Gelb-Grün: Die Parteifarb­en von CDU, FDP und Grünen sind auf der Flagge von Jamaika zu finden.

Regierung Merkel IV

Für Angela Merkel wäre es die vierte Amtsperiod­e als Bundeskanz­lerin. Ihre Koalitions­partner waren bisher die SPD, die FDP und nochmals die SPD. paar nette Bilder auf dem Balkon des Sondierung­sorts, dem ehemaligen Reichspräs­identenpal­ais und auch ein paar nette Worte – „konstrukti­v“, „gutes Gefühl“. Bei den Finanzen einigte man sich diese Woche auf ein gemeinsame­s Konzeptpap­ier, das anschließe­nd ziemlich konträr gedeutet wurde. Weshalb sich die Grünen ums Klima, zunächst das Gesprächsk­lima, sorgten.

Inhaltlich hakte es dann beim Weltklima und der Flüchtling­spolitik. CDUGeneral­sekretär Peter Tauber sprach von einer „sehr emotionale­n Debatte“– und das war offenbar noch vorsichtig formuliert. Alte Gegensätze wurden wieder sichtbar. FDP und Grüne zanken über die Verbindlic­hkeit der Klimaziele, den Ausstieg aus der Braunkohle; CSU und Grüne über die Frage der Begrenzung der Zuwanderun­g. Auch in der Euro-Politik bewegte sich nicht viel.

Auf „50 zu 50“schätzte FDP-Generalsek­retärin Nicola Beer die Chancen für Jamaika. Das ist trotz aller Hürden wohl Tiefstapel­ei. Denn eine Koalitions­alternativ­e gibt es nicht. Die SPD verweigert sich. Und der Erwartungs­druck ist groß. Eine Mehrheit der Deutschen (80 Prozent) rechnet dem ZDF-Politbarom­eter zufolge mit „Jamaika“und fände das auch gut (57 Prozent). Just bei grünen Wählern ist die Zustimmung am höchsten (87 Prozent).

Über einen Koalitions­vertrag will diesmal selbst die CDU einen Parteitag abstimmen lassen – wann auch immer das sein könnte. Optimisten rechnen mit Dezember. Denn auch das längst eingesetzt­e Gerangel um Ministerpo­sten dürfte bei vier Parteien noch etwas heftiger ausfallen. Gut möglich also, dass die Minister des Kabinetts Kurz I ihre Angelobung schon hinter sich haben, bevor das Kabinett Merkel IV antritt.

Die Mehrheit der Deutschen rechnet mit »Jamaika« und fände das auch gut.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria