Die Presse am Sonntag

Die Phantom-Republik Katalonien

In Barcelona feierten die Anhänger enthusiast­isch die Unabhängig­keit. »Wir machen weiter«, lautet ihre Losung. Die Separatist­en rüsten zum Widerstand. Spanien setzte indessen Vizepremie­r Soraya Santamar´ıa als Krisenmana­gerin in Katalonien ein.

- VON RALPH SCHULZE UND THOMAS VIEREGGE

An Tag eins der katalanisc­hen Phantom-Republik weht noch die spanische Flagge über dem mittelalte­rlichen Regierungs­palast in der Altstadt Barcelonas. Tausende Menschen, gehüllt in die Estelada – die katalanisc­he Unabhängig­keitsfahne mit dem Stern – hatten am Freitagabe­nd vor dem Palais mit Feuerwerk und Sekt die Unabhängig­keitserklä­rung gefeiert, überschwän­glich „Freiheit, Freiheit, Freiheit“skandiert und gefordert: „Holt die spanische Fahne runter.“Doch am Samstag flatterte Spaniens Banner weiterhin und wie üblich neben der katalanisc­hen Fahne auf dem Palastdach.

Auch sonst war am Tag nach der Abspaltung­sresolutio­n des katalanisc­hen Parlaments in Barcelona nicht mehr viel Revolution­sstimmung auf den Straßen zu spüren. Ministerpr­äsident Carles Puigdemont, der die Unabhängig­keitserklä­rung vorangetri­eben hatte, war am Samstag nicht mehr im Amt. Noch in der Nacht zum Samstag war der Beschluss der spanischen Regierung, die Separatist­enführung in Barcelona wegen ihres rechtswidr­igen Unabhängig­keitskurse­s zu entmachten, in Kraft getreten. Puigdemont war abgesetzt wie Dutzende seiner Mitstreite­r und hohe Polizeioff­iziere, die offen mit der Unabhängig­keitsbeweg­ung sympathisi­erten. Auf sie warten, so Gerüchte, eigens und eilends bereitgest­ellte Villen im südfranzös­ischen Exil in Roussillon – in „Nordkatalo­nien“, wie es in der Diktion der Nationalis­ten heißt.

Derweil machten sich die Separatist­en mit Durchhalte­parolen Mut. ExPremier Puigdemont, der am Samstagnac­hmittag in einer kurzen Ansprache ankündigte, dass er sich nicht freiwillig zurückzieh­en werde, rief zum friedliche­n Widerstand auf. „Wir werden weitermach­en, um ein freies Land zu kon- struieren.“Ein Wink, dass er sich offenbar nicht für abgesetzt hält. Er forderte seine Anhänger auf, sich mit „demokratis­cher Opposition“gegen die Zwangsmaßn­ahmen der spanischen Regierung zu wehren und den Unabhängig­keitsbesch­luss zu verteidige­n. Er beendete seine dreiminüti­ge Rede mit dem Ausruf: „Es lebe Katalonien!“

Gruppen, zu denen sich neuerdings Studenten, Aktivisten und Gewerkscha­ften zusammenge­schlossen haben, bereiten sich längst auf den zivilen Ungehorsam vor. Viele in Katalonien raunen auch von Störmanöve­rn durch Bürgermeis­ter und andere Offizielle. Eine Denkfabrik in Madrid warnt gar vor einem „Maidan“in Barcelona – vor einer Eskalation der Gewalt wie in Kiew.

Am Freitagabe­nd, kurz bevor Madrid die Entmachtun­g des Rebellen verkündete, hatte Puigdemont die Öffent-

Prozent.

So viele Menschen haben am 1. Oktober für die Unabhängig­keit Katalonien­s gestimmt.

Millionen.

So viele Stimmen wurden abgegeben, knapp die Hälfte der 5,3 Millionen Wahlberech­tigten. lichkeit schon darauf eingestimm­t, das in der spanischen Region derzeit nicht mit ruhigen Zeiten zu rechnen sei. „Bürger von Katalonien“, rief er mit dem obligatori­schem Pathos, „in den nächsten Stunden müssen wir alle für unser Land kämpfen friedlich, mit Bürgersinn und Würde. So wie wir es immer gemacht haben.“Er beschwor die „Großartigk­eit dieses Augenblick­s“und bekräftigt­e „die Rechtmäßig­keit“des verkündete­n Bruchs mit Spanien.

Minuten später hatte Spaniens Regierungs­chef Mariano Rajoy in einer TV-Ansprache allseits zur Ruhe aufgeforde­rt, jedoch bereits einen Eingreifpl­an verkündet, mit dem er Katalonien „so schnell wie möglich zur Normalität“zurückführ­en will: Dazu gehörte die Absetzung von Puigdemont, seiner Minister und auch von 150 Beratern. Auch die vorübergeh­ende Übernahme der Kontrolle in der Verwaltung und in der katalanisc­hen Polizei. Und vor allem die Auflösung des katalonisc­hen Regionalpa­rlaments und die Ansetzung von Neuwahlen kurz vor Weihnachte­n am 21. Dezember. Schließlic­h ließ der konservati­ve Premier noch einen Eilantrag an das Verfassung­sgericht schicken, das die nach spanischem Recht illegale Unabhängig­keitserklä­rung annulliere­n soll. „Hallo Republik!“Die Ausrufung einer „katalanisc­hen Republik“und die umgehende Antwort Rajoys bestimmten die Schlagzeil­en der Tageszeitu­ngen: „Der Staat erstickt den Aufstand“, titelte Spaniens größte Tageszeitu­ng, die in Madrid erscheinen­de „El Pa´ıs“. Die in Barcelona gedruckte katalanisc­he Konkurrenz „El Periodico“´ schrieb in dicken Letteren auf der ersten Seite: „Rajoy stoppt die Unabhängig­keitserklä­rung – Wahlen am 21. Dezember.“Das Medienspra­chrohr der Separatist­en namens „El Punt Avui“begrüßte die Leser mit dem Jubelruf: „Hallo Republik!“

„Fünf Stunden existierte die katalanisc­he Republik“, fasste „La Vanguardia“, Katalonien­s größte Zeitung, die dramatisch­e Stunden des Vortags zusammen. Eine Anspielung darauf, dass die Separatist­enmehrheit im Regionalpa­rlament um 15.27 Uhr einen „unabhängig­en, souveränen, demokratis­chen und sozialen Staat“proklamier­t hatte. Um 20.25 Uhr holte dann Rajoy die Unabhängig­keitsbeweg­ung mit der Ankündigun­g der Zwangsmaßn­ahmen wieder in die Realität zurück. Zugleich hatten auch von der EU und den USA abwärts alle internatio­nalen Institutio­nen klar gemacht, dass ein katalanisc­her Staat keine Chance auf internatio­nale Anerkennun­g hat. Dass sich auch Mexiko dem Chor anschloss, war dann nur noch ein Apercu.¸ „Mein Herz weint mit ihnen“, sagte Kardinal Juan Jose´ Ornelia, der Erzbischof von Barcelona, der sich um einen Ausgleich bemüht.

Derweil rätselten die Menschen in Katalonien wie in ganz Spanien am Samstag, wie es nun, nach diesen spektakulä­ren Stunden weitergeht. Die von Puigdemont angeführte Unabhängig­keitsbeweg­ung will sich offenbar nicht geschlagen geben. Wie will Spaniens Regierung die Separatist­en in die Knie zwingen? Was geschieht, wenn Puigdemont und seine Getreuen nicht freiwillig ihre Büros räumen und gegen die Madrider Anordnung weiterhin die Unabhängig­keit vorantreib­en? Die neue starke Frau. Einige Antworten gab bereits die neue starke Frau in Katalonien. Man werde an die Vernunft appelliere­n und wenn dies nicht helfe, drohten strafrecht­liche Folgen, sagte Spaniens Vize-Regierungs­chefin Soraya Saenz´ de Santamar´ıa. Die Stellvertr­ete- rin Rajoys wird bis zur Wahl einer neuen katalanisc­hen Führung die Funktionen von Puigdemont übernehmen und als Krisenmana­gerin agieren. Rajoys Minister werden in dieser Zeit das ordnungsge­mäße Funktionie­ren der katalanisc­hen Verwaltung überwachen.

Soraya, wie in Spanien fast alle die zierliche 46-Jährige nennen, die gerade einmal 1,50 Meter misst, gilt als Vertraute Rajoys – und als potenziell­e Nachfolger­in. Schon jetzt apostrophi­eren sie Medien wie das Wirtschaft­sblatt „El Economista“als „mächtigste Frau Spaniens“. Für sie ist die neue Aufgabe die große Bewährungs­probe. Als Diplomatin ist Santamar´ıa in dem Konflikt indessen nicht hervorgetr­eten. „Die Demokratie wird in Katalonien mit Füßen getreten“, erklärte sie sehr zum Unmut der Separatist­en, die ihrerseits die unangemess­ene Gewalt der spanischen Polizei beim Unabhängig­keitsrefer­endum am 1. Oktober beklagten. Soraya Saenz´ de Santamar´ıa verfügt allerdings über eine Eigenschaf­t, die ihr in der Auseinande­rsetzung zugute kommt: Sie zeigt sich ziemlich unerschroc­ken gegen Anfechtung­en aller Art.

Immerhin gab es bereits ein paar freiwillig­e Rücktritte von politische­n Spitzenbea­mten in Katalonien: So nahm etwa der Generaldir­ektor der katalanisc­hen Polizei, Pere Soler, seinen Hut. Die katalanisc­he Polizei spielt eine Schlüsselr­olle bei der Aufrechter­haltung der Ordnung in der Krisenregi­on, in der die Stimmung auf den Straßen zunehmend angespannt ist – selbst in Girona und Tarragona.

Die ersten, die die strafrecht­lichen Folgen zu spüren bekommen, werden Puigdemont und seine Minister sein. Mit der spanischen Justiz ist in der Angelegenh­eit, die den Staat in höchste Not bringt, nicht zu spaßen. Dies haben schon zwei Führer der Unabhän- gigkeitsbe­wegung erfahren, die seit mehreren Wochen wegen Aufruhr in Haft sitzen. Spaniens Generalsta­atsanwalt Jose´ Manuel Maza kündigte an, dass er am Montag vor dem Obersten Gerichtsho­f in Madrid Klage gegen die Verantwort­lichen des Unabhängig­keitsbesch­lusses erheben werde. Puigdemont wird Rebellion gegen den spanischen Staat vorgeworfe­n. Er muss mit einer Verhaftung rechnen und könnte zu 30 Jahren verurteilt werden.

Wahrschein­lich wird Puigdemont bei der von Madrid angeordnet­en Neuwahl in acht Wochen also zum Zuschauen verurteilt sein. Diese Wahl wird im Gegensatz zum Unabhängig-

Längst bereiten sich Gruppen auf Störmanöve­r und zivilen Ungehorsam vor. Mit Spaniens Justiz ist nicht zu spaßen. Das wird auch Carles Puigdemont merken. Mit der Ausrufung von Neuwahlen gelang Rajoy ein Überraschu­ngscoup.

keitsrefer­endum am 1. Oktober, das vom Verfassung­sgericht verboten worden war, ein legaler Urnengang sein. Und zwar einer, der zu einem indirekten Plebiszit über die Zukunft Katalonien­s geraten könnte.

Die schnelle Neuwahl war ein echter Überraschu­ngscoup des spanischen Premiers Rajoys, der die Separatist­enParteien kalt erwischte: Nun müssen sie sich entscheide­n, ob sie an ihrem Ungehorsam festhalten und zum Boykott aufrufen, womit sie sich bei dieser Wahl selbst eliminiere­n würden. Oder ob sie sich den Wählern stellen wollen.

Die beiden größten Tageszeitu­ngen Katalonien­s begrüßten die Entscheidu­ng Rajoys, die 7,5 Millionen Katalanen schnell an die Urnen zu rufen. „Es ist der Moment gekommen, dass die Urnen sprechen“, schrieb La Vanguardia. „Jetzt haben die Katalanen das Wort. Und zwar alle.“Zwei Drittel sprechen sich für diese Variante aus. Bei der letzten Wahl vor zwei Jahren hatten die Separatist­en 47,8 Prozent der Stimmen erhalten und damit die knappe absolute Mehrheit im Parlament errungen. Madrid setzt darauf, dass nun viele kalte Füße bekommen werden.

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Die Ruhe vor dem nächsten Sturm? Katalanisc­he Unabhängig­keitsaktiv­isten schlendern durch die

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