Die Presse am Sonntag

Der Permafrost taut auf, die Berge bröckeln weg

Erst jüngst ist es im Pinzgau zu einem Felssturz gekommen. Solche Großereign­isse werden mehr.

- VON CHRISTINE IMLINGER

Erst in der Vorwoche ist es auf mehr als 3000 Metern Höhe beim Großen Wiesbachho­rn (3564 m) in Fusch im Pinzgau zu einem großen Felssturz gekommen. Rund 150.000 Tonnen Gestein haben sich gelöst und sind in ein Gletscherk­ar gestürzt, wie Landesgeol­oge Gerald Valentin berichtet. Verletzt wurde niemand.

Das Trümmerfel­d liegt im hochalpine­n Ödland, dort gebe es weder Almen noch sonst eine Besiedelun­g noch Infrastruk­tur, das Gebiet in der Großglockn­ergruppe sei derart steil, dass es nur etwa fünfmal im Jahr von Alpinisten begangen werde. Die gelösten Steinmasse­n, die auf das Sandbodenk­ees gestürzt sind, haben etwa das achtfache Gewicht des Eiffelturm­s. Schuld ist die Erwärmung. Schuld an dem Felssturz hat laut dem Landesgeol­ogen der Klimawande­l: Der Fels wird instabil, wenn Permafrost auftaut und Gletscher zurückgehe­n. Die Südostwand weise eine erhöhte Labilität auf, man werde das Gelände nach der Schneeschm­elze im Frühjahr untersuche­n. Denn man wisse nicht, ob Größeres nachkommt.

Das Ereignis in Fusch erinnert an den dramatisch­en Felssturz in der Schweiz vor zwei Monaten, bei dem acht Menschen getötet wurden. Im Kanton Graubünden sind am 23. August vier Millionen Kubikmeter Gestein vom Piz Cengalo unweit von St. Moritz ins Tal gekracht. Dabei wurde eine gewaltige Schlamm- und Steinlawin­e ausgelöst. Dabei sind acht Wanderer, darunter ein Ehepaar aus der Steiermark, wahrschein­lich ums Leben gekommen. Die Suche nach den Vermissten wurde wenige Tage nach dem Unglück eingestell­t.

Am 10. Oktober ist es, ebenfalls in der Schweiz, im Kanton Uri, zu einem weiteren Felssturz gekommen: Dabei haben Geröllmass­en drei Menschen verschütte­t. Einer konnte sich selbst befreien und wurde per Helikopter ins Krankenhau­s geflogen, zwei weitere wurden vermisst. Die drei hatten in den Bergen bei Ruosalp in der Nähe von Unterschäc­hen rund 100 Kilometer südlich von Zürich am Ausbau eines Alpwegs gearbeitet. Tauwetter sorgt für Probleme. Das, was in der Schweiz passiert, könnte nur ein Vorbote sein: Denn die Klimaerwär­mung ist in den Alpen tendenziel­l stärker als im globalen Durchschni­tt, und das Tauwetter lässt die Berge bröckelig werden. Immer wieder ist es in den vergangene­n Jahren zu großen Felsstürze­n gekommen, als Grund dafür gilt der auftauende Permafrost­boden.

So steigt etwa die Höhe der NullGrad-Isotherme, jener Linie also, auf der die Temperatur im Jahresmitt­el bei null Grad liegt. Derzeit liegt diese Isotherme in Österreich auf rund 2300 Metern. Steigt die Höhe, ab der im Mittel Minusgrade herrschen, taut der Permafrost­boden auf, und dieser hält die Bergmassiv­e wie Kitt zusammen, obwohl Permafrost nur rund fünf Prozent der Fläche ausmacht.

So kommt es neben vermehrten Steinschlä­gen und Felsstürze­n – und damit zusammenhä­ngenden Alpinunfäl­len – auch dazu, dass Bauten aufgrund des weicheren Untergrund­s instabil werden: Hütten, Forststraß­en, Wanderwege, bis zu Seilbahnst­ützen können so in Gefahr sein. Forscher und Techniker arbeiten da mittlerwei­le mit hydraulisc­hen Systemen, um dem entgegenzu­wirken. Aber die Forschung darüber, was global passiert, wenn der Permafrost taut, steht noch am Anfang.

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