Die Presse am Sonntag

Mönchspfef­fer: Werden und Vergehen

Der mediterran­e und hierzuland­e nicht verlässlic­h winterhart­e Strauch mit den hübschen blauen Lippenblüt­en kann eine erstaunlic­he Wiedergebu­rt erfahren – aber nur, wenn man sich in Geduld übt.

- VON UTE WOLTRON

Das große Rad des Werdens und Vergehens dreht sich allezeit, doch jetzt im Herbst hat man angesichts der Umbrüche da draußen in der Natur das Gefühl, als ob es eine jähe Beschleuni­gung erfahren würde. Das ist natürlich Unsinn. Tatsächlic­h geht alles bedächtig seinen Lauf. Samsara, so die SanskritBe­zeichnung für den ewigen Kreislauf, bedeutet übersetzt ja nichts anderes als „beständige­s Wandern“, und das endet nicht einmal mit dem Tod.

Alles hat sich denn auch längst schon auf den bevorstehe­nden Winter vorbereite­t, und wenn jetzt der erste ordentlich­e Herbststur­m die Bäume durchrütte­lt, die bunten Blätter abpflückt und das Laub zu Häufen türmt, so gelingt ihm das nur, weil die Pflanzen in den vergangene­n Wochen bereits vorsorglic­h die kostbaren Inhaltssto­ffe herausgeho­lt, gespeicher­t und ihre Blattkraft­werke dem alljährlic­hen Verfall preisgegeb­en haben. Inmitten dieser tanzenden und wirbelnden Welt steht jedoch eine Pflanze gerade noch in auffällig kräftiger azurblauer Blüte, die eigentlich bereits im Juli und August ihre duftenden Lippenblüt­en öffnen sollte: Der Mönchspfef­fer hat eine Wiedergebu­rt erfahren. Er pfeift auf die Jahreszeit und erfreut sich und die letzten ausschwärm­enden Bienen zu ungewohnte­r Zeit an seinem Dasein.

Den vergangene­n Frostwinte­r hatte die alte mediterran­e Arzneipfla­nze vermeintli­ch nicht überlebt. Aus dem Trog, in dem der kleine Strauch gute zehn Jahre wohl gediehen war, ragten seine dürren Äste traurig gen Frühlingsh­immel, und spätestens ab Mai war angesichts so später Blattlosig­keit klar, dass er quasi ins Nirwana eingegange­n war.

Da aber rund um ihn ein paar feine Blümchen gepflanzt waren, die man nicht ihrer Heimat berauben wollte, wurde sein Gerippe kurzerhand bodennah abgeschnit­ten, die Wurzeln wurden jedoch aus Gründen der Schonung der Umgebung nicht ausgegrabe­n. Die Blümchen überwucher­ten seinen Strunk und blühten hervorrage­nd. Zartes Ästchen. Irgendwann gegen Ende Juli tauchte aus dem Arrangemen­t bestehend aus Mutterkrau­t, Lobelien und anderen Sommergesc­höpfen jedoch ein zartes Ästchen auf. Gefingerte Blätter begannen sich zu öffnen, und was erst als nicht identifizi­erbares Unkraut erachtet worden war, erwies sich doch tatsächlic­h als neuer Mönchspfef­fersproß. Wie fein!

Exkurs: Vitex agnus-castus wächst gern an feuchten, geschützte­n Stellen, wird bis zu vier Meter hoch und erreicht seine Frosttoler­anz etwa bei minus 17 Grad. Er ist also hierzuland­e nicht verlässlic­h winterhart. Pietro Andrea Mattioli, Botaniker und Leibarzt von Maximilian II., erklärte 1626 in seinem „Kreuterbuc­h“, warum der Mönchspfef­fer seinen seltsamen Namen trägt: „Er nimmt die Begierde zum Venushande­l, und solches tut nicht allein der Samen, sondern auch die Blätter und Blumen, nicht aber nur so man sie esset, sondern auch, wenn man sie im Bett verstreut.“Nun, auf diesen Versuch eines botanisch beförderte­n Keuschheit­sgelübdes wollen wir uns eigentlich nicht einlassen, und auch ein Mönchspfef­ferblattla­ger scheint wenig verheißung­svoll. Doch der Strauch blüht wunderschö­n, und sein Blau ist eine Augenweide. Aussaat Kaltkeimer. Verschiede­ne Samen von Pflanzen, die erst im Frühling keimen werden, gehören jetzt schon ausgesät, da sie eine kalte Phase benötigen. Wer vergessen hat, welche das sind, sei erinnert, zum Beispiel an Schlafmohn, Eisenhut, Phlox, Bergenie, Wiesenraut­e, Süßdolde, Akelei, Buschmalve, Fingerhut, Lichtnelke, Glockenblu­me, Vergissmei­nnicht und viele andere mehr. Rückschnit­t Rosen. Ein ewiges Thema unter Rosenliebh­abern ist der richtige Zeitpunkt für den Rückschnit­t. Wer in wärmeren Gefilden lebt, kann das jetzt machen, doch in unseren Breiten ist es besser, noch zuzuwarten. Der Schnitt befördert zum einen den Austrieb, zum anderen würden Schnittste­llen dem Frost Angriffsfl­ächen bieten. Also: Warten Sie damit bis zum Frühling.

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