Ferienparadies ohne Scharia
Saudiarabien will sich zum Teneriffa am Roten Meer mausern, irgendwo zwischen Wassersport, Party und Natur. Der Tourismus wäre ein neues Standbein für die »ölsüchtige« Volkswirtschaft. Doch die Reform scheitert an den eigenen Organisatoren.
Abdu Menaji Qutar redet sich in Begeisterung. Stolz blättert er Seite für Seite um. Vor ihm liegt die Zukunft, die sich er und seine Kollegen ausgedacht haben. Der Computer verwandelt die triste Realität am Roten Meer im Süden Saudiarabiens in eine glitzernde Touristenwelt. Im Masterplan tummeln sich Wasserflugzeuge und Schnellboote vor den Farasan-Inseln. Schicke Promenaden mit Cafes´ ersetzen die abgestoßenen Ladenzeilen mit ihren fettstrotzenden Imbissen. Makellose Strände vor türkisblauem Wasser und Ökolodges laden zu Luxusferien. „Wir wollen die FarasanInseln in ein Urlaubsparadies verwandeln“, sagt der 46-Jährige, Chefplaner im Regionalbüro Jizan der Saudischen Tourismus-Kommission. So etwas wie ein Teneriffa am Roten Meer schwebt ihm vor. Seit Kronprinz Mohammed bin Salman im April letzten Jahres mit seiner Vision 2030 ankündigte, die „ölsüchtige“Volkswirtschaft Saudiarabiens umzukrempeln und viele neue Einnahmequellen zu erschließen, entstehen überall in den königlichen Amtsstuben üppige Power-Point-Szenarien. Auch für den Tourismussektor, in den allein in den nächsten drei Jahren sechs Mrd. Euro fließen sollen. Auf der Touristikmesse ITB in Berlin im März tauchte Saudiarabien erstmals mit einem eigenen Stand auf. Bunte Kataloge priesen die Schönheiten des Landes: die kilometerlangen Strände von Al Oqair am Persischen Golf oder die Nabatäerstadt Madein Saleh, eine der vier Weltkulturerbestätten des Königreichs. Andere Touristenschwerpunkte sollen folgen und Saudiarabien wie andere Golfstaaten zu einem normalen Reiseland machen − im Süden die Inselgruppe Farasan und das berühmte Festival Souk Okaz in Taif. Im Westen die weißen Sandstrände von Ras al-Abyad in der Provinz Medina. Und im Norden gegenüber Ägyptens Taucherküste die 200 Kilometer langen Korallenstrände − auch die Malediven Arabiens genannt. Dort sollen bis 2022 Scharia-freie Ferienressorts „nach internationalen Standards“entstehen, die Alkohol ausschenken und gemeinsame Strände für Frauen und Männern haben. Die Visa dafür soll es „stressfrei“geben, verspricht die Werbebroschüre.
Bisher lebte das erzkonservative Königreich überwiegend vom MekkaTourismus – dem Hadsch und der Umra. Ein Zehn-Milliarden-Geschäft, das quasi automatisch läuft. Elf Millionen Pilger reisten im letzten Jahr zu den heiligen Stätten. Doch dürfen sich die frommen Muslime danach nicht im Land umsehen. Ihre Visa sind auf Mekka und Medina beschränkt, ein Kombivisum Wallfahrt plus Urlaub wurde vor zehn Jahren angekündigt, aber nie umgesetzt. Auch für westliche Besucher gibt es praktisch keine Reisevisa. Besser betuchte Ausländer können Saudiarabien in der Regel nur bereisen, wenn sie dort leben und arbeiten. „Mit denen wird das nie was.“Bei den saudischen Einheimischen ist vor allem das südliche Hochland im Landesinneren wegen des milden Klimas und seiner grünen Landschaften beliebt. Khaled al-Kamal ist hier Rosenölproduzent und hat viel von der Welt gesehen. Den Tourismusplänen des Königshauses steht er wie andere Gleichgesinnte positiv gegenüber. Aber für die TourismusKommission, die den Wandel organisieren soll und die vom Königssohn geleitet wird, haben die Geschäftsleute kein gutes Wort übrig. „Wir leiden unter deren Inkompetenz.“Den staatlichen Angestellten fehle jede Motivation. In einem der Büros jemanden ans Telefon zu bekommen, sei eine tagelange Sisyphosarbeit. „Mit denen wird das nie was. Wir brauchen mehr Professionalität – so wie in Abu Dhabi und Dubai.“So haben sich eine Handvoll Bürger aus Taif im Landesinneren zusammengetan und dem Bürgermeister einen Katalog mit Vorschlägen präsentiert. Sie wollen mehr kompetente Stadtführer, Schautafeln an Sehenswürdigkeiten, den Wiederaufbau historischer Gebäude, Fußgängerzonen, Lizenzen für Straßencafes´ und Benimmkurse, um Einheimischen den Umgang mit Touristen beizubringen. „Fremdenfeindlichkeit ist ein Thema in Saudiarabien“, sagen sie. Jeder,
»Wir brauchen mehr Professionalität – so wie in Abu Dhabi und Dubai.«
der anders aussehe oder eine andere Sprache spreche, werde mit Misstrauen betrachtet. „Wir sind extrem traditionell und haben sehr harte Sitten“, sagt Ahmed bin Mahfouz Al Kendi, der fünf Jahre in Florida studierte. Nach seiner Rückkehr eröffneten er und seine Brüder am Rand der Altstadt das Hitken, das einzige Familiencafe´ in Taif, der Stadt der Rosen, des Honigs und des legendären Festivals Souk Okaz. Wie aus „Tausendundeine Nacht“. Dessen Geschichte als Informationsbörse, Dichtertreffen und intellektuelle Drehscheibe der arabischen Halbinsel reicht mehr als zweitausend Jahre zurück. Heute lassen Reiterspiele und Kamelzüge wie aus der Zeit von Lawrence von Arabien die Magie des Wüstenlebens auferstehen. Vor den Stadttoren stehen Beduinenzelte mit Lagerfeuern, Schwerttänzer zeigen ihr Geschick, Erzähler unterhalten die Kinder mit Geschichten aus der Karawanenzeit. Bei dieser Traditionsshow wird alles geboten, was den Reiz der Arabischen Halbinsel ausmachte, bevor vor zwei Generationen der Ölboom mit Limousinen, Autobahnen und Shopping-Malls begann. „Damals war das Leben einfacher und nicht so kompliziert wie heute“, seufzt ein fülliger Mann, während er die Darsteller seiner Vorfahren zu Pferde mit dem iPhone filmt.
Dass der mit der Agenda 2030 geplante Weg in die Zeit nach dem Ölsegen lang und hart sein wird, weiß auch Farasan-Planer Abdu Menaji Qutar. Mit „Inshallah“– „so Gott will“– würzt er im Gespräch jeden zweiten Satz. Daran, dass der Sprung von der Power-PointMappe in die Realität klappt, hegt auch er offenbar Zweifel. „Das Ganze ist eine Vision“, sagt er am Ende. „Die Realität, das ist eine ganz andere Geschichte.“